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Friedliche Koexistenz

Das Nebeneinander staatlicher und privater Schulen funktioniert in Nordrhein-Westfalen gut. Die Bedingungen für Privatschulen gelten hier als besonders günstig, das Land übernimmt einen Großteil der Kosten. Dafür dürfen sie kein Schuldgeld verlangen.

Von Andrea Lueg | 10.03.2011
    "Wir haben seit mehr als zwölf Jahren 'ne Nachfrage, die wir kaum bewältigen können, das ist unser Hauptproblem. Denn wenn wir dann auswählen unter den vielen, vielen Anmeldungen, viele dieser Kinder führen das dann auf sich zurück, aber es ist eine reine Platzfrage. Aber das belastet mich sehr, diese Form der Auswahl tätigen zu
    müssen."

    Gundula Meisterjahn ist die Direktorin von Schloß Hagerhof, einem Privaten Gymnasium, Realschule und Internat in Bad Honnef, vor den Toren Bonns. Das pädagogische Konzept orientiert sich an Montessori, die Ganztagsbetreuung geht von 8.15 Uhr bis 22 Uhr, das Angebot an Freizeitgestaltung kann sich sehen lassen: Schaupielern, Basketball, Musikunterricht stehen zum Beispiel auf dem Programm.

    Kein Wunder also, dass vielen Eltern diese Schule ideal für ihren Nachwuchs erscheint. Auf 600 Plätze kommen regelmäßig doppelt so viele Bewerber. Und auch die Umgebung erfüllt so ungefähr alle Klischees, die man mit Privatschule verbindet: im Wald gelegen, ein altes Schloss, drumherum nur Natur, nebenan ein Pferdehof. Innendrin hohe Decken und knarzende Holzdielen. 350 Euro monatlich kostet die Schule, wenn ein Kind ins Internat geht 1350 Euro. Für Normalverdiener schwerzu stemmen.

    "Wir leben hier natürlich in einem Einzugsgebiet, das wirtschaftlich vernünftig da steht, wo es auch vielen Eltern recht gut geht. Wir haben dennoch auch Kinder von alleinerziehenden Elternteilen, auch von Arbeitslosen, die bei uns sind, wo wir Möglichkeiten finden, auch solchen Kindern den Schulbesuch zu ermöglichen."

    Die Eltern der Hagerhofschüler sind nicht unbedingt reich, aber in jedem Fall sehr stark an der Bildung interessiert und häufig selbst auch Akademiker. Schloss Hagerhof ist eine Ersatzschule, das heißt sie ist staatlich anerkannt und untersteht staatlicher Aufsicht. 85 Prozent der Kosten, die auch an einer vergleichbaren öffentlichen Schule entstehen würden, bekommt sie vom Staat zurück, weil sie in Nordrhein-Westfalen liegt.

    Denn hier gelten die Bedingungen für Privatschulen als besonders günstig. Für die Nutzung von Schulgebäude und -einrichtung kommen maximal noch einmal neun Prozent obendrauf. Dafür dürfen Privatschulen in NRW kein Schulgeld verlangen. Was die Eltern im Hagerhof und anderen privaten Schulen zahlen, ist ein freiwilliger Beitrag. Er geht an einen Förderverein, aus dem die Schule die restlichen Pro-Kopf-Kosten und Extra-Angebote begleicht.

    "In Nordrhein-Westfalen ist es so, dass das Ersatzschulfinanzgesetz wie ich meine vernünftig refinanziert, sodass private Ersatzschulen das schaffen können. Wir sagen auch immer, wir sind eine öffentliche Schule in privater Trägerschaft, um deutlich zu machen: Wir leisten zumindest das, was öffentliche Schulen auch leisten. Ich finde, wir gehen darüber hinaus, indem wir Eigenmittel einsetzen, und das finde ich nach wie vor ungerecht. Dennoch sind wir in NRW zufrieden mit dem, was wir haben."

    Privatschulen sind, selbst wenn sie nicht über mehr Geld verfügen, flexibler im Umgang mit ihren finanziellen Mitteln: Sie können sich ihre Lehrer immer selbst aussuchen, haben beim Personal wenig Fluktuation und meist in der Schülerschaft deutlich weniger Problempotenzial als öffentliche Schulen. Diese Vorteile lösen auch bei der staatlichen Konkurrenz in NRW keine Begeisterung aus.

    "Also, diese Flexibilität, die wir haben, wird neidvoll gesehen. Gleichwohl verstehen wir uns überhaupt nicht als Konkurrenz, die öffentlichen Schulen sehen das auch so, weil jede Schule hier in Bad Honnef einen anderen Schwerpunkt hat."

    Tatsächlich funktioniert die Koexistenz staatlicher und privater Schulen trotz des kleinen Neidfaktors in Nordrhein-Westfalen reibungslos. Die Gemeinde Bad Honnef unterstützt ebenso wie andere Gemeinden das Angebot des privaten Trägers, und Gundula Meisterjahn sieht sich auch vom Düsseldorfer Ministerium anerkannt und unterstützt.

    Das friedliche Nebeneinander begründet sich vielleicht auch dadurch, dass Privatschulen in NRW eine lange Tradition haben. Und trotzdem ist Udo Beckmann vom Lehrerverband vbe kein dezidierter Anhänger von Privatschulen:

    "Also eigentlich brauchten wir keine Privatschulen, da es Aufgabe des öffentlichen Schulwesens ist und Aufgabe des Staates ist, seine Schulen so auszustatten, dass sie allen Kindern gerecht werden."

    Privatschulen entstehen, so Beckmann, wenn staatliche Schulen nicht das leisten, was sie müssen. Danach müsste allerdings bei den öffentlichen Schulen einiges im Argen liegen, denn zum Beispiel in NRW steigt die Zahl der Schüler, die auf private Schulen gehen seit Jahren beständig, im letzten Jahr erreichte der Anteil 7,6 Prozent, bei Gymnasien sind es sogar 16Prozent aller Schüler. Gerade diese Entwicklung ist Beckmann, dessen Verband alle Lehrer außer die an Gymnasien vertritt, ein Dorn im Auge.

    "Und das lässt natürlich darauf schließen, dass es gerade in diesem Bereich viele Eltern gibt, die möchten, dass ihre Kinder in einem ganz bestimmten sozialen Milieu zur Schule gehen."

    Doch grundsätzlich lehnt auch Beckmann private Schulen nicht ab. Etwa, wenn Eltern eine Schule gründen…

    "…weil zum Beispiel ein bestimmtes pädagogisches Konzept verfolgt wird, das haben wir auch, in bestimmten Bereichen, kann ich es sehr gut nachempfinden, dann finde ich das auch in Ordnung, wenn der Zugang für alle Kinder gesichert ist."

    So wie in der Freien Aktiven Schule in Wülfrath zum Beispiel. Gegründet von Kirstin und Robert Freitag ist die Schule heute mitten in der Stadt in einem ehemaligen Unternehmensgebäude untergebracht. 80 Kinder gehen hier in die Grundschule und 85 in die Realschule. Keines zahlt mehr als 100 Euro im Monat. Die Freitags fanden an staatlichen Schulen einfach nicht das, was sie sich für ihre eigenen Kinder wünschten. Deshalb entwickelten sie ein eigenes Konzept.

    Für Grundschulen sind die Regeln zur staatlichen Anerkennung als Ersatzschule besonders streng, ganze fünf Jahre dauerte das Verfahren. Doch immerhin konnte der Schulbetrieb dann ohne nennenswerte Schulden aufgenommen werden. Auch das hat mit den Bedingungen in NRW zu tun, erklärt Robert Freitag:

    "Wenn Sie sicherstellen können, dass Sie den Schulbetrieb auf-und ausbauen können in der kompletten Größe, dann können Sie auch schon eine endgültige Genehmigung und damit auch Geld bekommen."

    Fünf Jahre hat es gedauert, bis das pädagogische Konzept der Freitags akzeptiert wurde, das ist für eine private Schule unerlässlich. Vom ersten Tag des Schulbetriebes an aber, bekam ihre Schule öffentliches Geld. Das ist in NRW einmalig im Bundesgebiet. In anderen Bundesländern bekommen Privatschulen in den ersten Jahren ihres Betriebes gar keine staatliche Unterstützung, in Bayern sogar unter Umständen erst nach sechs Jahren.

    So eine lange Wartefrist wäre für die Freitags nicht möglich gewesen. Die Eltern der Kinder müssen regelmäßig mit anpacken und haben sich zum Beispiel auch bei der Möblierung der Schule aus Büroauflösungen als kreativ erwiesen. Von dieser Unterstützung ist die Schule abhängig, sagt Robert Freitag.

    "Und, das muss man auch eindeutig sagen, letztlich von der Unterstützung der Kommune, wir haben von Anfang an die politischen Parteien eingebunden in das, was wir tun."

    Zu Bürgermeister und Stadtverwaltung bestehen gute Kontakte. Zu den anderen Schulen in der Gemeinde herrscht eher Funkstille. Das mag auch daran liegen, dass gerade Grundschulen in ländlicheren Gemeinden immer häufiger ums Überleben kämpfen müssen und daher die private Konkurrenz kritisch beäugen. Doch dass Privatschulen den staatlichen den Rang ablaufen, darüber macht man sich in NRW noch keine Sorgen.