Donnerstag, 25. April 2024

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Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
Carolin Emcke erhält als neunte Frau die Auszeichnung

Die Publizistin Carolin Emcke erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2016. Sie habe eine ganz klare, moralisch reflektierte Position, aus der heraus eine politische Haltung entstehe, aus der heraus sie schreibe, sagte Bernd Scherer, Leiter des Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW) im DLF, für das Emcke mehrere Projekte kuratiert hat.

Bernd Scherer im Gespräch mit Beatrix Novy | 24.06.2016
    Die Publizistin Carolin Emcke im Studio von Deutschlandradio Kultur.
    Die Publizistin Carolin Emcke erhält den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. (Deutschlandradio Kultur / Leila Knueppel)
    Beatrix Novy: Den Friedenspreis des deutschen Buchhandels gibt es, weil deutsche Verleger ihr Land nach dem Krieg wieder in den Kreis zivilisierter Nationen zurückführen wollten und in der Bevölkerung das humanistische Denken wieder verankern wollten, das die Nazis ihr ja gezielt ausgetrieben hatten. Der Preis spiegelte seither immer viel von den Diskussionen und Veränderungen der Gesellschaft.
    Carolin Emcke - lange war sie Kriegsreporterin - hat am Berliner Haus der Kulturen der Welt Projekte kuratiert. Das ist unser Zusammenhang. Der Leiter des HKW ist Bernd Scherer und die Frage an ihn lautet: Carolin Emcke und das Haus der Kulturen der Welt, das ist doch offensichtlich keine zufällige Verbindung.
    Bernd Scherer: Ja das hat mehrere Gründe. Das Programm, das sie kuratiert hat im Jahr 2014, hieß "Krieg erzählen". Es ging darum, sozusagen um die Kriege der letzten Jahrzehnte im Kontext natürlich der Kriegsgeschichte des 20. Jahrhunderts.
    Das Thema selbst hat schon sehr viele Beziehungen zu der Arbeit von Carolin Emcke. Einerseits ist sie ja Schriftstellerin, die gerade sich in vielen Jahren in die Krisengebiete dieser Welt gewagt hat. Sie war in Afghanistan, sie war in Ex-Jugoslawien, im Irak, sie reist permanent in die Gaza-Region und ihre Arbeit ist eigentlich über die Jahre, kann man sagen, eine systematische Auseinandersetzung mit Gewalt, sowohl Gewalt in der Welt, bedingt durch diese Krisengebiete, aber auch Gewalt in unserer eigenen Gesellschaft.
    Sie hat ja ein ganz wichtiges Buch geschrieben zum Beispiel zur RAF. In diesem Kontext war sie natürlich für uns eine wunderbare Person, um so ein Projekt wie "Krieg erzählen" oder die Auseinandersetzung mit Krieg zu kuratieren.
    "Es geht ihr nicht darum, Gewalt als Gewalt zu zeigen"
    Novy: Sie hat viel zu Krieg und Gewalt reflektiert. Das haben Sie ja gesagt. Wer das macht, der meint ja eigentlich den Frieden. Insofern ist jetzt auch dieser Friedenspreis schon ein sehr passender Preis für Carolin Emcke. Wie würden Sie das erklären? Woher kommt das, was der Auslöser? Ich meine, man geht ja auch nicht ganz von alleine in Kriegsgebiete, um von dort zu berichten. Was hat das zu tun mit ihrem Engagement für eine friedliche Gesellschaft?
    Scherer: Ja ich glaube, dass die Gewalt in der eigenen Gesellschaft - wie gesagt, diese Auseinandersetzung mit der RAF entsprang ihrer eigenen Erfahrung im erwachsen werden und da heraus ist diese Auseinandersetzung mit Gewalt systematisch weltweit erfolgt und hat dazu geführt, dass sie diese Krisengebiete besucht hat.
    Natürlich haben Sie absolut recht: Es geht ihr natürlich nicht darum, Gewalt als Gewalt zu zeigen, sondern aus einer moralischen Position heraus aufzuzeigen, wie kommt es zu Gewalt und was sind die Wege aus der Gewalt auch natürlich.
    Novy: Dass dies ausgerechnet der Tag ist, an dem die Briten für den Brexit gestimmt haben, glauben Sie, dass das ein Wermutstropfen für Carolin Emcke ist?
    Scherer: Ich glaube, diese Auseinandersetzung mit Gewalt ist für sie auch immer die Frage, wie können Menschen zusammen leben. Und ich glaube, da ist es ein ganz trauriges Signal, dass das Experiment Europa zumindest heute sehr gefährdet scheint, nicht nur durch den Brexit bedingt, aber der Brexit ein erster großer Schnitt ist in der Entwicklung zu Europa, wie wir es in den letzten Jahren und Jahrzehnten hatten. Ich denke, das ist ein sehr trauriger Tag für sie, auch wenn die Verleihung des Preises für sie natürlich auch ein großes Glücksmoment ist.
    Novy: Und die Idee von Inklusion nicht nur zwischenstaatlicher Art, sondern für wirklich offene Gesellschaften ist ja auch etwas, was sie sehr umtreibt.
    Scherer: Ja. Der Inklusionsaspekt ist eigentlich zentral für sie auch als Intellektuelle, wie sie sich in der Gesellschaft verstehe. Sie ist ja eine der wenigen Public Intellectuals, die wir in Deutschland haben. Das heißt, eine Frau, die auf der einen Seite hoch reflektiert sich mit Gesellschaft auseinandersetzt und auf der anderen Seite aber dank ihrer Sprache und der Art und Weise der Darstellung große Teile dieser Gesellschaft erreicht. Es geht ihr auch natürlich immer darum, auf Gesellschaft Einfluss zu nehmen, nicht Theorie als Theorie zu betreiben, sondern aus einer theoretischen Reflexion heraus politisch und gesellschaftlich zu wirken.
    "Sie versteht Sprache als einen ästhetischen Prozess"
    Novy: Wenn Sie Carolin Emcke als publizierende Intellektuelle beschreiben wollten, was wären für Sie die hervorstechenden Merkmale?
    Scherer: Sie hat eine ganz klare, moralisch reflektierte Position, aus der heraus eine politische Haltung entsteht, aus der heraus sie schreibt. Das ist der eine Gesichtspunkt, diese moralische Integrität ihrer Position. Der andere Aspekt betrifft das Schreiben selbst. Sie versteht Sprache und das Schreiben als einen ästhetischen Prozess. Das heißt, ihre Sprache hat eine Musikalität, dank derer sie auch so viele Menschen erreicht.
    Novy: Bernd Scherer war das über die frisch gekürte Friedenspreisträgerin Carolin Emcke, immerhin die neunte Frau seit 1950, die diesen Preis bekommt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.