Dienstag, 19. März 2024

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Frieden für Syrien
"Es ist noch nicht zu spät für den Westen, sich einzumischen"

Elias Perabo, Sprecher des deutschen Vereins "Adopt a Revolution", fordert Deutschland, die UNO und die EU auf, sich im Syrienkonflikt wieder mehr zu engagieren. Was jetzt gebraucht werde, seien internationale Beobachter, Schutzgarantien und die Versorgung der Menschen in Syrien, sagte Perabo im DLF.

Elias Perabo im Gespräch mit Doris Simon | 31.12.2016
    Elias Perabo, Initiator des Projekts "Adopt a Revolution", bei der Bundespressekonferenz in Berlin.
    Elias Perabo, Sprecher von "Adopt a Revolution". Der Verein steht der Opposition in Syrien nahe und fördert zivilgesellschaftliche, gewaltfreie Projekte. (imago stock&people)
    Doris Simon: Für viele Menschen in Syrien war 2016 noch ein schlimmes Jahr und ganz besonders schrecklich in den Dörfern und Städten im Bombenkrieg. Jetzt endet 2016 in Syrien mit einem Waffenstillstand. Ausgehandelt von Russland und der Türkei, halten wollen, sollen sich an ihn die Assad-Regierung und gemäßigte Rebellen. Der sogenannte Islamische Staat und al-Qaida-nahe Verbände bleiben außen vor, sind nicht dabei. Ob diese Feuerpause hält, das weiß niemand. Es wird noch vereinzelt geschossen. Der Verein "Adopt a Revolution" wurde vor fünf Jahren gegründet, um die Revolution in Syrien zu unterstützen. Heute steht der Verein der Opposition in Syrien nahe. Er fördert zivilgesellschaftliche, gewaltfreie Projekte. Am Telefon ist Elias Perabo, der Sprecher von "Adopt a Revolution". Herr Perabo, wie reagieren denn Ihre Ansprechpartner in Syrien auf diese Feuerpause?
    Elias Perabo: Das ist ja nicht die erste Feuerpause für Syrien, und es gab sehr, sehr viele Enttäuschungen. Trotzdem reagieren fast alle unserer Partner, mit denen wir gesprochen haben, doch sehr positiv. Man muss sich vorstellen, die Leute sind unglaublich müde von diesem Krieg. Sie wollen wirklich, dass diese Sache heilt. Es gibt sogar Partner, die uns gesagt haben, ja, es gibt einzelne Verstöße, auch bei uns wird etwa noch geschossen, und trotzdem wollen wir, dass dieser Frieden hält. Wir wollen auch die Nachrichten, die wir jetzt sagen, zu sagen, ja, es hat sich verbessert, ja, es sind weniger Bomben gefallen in den letzten Stunden. Für die Menschen ist es einfach wichtig, dass es eine Pause zumindest gibt und irgendeine Form, wo sie in die Zukunft gucken können.
    Simon: Das heißt, alles besser als Krieg.
    Perabo: Ja, es heißt erst mal alles besser als Krieg, und ich glaube, es ist noch etwas anderes passiert in, sozusagen, dieser Waffenruhe. Die Leute sind gestern auf die Straße wieder gegangen. Wir haben etwas gesehen, was wir ganz, ganz lange nicht in Syrien gesehen haben. Die Leute haben diese Waffenruhe genutzt, um auf die Straße zu gehen und zu sagen, wir sind hier noch und wir wollen unsere Selbstbestimmung, wir wollen etwas anderes als das Syrien unter Assad, wir wollen uns selbst regieren, und ich glaube, das ist etwas, was wirklich wieder zurückgekommen ist und was sich jetzt wieder zeigt, wo die Menschen auch diese Waffenruhe nutzen, um sich selbst zu artikulieren.
    "Man muss jetzt einen Schritt nach dem anderen gehen"
    Simon: Aber etwas anderes als unter Assad ist genau das, was es wohl nicht geben wird, wenn es einen verhandelten Frieden gibt unter Vorherrschaft Russlands, der Türkei und des Iran?
    Perabo: Ich glaube, das ist alles noch sehr viel zu früh zu sagen. Ich glaube, als Erstes muss man jetzt sehen, dass erst mal dieser Moment des Friedens überhaupt in Syrien hält, und ich glaube, in dem zweiten Schritt muss man gucken, was kann denn ein zukünftiges Syrien sein. Es wird ganz sicher nicht ein Syrien sein, was von einer Partei regiert wird, sei es Assad oder sei es die Opposition. Es wird sicherlich ein Syrien sein, was relativ vielfältige und unterschiedliche Regierungsformen haben wird. Es sind noch ganz viele Sachen ungeklärt, etwa auch in diesem Waffenstillstand, was passiert mit den Kurden oben im Norden, die eine eigene Form von Autonomie inzwischen sich erkämpft haben. Was passiert mit den ganzen Gefangenen, die noch in Gefängnissen sind, und, ich glaube, was man nicht vergessen darf, noch immer sind 800.000 Leute unter Hungerblockade in Syrien. Auch von denen sozusagen ist in diesem Friedensabkommen momentan noch nichts drin. Das heißt, man muss jetzt einen Schritt nach dem anderen gehen, um überhaupt diesen Frieden zu stabilisieren.
    Simon: Herr Perabo, vor etwas mehr als einem Monat haben Sie bei uns im Programm eine diplomatische, eine politische Lösung gefordert. Tatsächlich ist das, was es jetzt gibt, erst mal das Ergebnis einer gewissen militärischen Übermacht des Regimes, gestützt auch von Russland.
    Perabo: Ja, ich glaube, das ist etwas, wo sich vor allem der Westen noch angucken muss, was der Westen von seiner Tatenlosigkeit, von seiner Konzeptlosigkeit, von einem fehlenden Politikeinsatz in Syrien sozusagen nun zuschauen muss, wie autoritäre Regime – Russland, auch die Türkei, aber auch der Iran – anfangen, unter sich sozusagen Syrien aufzuteilen. Das ist für die momentane Situation – ich will ganz ehrlich sein – ein Erfolg, weil die Waffengewalt abgenommen hat, und dennoch: Ich glaube, wenn man sich jetzt überlegt, für die Menschen, die gestern auf die Straße gegangen sind, die Freiheit, die Selbstmitbestimmung fordern, sind das sicherlich diese Staaten, diese autoritären Staaten, sicherlich nicht die Partner, die diese Freiheit garantieren werden.
    Simon: Die UN oder die EU, wie, glauben Sie, können die, wie sollten die denn jetzt für die restlichen wenigen Gebiete in Rebellenhand da eine andere Freiheit erreichen als sie es bisher geschafft haben?
    "Wir brauchen eine Garantie für die Menschen"
    Perabo: Da ist auch Deutschland in der Pflicht, zu sagen, wir müssen den blockierten UN-Sicherheitsrat, den es gegeben hat, den müssen wir umgehen. Wir müssen das Instrument der Notfallsitzung der Vollversammlung nutzen, um die UN wirklich wieder handlungsfähig zu machen. Was wir brauchen, ist auch internationale Beobachtung des noch wirklich sehr frühen Friedens. Wir brauchen eine Garantie für die Menschen, dass sie wirklich Schutz haben, und das Dritte ist: Wir brauchen endlich die Versorgung der Menschen. Es gab im letzten Monat, laut UN selber, einen einzigen Konvoi, der es geschafft hat, in belagerte Gebiete zu gelangen. Dieser eine Konvoi soll 800.000 Menschen versorgen. Das ist absurd, und hier braucht es dringend Besserung.
    Simon: Herr Perabo, wenn Sie sagen, das Handeln muss zurück an die UN gegeben werden, ist das nicht Wunschdenken, eine Verkennung der Tatsachen, dass in Syrien tatsächlich die Türkei und Russland sagen, wo es langgeht?
    Perabo: Ich glaube, da hat sich der selbst reinmanövriert. Ich glaube, das ist das, was …
    Simon: Aber es ist doch jetzt so. Wir müssen doch umgehen mit den Tatsachen wie sie sind.
    Perabo: Richtig. Faktisch ist es so, dass es dort einen sehr großen Einfluss gibt, aber auch das ist ja etwas, was sich ändert. Was wir noch sehen in Syrien, und das sieht man auch an diesen Demonstrationen: Es ist doch bei Weitem noch lange nicht vorbei. Wir müssen uns doch nichts vormachen. Es ist doch nicht so, dass der Konflikt mit Aleppo oder der Konflikt jetzt mit diesem Waffenstillstand irgendwie beendet ist. Nein, es wird noch Jahre dauern, bis es wirklich zur Stabilität in Syrien kommt, und ich glaube, es ist noch lange nicht zu spät, auch für den Westen hier wieder Partei zu ergreifen, sich dort einzumischen und zu sagen, ja, durch eine Stärkung der UN können wir etwas erreichen.
    Simon: Aber wie …
    Perabo: Zumal auch ein Großteil der Hilfe nach wie vor über die UN finanziell kommt für die syrischen Gebiete wie (Passage unverständlich, Anm. der Redaktion) im Assad-Regimes, das braucht natürlich auch die andere Seite.
    Simon: Aber das ist ja eine Gleichung, die wir schon länger haben. Die UN oder die EU finanziert Hilfslieferung, humanitäre Unterstützung, aber de facto, die Politik bestimmen andere in Syrien.
    Perabo: Ja, genau so sieht es aus, und ich glaube das ist etwas, was dringend angegangen werden muss. Also die UN und die EU als auch Deutschland haben sich selbst in diese Lage manövriert. Man hat jahrelang sozusagen immer versucht, von außen zuzuschauen, hat oft diesen Konflikt ignoriert, hat sich sozusagen nicht eingemischt, hat …
    Simon: Aber ich habe noch nicht verstanden, wie das gelingen soll praktisch.
    "Das ist ein harter Kampf der Aushandlung"
    Perabo: Ich glaube, indem man praktisch versucht, Schutzgarantien den Menschen zu geben. Also es geht doch ganz konkret da drum, zu sagen, es gibt ein Schutzbedürfnis dieser Menschen, sei es, dass sie mit Nahrungsmitteln versorgt werden, sei es, dass sie sozusagen vor Ort Beobachter haben oder irgendwelche andere Kontrolle, sozusagen, dass sie eine Form des Schutzes bekommen. Das ist ihnen ja versagt worden. Man hätte – nehmen wir mal einfach die Schutzbestimmungen –, man hätte natürlich schon längst auf den Resolutionen aufbauen, die es gab, etwa Airdrops machen können im Falle Aleppo oder anderen belagerten Gebieten. Das fällt aus, weil man sich an dieser Stelle nicht traut und weil man an der Stelle auch nicht willens ist, einen Schritt weiter an dieser Stelle zu gehen. Ich glaube …
    Simon: Aber geht das denn, wenn man das nicht militärisch unterstützen kann diese Schutzgarantie?
    Perabo: Ich glaube, das ist ein harter Kampf der Aushandlung. Also das ist etwas, was natürlich im Fall mit Russland ausgehandelt werden muss, was auch an anderer Stelle gegangen ist. Man hat es ja immer mal wieder probiert, und meistens ist man da ja auch sozusagen erfolgreich gewesen. Gucken Sie sich mal an, was in Madaya passiert ist, wo Anfang des Jahres Leute ausgehungert werden, wo es lange leider gebraucht hat, bis der Druck da war, aber dann wurden auch zum Schluss Lebensmittel nach Madaya geliefert. Das heißt, überall dort, wo man sich gesagt hat, okay, jetzt ist eine rote Linie überschritten, und jetzt machen wir auch wirklich Druck und lassen nicht eine rote Linie rote Linie sein. Da gab es sozusagen ja auch kleine Erfolge zuletzt.
    Simon: Sagt Elias Perabo, der Sprecher von "Adopt a Revolution", der Verein steht der Opposition in Syrien nahe und fördert zivilgesellschaftliche, gewaltfreie Projekte. Herr Perabo, danke für das Gespräch!
    Perabo: Bitteschön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.