Freitag, 19. April 2024

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Friedenspreis des Deutschen Buchhandels an Martin Walser

Martin Walser erhält in diesem Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Das Überraschende an dieser Meldung besteht darin, daß er ihn erst in diesem Jahr erhält. Mit Walser wird endlich ein Schriftsteller und Intellektueller geehrt, der sowohl als Autor von literarischen Werken als auch als streitlustiger und streitbarer Zeitgenosse mit seinen Einlassungen in unser politisches Tagesgeschehen eine herausragende Erscheinung im geistigen Leben unserer Nation darstellt. Das war in der jüngsten Geschichte dieses Preises nicht immer so.

Hajo Steinert | 04.06.1998
    Der 1927 in Wasserburg geborene Martin Walser, Sohn eines Gastwirts, promovierte nach seinem Studium in Literaturwissenschaft über Franz Kafka zum Dr. phil. Er arbeitete für den Rundfunk, geriet dann als literarischer Debütant ihn den Sog einer legendären Schriftstellervereinigung, die "Gruppe 47". 1955 erhielt er in ihrem Namen seinen ersten literarischen Preis. Wie kein anderer deutscher Schriftsteller seiner Generation erwies sich Martin Walser seit seinem ersten, 1957 erschienenen Roman "Die Ehen in Philippsburg" als ein poetischer, bisweilen auch mit allen Wassern der Ironie gewaschener Chronist des deutschen Alltags, dem es vor allem auf eines ankommt: Geschichten zu erzählen, die ohne spektakuläre Pointen auskommen, aber doch so weit von unser aller Gegenwart abheben, daß sie uns fesseln, verblüffen, irritieren und - in deutscher Literatur sonst eher ein Fremdwort - unterhalten. Allerdings: zum schnellen Konsum eigneten sich Walsers Romane nie und eignen sich auch heute, beim Wiederlesen, nicht. Seine zwischen 1960 und 1973 erschienene Romantrilogie "Halbzeit", "Einhorn" und der "Der Sturz" sind Höhepunkte deutscher Erzählliteratur seit Kriegsende, auch die 1978 erschienene formvollendete Novelle "Ein fliehendes Pferd". Wie weit es mit midlife-crisis-geschädigten Männern heute geht, die partout nicht wahrhaben wollen, daß die männlichen Kräfte eines Tages versiegen - davon erzählt Martin Walser in diesem gleichermaßen von Kritikern wie von Lesern bejubelten Buch mit großer psychologischer Raffinesse.

    Von den politischen Ereignissen in Deutschland beseelt, veröffentlichte er 1991 den Roman "Die Verteidigung der Kindheit". Dieser großteils in Sachsen spielende Roman steht in unmittelbarem Zusammenhang zur gerade sich vollziehenden deutschen Einheit. "Finks Krieg" (1996) besticht vor allem als eine böse Satire auf die nicht nur in deutschen Amtsstuben waltenden "Tugenden" wie Machtgier, Kleinkariertheit und Karrieregeilheit. Als Versuch eines politisch-dokumentarischen Romans stieß "Finks Krieg" bei seinen Lesern allerdings auch auf geteilte Meinung.

    Neben seinen literarischen Arbeiten fand Martin Walser immer wieder Zeit, sich in die politischen Belange seines Landes einzulassen. Als erster Publizist in der Bundesrepublik startete er 1961 eine Wahlinitiative für die SPD. Ging es um die Belange des Arbeitslebens, gehört er zu den glühenden Verfechtern gewerkschaftlicher Rechte. In den sechzigern Jahren ging er mit seinem damals noch durchaus links angehauchtem Temperament so weit, daß er gedanklichen Berührungen mit den Kommunisten nicht aus dem Weg ging. Walser mahnte allerdings auch früh davor, es in Deutschland mit der auf der Tagesordnung stehenden Vergangenheitsbewältigung nicht so weit zu treiben, daß Worte wie Faschismus und Auschwitz zu Allerweltsschuldformeln gerinnen. Selbst in Tagen größter Gewaltausschreitungen gegen ausländische Mitbürger gehörte Walser zu denjenigen, die in den Desperados nicht nur Täter, sondern auch Opfer widriger Zeitumstände sahen. Als Walser das Wort von den "Skinheadbuben" prägte, mußte er heftige Kritik einstecken, die freilich übersah, daß Walsers gedankliche Provokationen nicht das Ergebnis einer Verharmlosung sind, sondern - um hier mit dem Titel eines seiner Essaybände zu sprechen - von "Deutschen Sorgen".

    Als politischer Querdenker in die deutsche Geistesgeschichte eingehen wird Martin Walser allerdings mit seinem rednerischen wie essayistischen Engagement für die deutsche Einheit. Er vertrat den Gedanken eines einigen Deutschland schon zu einer Zeit, da es unter Intellektuellen ganz und gar nicht als opportun galt, an eine Vereinigung von Bundesrepublik und DDR zu denken, geschweige denn sie zustimmend auszusprechen. Gegen alle intellektuellen Widerstände - zu nennen ist da vor allem sein geistiger Widerpart Günter Grass - gegen alle Miesmacher der deutschen Einheit hielt Martin Walser an ihrem Gedanken wie an ihrem politischen Vollzug selbst zu einer Zeit fest, da Deutschland in eine schwere Wirtschaftskrise schlitterte. Auch wenn Martin Walser keinen Hehl aus seiner Achtung vor den politischen Taten des amtierenden deutschen Bundeskanzlers macht, ein Parteigänger war der frischgebackene Friedenspreisräger des Deutschen Buchhandels nie und wird er auch nicht sein. Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels an Martin Walser ist nicht nur rechtens, es war für die Entscheidung höchste Zeit.

    O-Ton: Martin Walser

    walser.ram