Dienstag, 19. März 2024

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Freundschaften im Spiegel

Besonders beliebt ist das Schenken offenbar nicht - zu groß der Unmut über falsche Geschenke, zu schwer lastet der Druck auf Schenkende sowie Beschenkte. Fast zwei Wochen nach Weihnachten hat es sich allerdings ausgeschenkt - und so beenden wir nun unsere Reihe.

Von Jana Hensel | 05.01.2010
    Mein Sohn hat zurzeit ein Lieblingsbuch. Es erzählt von einer Schildkröte, die Geburtstag hat. Sie bekommt an diesem Tag allerlei Besuch von allerlei Freunden. Der Pelikan überreicht ihr einen Fisch, das Nashorn ein Schlammbad, der Löwe ein großes Stück Fleisch. Obwohl die Schildkröte über keines der Geschenke glücklich ist, wahrt sie die Fassung und bleibt freundlich. Sie setzt sich mit ihren Gästen hin und lässt sich erzählen, was die mit ihren Geschenken am liebsten machen würden. Erst am Ende, kurz bevor die Freunde sich wieder auf den Heimweg machen wollen, gesteht sie ihnen: Eigentlich aber hätte ich mir einen großen, grünen, saftigen Salatkopf gewünscht. Denn Salat esse ich wirklich gern.

    Zugegeben, es ist nicht schwer, die Moral von der Geschichte zu entschlüsseln: Mein Sohn soll lernen, beim Schenken um Gotteswillen nicht an sich selbst, sondern nur an die anderen zu denken. Diese Forderung ist löblich, sie ist wahrscheinlich Jahrhunderte alt und obendrein politisch korrekt, könnte man sagen. Aber ist sie deswegen auch richtig? Stimmt diese Forderung wirklich?
    Die ganze Welt, sie lässt sich in Geschenken erzählen. Das eigene Leben, es lässt sich ebenfalls in Geschenken erzählen. In diesem Augenblick wünschte ich mir, ich hätte wie die Schildkröte Buch über sie geführt. Es könnte eine Art Autobiografie in Geschenken sein. In Geschenken nämlich kehren wir unser Innerstes nach außen. Wir zeigen mit ihnen, wer wir wirklich sind: Jene, die man bekommt, sagen, was die anderen von einem denken. Jene, die man überreicht, demonstrieren, was man selbst im anderen wahrnimmt; auf welche Art man sich in ihm gespiegelt sieht.

    So, wie ich mit jedem Menschen, den ich kenne, anders spreche, so beschenke ich auch jeden Menschen, der mir nahe steht, anders. Das tue ich ohne System, einfach so, intuitiv. Und das Maß der jeweiligen Freundschaften, es ließe sich am Umfang der Geschenke nicht messen: In manchen Gaben zeige ich mich als pädagogisch, in anderen erscheine ich verschwenderisch, mal bin ich intellektuell, mal bodenständig, mal geizig und mal hedonistisch.

    Was würde eigentlich passieren, wenn einer meiner Freunde ein nicht an ihn adressiertes Päckchen aufmachte? Es ist nur ein Gedankenexperiment, aber ich könnte mir vorstellen, nicht wenige reagierten verwirrt, auf jeden Fall verunsichert, mitunter vielleicht schockiert: Über jene Seite, die ich nicht ihm, sondern einem anderen Menschen zeigen wollte.

    Meine Mutter schenkt mir stets nützliche Dinge für den Haushalt. Sie werden ihr selbst wichtig sein. Meine beste Freundin erfreut mich oft mit teurer Unterwäsche oder erlesenen Parfüms aus Paris, die man in Drogerien hier nicht bekommt. Wir möchten beide nicht als Frauen erscheinen, die ihr Glück ausschließlich in geistigen Dingen finden. Das verbindet uns. Mein Freund hadert noch immer, eigentlich weiß er nie, was er mir schenken soll und je mehr ich darüber nachdenke, desto weniger ärgere ich mich darüber. Offensichtlich hat er den Schlüssel zu mir noch nicht gefunden, er sucht ihn weiterhin. Und die Tatsache, dass ich nun, da ich Mutter bin, kaum mehr selbst etwas geschenkt bekomme, sondern alle Gaben für meinen Sohn bestimmt sind, sie wird auch etwas bedeuten. Ich werde einmal darüber nachdenken.