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Debatte um konservative Werte
"Union muss sich von Populismus absetzen"

Prinzipientreue, Sicherheit, christliches Akzente - die Union könne durchaus mit konservativen Werten ein breites Wählerspektrum ansprechen, sagte der Parteienforscher Karl-Rudolf Korte im DLF. Sie verpasse aber zu häufig die Chance, für Minderheiten als eine Bereicherung der Gesellschaft zu werben.

Karl-Rudolf Korte im Gespräch mit Peter Kapern | 30.12.2014
    Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte
    Korte: Eine Partei der Mitte muss für Vielfalt werben. (imago stock&people)
    Korte sagte weiter, Ex-Innenminister Hans-Peter Friedrich habe mit seiner Kritik an Kanzlerin Angela Merkel recht, wenn es darum gehe, wieder eine Diskussion in der Union anzustoßen. Derzeit seien alle überrascht, wenn es überhaupt noch Unionspolitiker gebe, die etwas kritisierten. Dass man den Konservatismus der Unionsparteien derzeit infrage stelle, sei ein Indiz dafür, "dass es zu wenige in der Union gibt, die sich dazu auch bekennen".
    "Wo ist der förderale Wettbewerb, der die Union historisch stark gemacht hat?" Früher habe das Thema Konservatismus Parteitage bestimmt, es habe Debatten zwischen den konservativen und liberaleren Landesverbänden gegeben. "Die Stärke der Länder im Wettbewerb zwischen liberal, konservativ, christlichen, modernen, bürgerlichen, welchen Werten auch immer - diese Auseinandersetzung fehlt."
    Die Union verpasse zudem immer häufiger die Chance, dafür zu werben, dass die Minderheiten die Gesellschaft bereicherten, so Korte. Wenn man aus der Mitte heraus Wahlen gewinnen wolle, müsse man zwar Sicherheitsthemen ansprechen und versuchen, Gewissheiten herzustellen in einer Zeit, in der niemand mehr Gewissheit versprechen könne - aber niemals gegen andere. "Da hat natürlich die Union wichtige Funktionen, zivilisatorische Standards in der Mitte der Gesellschaft zu setzen - genau wie die anderen Parteien in der Mitte - auch um sich gerade gegen den Populismus der Extreme abzusetzen."

    Peter Kapern: Vielleicht ist die Union ja ein Fall für den Therapeuten. Da sitzt Angela Merkel unangefochten im Kanzleramt, alles, was sich politische Konkurrenz nennt, reicht ihr allenfalls bis zum Bauchnabel, und nicht nur in Umfragen, nein, auch in echten Wahlergebnissen ist es ausschließlich die Union, die oberhalb der 40-Prozent-Marke liegt. Andererseits zeigen sich Teile der Unionsparteien immer wieder als vom Phantomschmerz geschüttelte Patienten. Immer, wenn sich hier oder dort ein paar Bürger organisieren, um vor dem Islam oder vor der Gleichberechtigung Homosexueller oder vor der Abschaltung der Kernkraftwerk oder der Abschaffung der Hauptschule zu warnen, werden Unionspolitiker von diesem konservativen Phantomschmerz befallen. Jüngster Fall: Die Attacken des früheren Ministers Hans-Peter Friedrich auf Angela Merkel, die seiner Meinung nach mitverantwortlich für das Entstehen von Pegida ist.
    Bei uns am Telefon ist der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte von der Universität Duisburg-Essen. Grüße Sie, Herr Korte!
    Karl-Rudolf Korte: Guten Morgen, Herr Kapern!
    Kapern: Klären wir das vorab, Herr Korte: Hat Hans-Peter Friedrich mit seiner Kritik an Angela Merkel recht?
    Korte: Er hat recht, wenn es darum geht, eine Diskussion anzustoßen, wieder mit Argumenten zu werben, eine Suchbewegung zu starten, all das anzutreiben, was eigentlich eine lebendige Partei ausmacht. Und deswegen hat er auch so viel Resonanz, dass die Leute irritiert sind, dass es noch Leute gibt, die überhaupt etwas kritisieren.
    Kapern: Also die Diskussion über das Konservative ist durchaus berechtigt. Gleichwohl stellt sich die Frage: Einem Spagat sind ja Grenzen gesetzt, die von der Länge der Beine definiert werden, und deshalb, erklären Sie uns doch mal: Wie breitbeinig kann sich die Union eigentlich aufstellen? Kann Sie sich homosexuellen Großstadt-Atomkraftgegnern mit Sympathien für die CDU-Wirtschaftspolitik genauso angenehm machen wie provinziellen Islamophoben beispielsweise? Kann sie die Wähler der Grünen genauso anlocken wie die der AfD?
    Korte: Ja, wenn man Volkspartei sein will, muss man wie eine Sammlungsbewegung durchaus daher kommen.
    Die christliche Ressource könnte als Klammer dienen
    Kapern: Aber wie geht das unter einen Hut?
    Korte: Das geht schon, wenn man es wertkonservativ anlegt. Diese christliche Ressource, die die Union ja hat, mit der könnte sie als Klammer punkten in einer Zeit, in der wir ohnehin durch Gewissheitsschwund ja gekennzeichnet sind. Eine Zeit, die ja wie eilige Epochen daherkommt. Durcheinander, neue Grenzen, neue Probleme – Sie haben die vielen Themen angesprochen. Da orientieren sich Wählerinnen und Wählern, Bürger an einzelnen Personen, die Orientierungsautoritäten. Und die Union hat im Moment den Vorteil, dass sie eben mit Merkel auch eine Person hat, an der man sich orientiert. Pragmatismus ist ein Grundzug der Zeit. Und da kann man sich Kleininteressen, Kleinmilieus herbeisehnen; die gibt es, aber die sind nicht als Klammer brauchbar.
    Kapern: Aber noch mal nachgefragt, Herr Korte: Warum sollte ein Großstadtbürger, wie ich ihn eben natürlich zugespitzt skizziert habe, eine Partei wählen, die gleichzeitig Verständnis zeigt für islamophobe Demonstranten?
    Korte: Na ja, die Partei, die strahlt erst mal aus etwas, was in vielen Dingen man vielleicht als Lebensschutzpartei auszeichnen würde, mit einer Ethik der Rechtsbefolgung. Alles Dinge, die vielleicht wie eine Minderheit heute daherkommen, aber es gibt auch wirkungsvolle Minderheiten, gerade dann, wenn man christliche Aspekte ansetzt, um bürgerliche Wähler auch ansprechen zu können. Diejenigen, die verunsichert sind, sind ja in der Mitte verunsichert. Eine Angstmitte, die ja nicht als Modernisierungsverlierer daherkommt, sondern eher als Modernisierungsverunsicherte, Status-quo-Unsicherheiten, und deswegen über alles, was fremd ist, was anders ist, erst mal nicht nur nachdenken, sondern vielleicht sich auch politisch zurückziehen. Und hier muss eine Partei, die den Anspruch hat, Volkspartei zu sein, in der Mitte für werben, dass diese Vielfalt, dass die Unübersichtlichkeit vielleicht am Ende viel sicherer ist als das, was man bisher geglaubt hat.
    Kapern: Das Jammern über den Phantomschmerz angesichts des Verlusts des Konservativen, das ist ja nicht neu, Herr Korte. Das hören wir ja in regelmäßigen Abständen schon seit vielen Jahren immer wieder aus der Union. Da heißt es dann, die Partei vernachlässige oder verliere gerade ihre konservative Stammwählerschaft. Und genauso regelmäßig wird dann immer wieder die Frage gestellt, was ist das eigentlich heute, konservativ? Haben Sie darauf schon mal eine schlüssige Antwort aus den Reihen der Union gehört?
    Korte: Ja, schon. Das wird oft beschrieben mit Prinzipientreue und trotzdem sich dem Wandel zu stellen. Viele, die in der Tat mit wertkonservativen, also christlichen Begrifflichkeiten in dem Zusammenhang arbeiten, pragmatisch wertegebunden, so wird das oft umschrieben. Aber dass uns das auffällt, ist doch ein Indiz, dass es zu wenige in der Union gibt, die sich dazu auch bekennen. Und wo ist der föderale Wettbewerb, der die Union historisch stark gemacht hat, über Landesverbände, die eben dann auch wie beispielsweise beim Thema Konservatismus, als Hessen immer groß da waren und auch Parteitage bestimmt haben gegenüber den eher linken, sozialpolitisch ausgerichteten CDUlern aus NRW zum Beispiel. Also die Stärke der Länder im Wettbewerb zwischen liberal, konservativ, christlichen, modernen, bürgerlichen – welchen Werten auch immer. Diese Auseinandersetzung fehlt doch, und deswegen fällt immer ein Phantomschmerz an solchen Tagen dann auf, wenn einer mal irgendetwas vermisst.
    "Viele Wähler favorisieren Sicherheit mehr als Gerechtigkeit"
    Kapern: Nehmen Sie es mir nicht übel, Herr Korte, aber ich muss doch feststellen, dass Ihre Beschreibung des Konservativen sehr abstrakt war und eigentlich von konkreten Themen abgehoben. Lassen Sie mich die Frage noch mal etwas wenden: Es fällt ja auf, dass diese Phantomschmerzen über den Verlust des Konservativen quasi in der Form einer politischen Affekthandlung immer wieder über Teile der Union kommen, vor allem vor Wahlen. Da werden dann Unterschriften gegen die doppelte Staatsbürgerschaft gesammelt oder es wird gedroht, wer betrügt der fliegt – die Liste ist lang und reicht weit zurück. Erschöpft sich das Konservative dann immer in so einem affektiven Ressentiment gegen Minderheiten?
    Korte: Ja, so kommt es daher. Und dann hat das Konservative eigentlich nichts Liberales mehr. Es wirkt dann wie konservativ für so eine bürgerliche Komfortzone. Aber wer nur für Komfortzonen am Ende Wähler mobilisiert, der kann sich auch nicht mehr als Volkspartei bezeichnen. Das Konservative ist etwas, was immer mit Sicherheit in Deutschland verbunden ist, und dieser Sicherheitsaspekt ist eben letztlich etwas, was viele Wähler viel mehr favorisieren als Gerechtigkeitsfragen. Und deswegen ist dieses Land auch grundsätzlich politisch-kulturell konservativer als andere Länder. Aber das hat nichts, oder das kann nicht verdrängen den liberalen Grundzug, den auch konservative Parteien zumindest in Deutschland immer hatten.
    Kapern: Das Konservative hat dann nichts Liberales mehr. Das klingt so ein wenig, als müsse man das Unvereinbare vereinbar machen, also Schalke und Dortmund unter einen Hut bringen oder Feuer und Wasser miteinander vereinen.
    Korte: Ja, je größer Sie das sehen, das sehen, welche Begeisterung, auch identitätsstiftende Begeisterung im Ruhrgebiet der Fußball hat, wenn Sie so an das Thema herangehen, können Sie diese beiden Vereine durchaus zusammenbringen.
    Kapern: Ist das Konservative nur noch eine taktische Kategorie? Ich habe ja eben schon mal darauf hingedeutet, dass insbesondere diese Phantomschmerzen bei der Union immer vor Wahltagen auftreten und sich dann gegen Minderheiten richten, jedenfalls im Subsens gegen Minderheiten richten. Ist das also nur noch etwas, das taktisch betrieben wird vor Wahlen?
    Korte: Also so, wie Sie das Konservative in dem taktischen Momentum beschreiben, ist es reiner Populismus. Populismus aus der Mitte heraus gegen Minderheiten gerichtet. Und diesen Populismus der Mitte, den gibt es natürlich auch bei Volksparteien, gerade wenige Tage vor der Wahl. Der Populismus der Extreme, der treibt uns um im Moment, wie in anderen europäischen Ländern auch, den gilt es zu verhindern. Ich glaube nicht, dass man diesen Populismus der Mitte vor Wahltagen wirklich verhindern kann. Aber dass Sicherheitsthemen, Status-quo-Ängste, der Versuch praktisch Gewissheiten herzustellen in einer Zeit, in der niemand mehr Gewissheit versprechen kann - dass Wähler beschäftigt, dass Parteien das tun müssen, das ist, glaube ich, der wichtigste Akzent, wenn man aus der Mitte heraus Wahlen gewinnen muss. Aber nie natürlich gegen andere. Und da hat gerade die Union, wenn wir darüber sprechen, wichtige Funktionen, zivilisatorische Standards in der Mitte der Gesellschaft zu setzen, genau wie die anderen Parteien der Mitte auch, um sich gerade gegen den Populismus der Extreme abzusetzen.
    Union verpasst immer wieder die Chance, für Minderheiten zu werben
    Kapern: Aber scheitert die Union an dieser Aufgabe, die Sie da gerade beschrieben haben, wegen des auch von ihr selbst betriebenen Populismus dann immer wieder?
    Korte: Sie scheitert an manchen, vereinzelten Wahltagen ganz sicher, aber nicht insgesamt. Das würde ich doch jetzt so nicht sehen. Sie hätte viele Chancen auf dem letzten Parteitag zum Beispiel gehabt, über diese Angst mitzudiskutieren und mit zivilisatorischen Standards der Mitte auch dagegen anzugehen, zu werben aus einer vielleicht Minderheitenposition heraus, dass wir Minderheiten als Reichtum, als Schatz in dieser Gesellschaft brauchen. Und diese Chance verpasst die Union immer häufiger. Und das ist eigentlich das, was zu kritisieren ist. Nicht die Suche nach Dingen, die es vielleicht nicht geben kann.
    Kapern: Können Sie uns spontan ein attraktives und plausibles Drei-Punkte-Programm für eine wieder richtig konservative Union nennen?
    Korte: Ja. Sicherheit, würde ich mal sagen, Sicherheitskonservatismus als ein Thema, bei dem es um Verlässlichkeit geht. Ausbau durchaus des Sozialstaats, das hängt auch mit Sicherheit zusammen. Und vor allen Dingen, Primat der Politik. Auch das ist etwas, was aus so einer bürgerlichen Mitte heraus die Union als Thema setzen kann. Denn wenn der Staat, wenn die Politik wieder regeln kann, und nur Politik ist dafür legitimiert, bringt das auch einen Qualitätssprung für die Demokratie.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.