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Friedrich II. von Preußen
Weitgehende Abschaffung der Folter vor 275 Jahren

Bis ins 18. Jahrhundert war sie so selbstverständlich, dass sich kaum ein Jurist ihre Abschaffung vorstellen konnte: die Folter. Kurz nach seinem Regierungsantritt ließ Friedrich II. von Preußen die Folter stark einschränken. Für viele Zeitgenossen ein unerhörter Schritt, in der Forschung ist bis heute umstritten, ob Friedrichs neues Gesetz nur eine zaghafte Reform war oder ein wegweisender Schritt.

Von Christian Berndt | 03.06.2015
    Ein Denkmal Friedrich des Großen (1712-1786) - Friedrich II. - in Kloster Zinna
    Ein Denkmal Friedrich des Großen (1712-1786) - Friedrich II. von Preußen (picture alliance / dpa / Ralf Hirschberger)
    "Wer sind seine Mitwisser?" - "Ich habe alles allein geplant." - "Ich will die Wahrheit. Der Angeklagte muss auf die Folter gelegt werden!"
    Der König droht dem eigenen Sohn die Folter an - hier in einer Verfilmung. Friedrich hatte vor dem tyrannischen Vater fliehen wollen, wurde aber gefasst und eingesperrt. Seinen engen Freund Katte folterte man und ließ ihn vor seinen Augen hinrichten. Möglicherweise hat auch dieses Erlebnis Friedrich II. von Preußen dazu bewogen, nur drei Tage nach Regierungsantritt die Kabinettsorder vom 3. Juni 1740 zu erlassen:
    "Seine Königliche Majestät in Preußen haben aus bewegenden Ursachen resolvieret, die Tortur gänzlich abzuschaffen, außer bei Majestätsverbrechen, Landesverräterei, auch den großen Mordtaten, wo viele Menschen ums Leben gebracht."
    Die Folter war in bestimmten Fällen weiterhin zulässig - allerdings nur mit Zustimmung des Königs. Die Juristen stellte die neue Order vor ein unlösbares Problem. Seit Jahrhunderten war die Folter zentraler Bestandteil des Strafprozesses. Die Anwendung von Daumenschrauben, die Streckfolter mit Seilwinde und das Verbrennen einzelner Hautpartien waren legale Mittel, um von einem beharrlich schweigenden Angeklagten ein Geständnis zu erzwingen. Denn ohne Geständnis konnte ein Richter keinen Angeklagten verurteilen. Der Rechtswissenschaftler Mathias Schmoeckel:
    "Wir sind heute überzeugt, mithilfe von technischen Indizien die Täter überführen zu können. Das alles kannte man im 18. Jahrhundert nicht, gerade Indizien galten als irreführend, auch Zeugenbeweise wurden angezweifelt, es könnten Feinde sein, die jemanden nur böse hineinreiten wollten, sodass also das zentrale Beweismittel das Geständnis blieb."
    Das neue Gesetz war widersprüchlich
    Für die Juristen war das größte Problem, dass es in der Order keine Alternative zum Geständnis gab. Und das neue Gesetz war widersprüchlich. Einerseits sollte die Folter ganz abgeschafft werden, andererseits galten Ausnahmen, etwa bei Bandenverbrechen, um Mitwisser zu überführen, oder bei Attentaten auf den König. Um Angeklagten auch weiterhin mit der Anwendung drohen zu können, wurde die Veröffentlichung verboten. Friedrich musste Kompromisse eingehen:
    "Er ist überzeugt als Philosoph - wir haben ja hier den Unfall des Philosophen auf dem Throne - dass die Abschaffung der Folter notwendig sei, aber um die Juristen zu besänftigen, die auch Widerspruch gegen den König erhoben, sind diese Ausnahmen noch beibehalten."
    Bereits seit Ende des 16. Jahrhunderts wurde über den Sinn der Folter gestritten. Für Philosophen der Aufklärung wie Pierre Bayle, dessen Schriften der hoch gebildete Friedrich gelesen hatte, war sie das Symbol barbarischer Rückständigkeit. Dagegen argumentierten die Juristen fast einhellig für die Beibehaltung. Gegen deren Widerstand und den seiner Berater zeigte der junge König erstaunliches Durchsetzungsvermögen. Doch viele Richter umgingen das neue Gesetz, indem sie die Folter - entgegen Friedrichs Anordnung - durch Schläge oder Essensreduktion ersetzten. Diese sogenannten Gehorsamsstrafen konnten sogar schlimmer ausfallen, weil sie völliger Willkür unterlagen. Die klassische Folter war dagegen stark reglementiert. Nicht nur, dass ein Angeklagter nach dreimaliger, erfolgloser Tortur freigelassen werden musste:
    "Unter Umständen gab es sogar die Möglichkeit, Fehlurteile auf den Richter spiegelnd zu übertragen, sodass er das erleiden musste, was er selber unrechtmäßigerweise dem Inquisiten angetan hatte. Sodass die Richter durchaus gewarnt waren, nicht über die Stränge zu schlagen."
    Zunächst ein unausgegorenes Experiment
    Das Folterverbot Friedrichs II. war zunächst ein unausgegorenes Experiment, aber es wurde in den folgenden Jahrzehnten durch weitere Gesetze ergänzt. Wegweisend war die Order von 1754, die es Richtern erlaubte - wenn sie von der Schuld des Angeklagten überzeugt waren - das Geständnis vorauszusetzen. Das preußische Beispiel strahlte aus in ganz Europa. Zwar schränkten auch andere Staaten die Folter im 18. Jahrhundert ein. Doch dass Preußen entgegen der Warnungen nicht in Anarchie versank, sondern weiterhin den Ruf des geordneten Musterstaates genoss, überzeugte. Und wirkte richtungsweisend.
    "Im Grunde genommen stößt Friedrich II. damit eine Entwicklung an, die zu einer Umbewertung des Verhältnisses von Staat und Individuum führt. Nicht mehr der Staat steht im Vordergrund, der geschützt werden muss, sondern das Individuum, also die Humanität."
    Noch rund 100 Jahre dauerte es, bis die Folter in allen deutschen Staaten endgültig abgeschafft war. Weltweit ist die Folter bis heute üblich, in zwei Drittel der Staaten wird sie immer noch angewendet.