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Friedensforscher hält auch Plutoniumgewinnung für möglich

Das Kraftwerk in Yongbyon könnte sowohl für Nuklearenergie als auch zur Bombenherstellung dienen, sagt Philip Schell vom Stockholmer Friedensforschungsinstitut. Der Reaktor könne mit der dazugehörigen Wiederaufbereitungsanlage auch Plutonium extrahieren.

Phillip Schell im Gespräch mit Sandra Schulz | 02.04.2013
    Sandra Schulz: Zunächst hatte Südkorea defensiv reagiert, aber zuletzt kamen auch von dort schärfere Töne. Gestern wies die südkoreanische Präsidentin Park die Streitkräfte an, auf militärische Provokationen des Nachbarlandes "ohne Rücksicht auf jede politische Abwägung prompt und strikt zu reagieren". Die jüngste bisher noch Verbaleskalation geht zurück auf die Ankündigung des kommunistischen Nordkorea, man sehe sich im Kriegszustand mit dem Süden. Und die jüngste Provokation kommt jetzt ebenfalls von dort: Pjöngjang kündigte an, seinen abgeschalteten Fünf-Megawatt-Reaktor im Nuklearzentrum Yongbyon wieder flott machen zu wollen.
    Am Telefon begrüße ich jetzt Phillip Schell, beim Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI arbeitet er mit dem Schwerpunkt Atomwaffen und Nordkorea. Guten Tag!

    Phillip Schell: Guten Tag!

    Schulz: Was sagen Sie zu der Ankündigung, Nordkorea will einen Reaktor in Yongbyon wieder in Betrieb nehmen? Wie bedrohlich ist das?

    Schell: Wir haben ja schon seit einer längeren Zeit auf der Basis von Satellitenfotoanalysen gesehen, dass es an der Anlage Arbeiten gab. Allerdings, wie Ihr Kollege ja sagte, wurde der Kühlturm ja gesprengt. Das heißt also, ich selber bin mir darüber noch nicht so ganz im klaren, wie das ganze vonstatten gehen soll, denn der Reaktor muss ja gekühlt und moderiert werden, wie das halt heißt, und da eine solche Vorrichtung bisher nicht vorhanden ist, sehe ich das noch als ein Statement an, das so ein bisschen im Raum steht. Was vorstellbar ist, dass es noch Plutonium gibt, das extrahierbar ist. Zu der Anlage in Yongbyon gehört ja auch eine Wiederaufbereitungsanlage. Das heißt, es könnte hiermit auch gemeint sein, dass praktisch diese wieder in Betrieb genommen wird, um das noch zur Verfügung stehende Plutonium aus benutzten Brennstäben zu extrahieren. Das ist aber alles noch sehr unklar.

    Schulz: Ist denn klar, was da überhaupt erforscht oder gemacht wird? Geht es da um die friedliche Nutzung, oder wirklich um die Bombe?

    Schell: Ich denke, es ist ein zweiteiliger Pfad, denn die Technologien für friedliche Nuklearenergie-Gewinnung und die Herstellung einer Bombe liegen nicht sehr weit voneinander entfernt. Wir haben ja den Fünf Megawatt experimentellen Reaktor, der jetzt ja angeblich wieder hochgefahren werden soll. Dieser ist nur in der Lage, sehr geringe Mengen an Elektrizität zu produzieren, aber eben mit der dazugehörigen Wiederaufbereitungsanlage Plutonium zu extrahieren, und Plutonium ist eben dann nur in einem militärischen Programm nutzbar. Gleichzeitig, wie Ihr Kollege ja sagte, gibt es jetzt die Urananreicherungsanlage, die natürlich gepaart ist mit dem Leichtwasserreaktor, der eben leicht angereichertes Uran in den Brennstäben benutzt. Allerdings ist hier auch die leichte Anreicherung von Uran. Die Internationale Atomenergiebehörde setzt da die Grenze auf 20 Prozent, oder eben auf ein waffenfähiges Level von, sagen wir mal, an die 90 Prozent. Da liegen die Technologien nicht sehr weit auseinander.

    Schulz: Jetzt haben wir es gerade auch schon gehört: es ist schon mehrere Jahre her, dass das Land wesentliche Teile eben dieser Atomanlagen unbrauchbar gemacht hat. Wie schnell würde es überhaupt gehen, Yongbyon jetzt wieder flott zu machen?

    Schell: Das ist eine sehr gute Frage. Das hängt natürlich auch davon ab, zu welchem Grad in 2007 die Anlage abgeschaltet wurde, was an Ausrüstung unnutzbar gemacht wurde, was mittlerweile wieder intern innerhalb der Anlage aufgebaut wurde. Das ist sehr schwer zu sagen, da es ja keine Übersicht der Atomenergiebehörde oder sonstigen Inspektoren mehr gibt. Schwer zu sagen!

    Schulz: Diese Ankündigung um Yongbyon ist jetzt natürlich nur eine in einer ganzen Reihe von Provokationen aus Nordkorea. Droht da jetzt eine weitere Eskalation oder will sich da der relativ neue Machthaber Kim Jong Un vor allem bei den Menschen im eigenen Land präsentieren?

    Schell: Ich denke, das ist ein sehr komplexes Thema. Ich denke, auf der einen Seite muss man in Betracht ziehen, dass die wirkliche Machtkonstellation in Nordkorea immer noch unklar ist. Natürlich wird medienwirksam Kim Jong Un als der Führer dargestellt, aber wer jetzt wirklich die Fäden in der Hand hält, ist sehr unklar. Man kann natürlich auf der gleichen Seite auch sagen, es ist ein sehr junger und unerfahrener Führer in diesem Sinne, der natürlich eventuell das Militär auch braucht, um seine Macht zu stärken und zu konsolidieren. Das heißt, die ganze Rhetorik könnte natürlich auch aus dieser Richtung kommen. Gleichzeitig sehen wir natürlich über Jahre hinweg sozusagen eine konstante ritualisierte Drohung von Nordkorea, die jetzt natürlich, sagen wir mal, in Frequenz, Intensität und auch im Ausmaß natürlich sehr, sehr stark erhöht hat.

    Schulz: Aber müsste Nordkorea nicht eigentlich die militärische Eskalation viel mehr fürchten als Südkorea mit dem mächtigen Verbündeten USA?

    Schell: Mit Sicherheit. Ich denke, was man weiß über Nordkoreas strategischen Kalkulus ist mit Sicherheit, dass das Überleben des Regimes und die Stabilisierung des Regimes an erster Priorität stehen. Und ich denke, wir sehen das ja über Jahre hinweg, wenn man das Thema verfolgt, dass es immer stärkere Drohungen gab. Aber irrationales Handeln gab es bisher nie und ich denke, dass das Regime natürlich auch weiß, dass wenn es eskaliert, dann kann diese erste Priorität auf keinen Fall erreicht werden. Ich denke, es ist auch wichtig, zumindest auf der Basis von dem wenigen, was wir über Nordkorea wissen, deren innere Denkweise zu verstehen. Und ich glaube, dass einer der wichtigsten Punkte, hier das Militär an erste Stelle zu setzen, sehr wichtig ist, da das angesehen wird, um militärische Kapazitäten zu entwickeln, um eben nationale Sicherheit und Stabilität zu erhalten. Und ich glaube, keine Sicherheitsversprechen könnten in diesem Sinne jemals als glaubhaft angesehen werden.

    Schulz: An der Stelle würde ich gerne noch mal auf den Verbündeten Nordkoreas schauen, auf China. Von da kommt jetzt eine Verurteilung der Ankündigung um Yongbyon. Rückendeckung sieht anders aus?

    Schell: Ich denke, dass China natürlich mehr und mehr frustriert ist mit dem nordkoreanischen Regime. Auf der anderen Seite muss man auch hier sehen, denke ich, dass nationale Interessen hier überwiegen, denn wenn man das mit den Amerikanern vergleicht: die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen beziehungsweise in diesem spezifischen Fall das nordkoreanische Atomwaffenprogramm ist aus Chinas Perspektive einfach nicht so eine große Bedrohung wie aus der amerikanischen Perspektive. Was für die Chinesen zählt ist regionale Stabilität und die Weiterentwicklung der eigenen chinesischen Wirtschaft und des Landes als solches. Natürlich durch die nordkoreanischen Drohungen und Raketentests, Atomwaffentests wird das alles intensiviert und dieses Ziel auch so durch diese strategische Passivität Chinas ist da natürlich immer schwieriger aufrecht zu erhalten.

    Schulz: Und welchen Einfluss hat China denn da überhaupt noch?

    Schell: Ich denke, dass Chinas Einfluss grundsätzlich überschätzt wird. Natürlich ist es das Land, das die besten oder die engsten Beziehungen mit Nordkorea immer noch hat. Ich denke, es ist auch klar, dass China und Nordkorea niemals kollabieren lassen wird, denn ich denke, das ist ein faktisches Statement, das man machen kann: Wenn China den Hahn der wirtschaftlichen Hilfeleistungen zudrehen würde, dann wird es extrem schwierig werden für Nordkorea. Ich denke, das wird aber niemals passieren, zumindest nicht auf einem Level, dass das Land kollabieren lassen wird.

    Gleichzeitig auf internationalem Level ist es natürlich schwierig zu sagen. China sagt natürlich ganz klar, wir sehen keinen nordkoreanischen Atomwaffenstaat gerne direkt bei unseren Nachbarn, vor allen Dingen, weil es natürlich die Amerikaner und Japaner und Südkoreaner hier sehr ärgert und auch beängstigt natürlich, was zu immer höheren, immer sich weiter entwickelnden Dynamiken in der Region natürlich führt. Ich denke, der Einfluss ist geringer als gedacht. Wachsende Frustration auf jeden Fall. Gleichzeitig ist die Herangehensweise in China einfach eine ganz andere, denn hier wird gesagt, wir bieten wirtschaftliche Hilfeleistungen an, um das Regime zu stabilisieren, damit alle wieder an einen Verhandlungstisch zurückgehen können. Ob sich das realisieren lässt, ist natürlich wieder eine andere Frage.

    Schulz: Phillip Schell vom Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI heute hier in den "Informationen am Mittag" im Deutschlandfunk. Danke Ihnen!

    Schell: Danke.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.