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Friedrich: Menschen muslimischen Glaubens sind Teil unserer Gesellschaft

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich und Islamwissenschaftler Abdelmalik Hibaoui sind sich einig, dass ein deutscher Islam am Grundgesetz orientiert sein muss. Im Gegensatz zu Hibaoui hält Friedrich kopftuchtragende Lehrerinnen für "problematisch".

Hans-Peter Friedrich und Abdelmalik Hibaoui im Gespräch mit Stephan Detjen | 27.03.2011
    Das Interview mit Hans-Peter Friedrich und Abdelmalik Hibaoui hören Sie am Sonntag ab 11.05 Uhr im Deutschlandfunk.

    Stephan Detjen: Das Interview der Woche im Deutschlandfunk - heute in einer besonderen Form, nämlich mit zwei Gesprächspartnern, die ich beide in unserem Hauptstadtstudio in Berlin begrüße. Zum einen der neue Bundesinnenminister. Hans-Peter Friedrich, guten Tag Herr Minister Friedrich.

    Hans-Peter Friedrich: Grüß Gott.

    Detjen:Und an seiner Seite Abdelmalik Hibaoui. Er ist Islamwissenschaftler, Imam in Stuttgart und Mitglied der Deutschen Islamkonferenz, also dem 2006 vom damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble gegründeten Diskussionsforum der Bundesregierung mit Vertretern der Islamischen Religion und Kultur in Deutschland. Willkommen Herr Hibaoui.

    Abdelmali Hibaoui: Vielen Dank

    Detjen: Herr Minister, die Islamkonferenz tritt am kommenden Dienstag zu ihrer ersten Plenarsitzung unter Ihrer Leitung zusammen. Wie werden Sie den Mitgliedern erklären, dass die Religion von vier Millionen Menschen in Deutschland nach Ihrer Auffassung nicht Teil dieses Landes ist?

    Friedrich:Also ich glaube, ich kann den Mitgliedern erklären, was ich auch bei dieser Pressekonferenz, die so oft zitiert wird, gesagt habe, nämlich dass ich der Meinung bin, dass die Menschen muslimischen Glaubens, die hier in Deutschland sind, ein Teil unserer Gesellschaft sind. Und ich denke, dass es für den Innenminister Aufgabe ist, für diese Menschen da zu sein und dafür zu sorgen, dass sie in einem guten Integrationsprozess in Deutschland leben können.

    Detjen: Aber diese Pressekonferenz, die Sie ansprechen, war so zusagen Ihre erste Amtshandlung. Da haben Sie dem Bundespräsidenten widersprochen, der gesagt hatte, der Islam ist inzwischen Teil dieses Landes. Sie haben, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, gesagt: Das lässt sich zumindest historisch nicht begründen. Also, ist der Islam nun Teil Deutschlands oder ist er es nicht?

    Friedrich:Also noch mal: Für mich ist das Entscheidende, dass die Menschen hier zu dieser Gesellschaft gehören. Und das ist im Grunde auch die Aufgabe der Politik, sich damit auseinander zu setzen, wie diese Menschen integriert werden können, wie man ihnen auf dem Weg zu dieser Integration zur Seite stehen kann. Das ist das Entscheidende. Ich finde es sehr schade, dass das, was ich damals gesagt habe - was ja durchaus zwei Teile hatte -, dazu benutzt wurde, einen Keil zu treiben zwischen den Muslime und mich. Und das zeigt mir eigentlich, dass die, die mich so scharf kritisiert haben, eigentlich nur ein Ziel hatten, nämlich zu spalten und nicht zusammen zu führen. Und ich muss sagen: Ich bin dazu da, zusammenzuführen. Und ich möchte das auch bei der Islamkonferenz deutlich machen.

    Detjen: Aber noch mal: Ich glaube, die Frage bewegt ja viele Menschen, und die Äußerung hat einen Nerv getroffen offenkundig. Es geht nicht nur um Muslime, die hier leben, sondern es geht um den Ausdruck von Kultur, um die Ausdrücke von Religiosität, um Werte, die eine Religion verkörpern. Deshalb geht es um den Islam. Wie ist das Verhältnis Deutschlands zum Islam?

    Friedrich:Also ich finde schon, dass man auch dem deutschen Innenminister zubilligen muss, dass er darauf hinweist, dass die deutsche Kultur christlich-abendländisch geprägt ist. Also ich denke, dass das nicht zu viel verlangt ist, dass ich das auch sagen darf.

    Detjen: Herr Hibaoui, Deutschland ist geschichtlich ohne Frage stärker von der christlichen Religion und Kultur geprägt als von der islamischen. Was heißt das für einen Muslim und für den Islam heute in Deutschland?

    Hibaoui:Die Frage, ob der Islam Teil Deutschlands ist: Ich glaube, diese Frage hat schon der ehemalige Innenminister Herr Schäuble und auch der Nachfolger von ihm, Herr de Maizière, beantwortet. Auf jeden Fall muss jeder sehen: Seit 50 Jahren ist der Islam hier in Deutschland ein Teil der Bevölkerung, und der Islam ist somit auch inzwischen ein Teil der gewissen Vielfalt in unserem Land. Es ist aber nach wie vor ein Islam, der türkisch, arabisch, bosnischer geprägt ist. Wenn wir über einen so genannten "deutschen Islam" reden, dann können wir das erst, glaube ich, wenn Imame, Theologen und Lehrkräfte in den Hochschulen hier ausgebildet werden, die nachher für die islamischen Gemeinden so zusagen Mitarbeiter sind und tätig werden.

    Detjen: Kann es einen deutschen Islam geben - und was wäre das für ein Islam?

    Hibaoui:Ich glaube, das ist ein Islam, der hier so zusagen entwickelt wird, geprägt wird von muslimischen Theologen, Imamen, Lehrkräfte und dafür islamische Studien in einer Universität sinnvoll ist. Aber ein deutscher Islam entwickelt sich hier und wächst mit Muslimen, die hier auch leben und auch weiter die Gesellschaft hier gestalten wollen. Da fallen mir so zusagen diese Institutionen - sprich islamische Theologie in den Universitäten, Imam-Ausbildung, islamischer Religionsunterricht in den Schulen - ein.

    Detjen: Ja, Sie sprechen jetzt auch über Menschen, über Institutionen. Lassen Sie mich noch mal die Frage nach Werten, nach kulturellen Haltungen aufwerfen. Welche Werte würde ein deutscher Islam vertreten, und welche Werte, die ein deutscher Islam bräuchte, vertreten die vielfältigen Ausrichtungen des Islams, die Sie eben in Deutschland geschildert haben, im Augenblick noch nicht?

    Hibaoui:Ich glaube, das sind die Werte, die mit dem Grundgesetz des Landes auch identifiziert sind. Die sollen keinesfalls dem Grundgesetz des Landes oder der Rechtsordnung widersprechen. Und von daher sehe ich als Muslim, dass es kein Problem ist, dass es einen deutschen Islam auch geben würde, da seine Werte mit den deutschen Werten auch vereinbar sind.

    Friedrich:Wenn ich das noch ergänzen darf: 2008 hat bereits die Islamkonferenz darauf hingewirkt, dass es eine ganz deutliche Erklärung gab der Teilnehmer, dass man sich zur Rechtsordnung in Deutschland, wie sie das Grundgesetz vorsieht, und zur Werteordnung des Grundgesetzes bekennt. Und damit war im Grunde auch ein Stück Signal auch in die deutsche Bevölkerung gegeben: Ja, die Muslime bekennen sich zu dieser Werte- und Rechtsordnung. Ich glaube, dass das wichtig ist.

    Detjen: Aber gerade die Auseinandersetzung um Grundrechte, um Grundrechte, wie sie die Deutsche Verfassung verkörpert, hat ja auch in der Islamkonferenz zwischen den verschiedenen Vertretern unterschiedlicher muslimischer Richtungen immer wieder zu Auseinandersetzungen geführt, also etwa, wenn es um die Gleichberechtigung von Mann und Frau geht. Haben Muslime in Deutschland ein Problem mit dem schlichten Satz des Grundgesetzes, Artikel 3: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt"?

    Hibaoui: Ich als Theologe sehe das genau so. Da sind beide vor Gott gleich, wir haben gleiche Pflichten und gleiche Rechte. Es gibt da zwar bestimmte Besonderheiten, aber wenn man Mann und Frau als Einheit, nicht als einzelne Punkte thematisiert, kommt man zu dem Fazit, dass Mann und Frau gleichberechtigt sind nach islamischen Verständnis.

    Detjen: Auch die Deutschen hatten mit diesem Satz des Grundgesetzes, Herr Minister Friedrich, immer wieder Schwierigkeiten. Artikel 3 war bis in die 50er-Jahre hinein der umstrittenste Artikel des Grundgesetzes. Die katholische Kirche, die ohne Frage Teil dieses Landes ist, betont eine unterschiedliche Stellung von Mann und Frau innerhalb der Kirche, aber auch innerhalb der Gesellschaft. Wie weit kann die Freiheit einer Religionsgemeinschaft reichen, kulturelle Differenz innerhalb der Grundrechteordnung auszuleben und aufzutreten?

    Friedrich:Nun ja, also das Grundgesetz als unsere Verfassung ist neutral gegenüber religiösen Inhalten. Jeder kann seine Religion, die Inhalte seiner Religion bestimmen und frei leben in diesem Land. Aber natürlich: Die Grenze ist immer das Grundgesetz. Also, das ist keine Frage, das heißt, jede auch kulturelle Eigenart, die man da pflegen will, muss immer mit den Grundrechten, auch mit Artikel 3, in Einklang zu bringen sein. Und dazu gibt es ja auch eine umfangreiche Rechtsprechung des Verfassungsgerichtes.

    Detjen: Herr Minister, haben Sie ein Problem damit, wenn Kinder an einer deutschen Schule von einer Muslimin unterrichtet werden, die ein Kopftuch, einen Schleier trägt?

    Friedrich:Ich habe deswegen ein Problem damit, weil aus diesem Kopftuch ja nicht immer nur religiöse Verbundenheit heraus spricht, sondern auch in vielen Fällen ein gewisser politischer Machtanspruch. Und ich halte es für sehr problematisch, wenn eine deutsche in deutschen Schulen unterrichtende Autoritätsperson mit einem solchen Schleier ausgestattet ist.

    Detjen: Aber was ist der Unterschied zwischen einer katholischen Nonne, die auch einen Schleier trägt oder einem Mönch, der eine Kutte trägt an einem katholischen Internat und einer Muslimin, die aus religiöser Überzeugung an einer deutschen Schule unterrichtet und ein Kopftuch trägt?

    Friedrich:Ich glaube, weil man mit dieser Nonne oder dem Mönch nie diesen Machtanspruch zu keiner Zeit verbunden hat, aber natürlich bei den Muslimen der Schleier oder das Kopftuch vielfach ein bestimmtes Verhältnis von Männern und Frauen zum Ausdruck bringt, das wir in unserer Rechtsordnung so nicht kennen.

    Detjen: Welcher Machtanspruch ist das, den der Islam mit einem Kopftuch ausdrückt?

    Friedrich:Na ja, es ist im Grunde der Anspruch des Mannes, seine Frau eben verhüllt, verschleiert zu haben. Das ist, glaube ich, schon ein Machtanspruch, der aus einer anderen Kultur kommt, den man nicht ohne weiteres akzeptieren kann.

    Detjen: Müsste man da in einem aufgeklärten Verhältnis zwischen Muslimen und nicht muslimischen Deutschen nicht dazu kommen, hier stärker zu differenzieren und zu sagen: Wenn das Kopftuch Ausdruck eines politisch gesinnten Machtanspruches ist, dann kann der Staat dagegen vorgehen, wenn es Ausdruck einer religiösen Überzeugung ist, ist das so akzeptabel wie der Habit der Nonne oder die Kutte der Mönche?

    Friedrich:Also, noch glaube ich, ist die Assoziation zu diesem Kopftuch und diesem politischen Machtanspruch sehr stark, und deswegen sind wir, glaube ich, lange nicht so weit, um eine solche Differenzierung machen zu können.

    Detjen: Herr Hibaoui, was drücken junge islamische Frauen mit dem Kopftuch aus, Machtanspruch, Religiosität?

    Hibaoui:Ich glaube, 2006 war die erste Studie, die von der Konrad-Adenauer-Stiftung gemacht wurde, zum Thema Kopftuch. Da wurden circa 400 Frauen gefragt, die mindestens das Abitur hatten. Die Frage war folgende: Aus welchem Grund tragen Sie ein Kopftuch - aus religiösem Grund, aus politischem Grund oder aus dem Grund, dass Sie gezwungen wurden von jemandem aus der Familie. Die Antwort war: 97 Prozent tragen das Kopftuch aus religiösen Gründen. Und ich glaube, diese politische Macht - ich persönlich als Theologe kann die auch gar nicht verstehen. Wie kann ich politische Macht mit einem Kopftuch so zusagen darstellen? Deswegen frage ich mich auch, wie Frauen ihre politische Macht äußern wollen, wenn sie ein Kopftuch tragen. Ich glaube, eine Frau, die ein Kopftuch trägt in der Schule, verhindert nicht, dass eins plus eins zwei ergibt. Und wenn es um irgendeinen Machtanspruch in der Schule geht, das kann man auch ohne Kopftuch. Mir ist wichtig: Wir leben in einer pluralistischen Gesellschaft, die Religionsfreiheit garantiert. Und ich glaube, ein Kopftuch zu tragen oder ein Kreuz zu tragen - das gehört auch zu dieser Religionsfreiheit.

    Detjen: Herr Minister, wenn Sie am Dienstag die deutsche Islamkonferenz zu ihrer Plenarsitzung eröffnen, tun Sie das dann mit der Bereitschaft, sich von solchen Argumenten überzeugen zu lassen, oder ist das, was Sie jetzt gerade am Beispiel Kopftuch ausgedrückt haben, eine Haltung, die unverrückbar in diese Islamkonferenz von ihrem neuen Vorsitzenden hereingetragen wird?

    Friedrich:Also, um es klar zu sehen: Es geht natürlich nicht darum, das Tragen von Kopftüchern in Deutschland zu verbieten, sondern es ging ja um die Frage, ob Autoritätspersonen - Lehrerinnen in staatlichen Schulen - mit diesem Kopftuch auftreten sollen. Aber ich glaube, dass es auch bei der Islamkonferenz gar nicht darum gehen kann, irgendwelche christlichen oder muslimischen oder sonstigen Symbole zu bewerten, sondern es ist ein Dialogforum, bei dem der Staat eines gewährleisten soll, nämlich die Neutralität gegenüber Religionen. Und das ist ja auch die Grundlage für die Islamkonferenz.

    Detjen: Herr Hibaoui, Minister Friedrich hat eben angesprochen, dass es radikale, extremistische, fundamentalistische Tendenzen im Islam gibt. Tun die islamischen Organisationen, die islamischen Verbände in Deutschland im Augenblick genug, dass sie sich von solchen Hasspredigern, von fundamentalistischen Tendenzen abgrenzen?

    Hibaoui:Ich gehe davon aus, dass es auch - seien es Dachverbände oder auch einzelne islamische Gemeinden - zu ihrer Verantwortung gehört, solche fundamentalistische Prägungen und Einrichtungen zu bekämpfen, nicht nur aus politischem Interesse, sondern auch aus religiösem Interesse. Und wir Menschen, die wir hier in Deutschland leben, sind für alle diese unterschiedlichen extremistischen Tendenzen - egal, zu welcher Religion das gehört - verantwortlich, das zu bekämpfen.

    Detjen: Das ist ein schöner Satz. Aber tun die muslimischen Organisationen, die Verbände, die Vertreter des Islam in Deutschland genug, um sich davon abzugrenzen? Das ist etwas, was immer wieder eingefordert wird.

    Hibaoui:Wie kann man das testen? Ich glaube, wenn ein Imam in einer Predigt das Thema thematisiert, Fundamentalismus oder Terrorismus oder was alles dazu gehört, ist alles ein Widerspruch zum Imam. Da sehe ich ein konkretes Beispiel, dass die Gemeinden gegen dieses Phänomen etwas tun. Und ich glaube, es gibt zahlreicher Imame, die darüber reden. Und ich glaube auch, es gibt auch solche Kooperationsarbeiten mit der Sicherheitsbehörde zum Thema 'Bekämpfung des Radikalismus oder Fundamentalismus'. Ich kenne solche Beispiele.

    Detjen: Das Interview der Woche im Deutschlandfunk, heute mit Abdelmalik Hibaoui, Islamwissenschaftler, Imam aus Stuttgart, Mitglied der deutschen Islamkonferenz, die am Dienstag zu ihrer ersten neuen Plenarsitzung unter der Leitung des neuen Bundesinnenministers Hans-Peter Friedrich zusammentritt, der ebenfalls bei uns zu Gast im Studio ist. Herr Friedrich, Ihr Vor-Vorgänger Wolfgang Schäuble hat bei der Gründung der deutschen Islamkonferenz vor bald fünf Jahren freimütig zugegeben, dass sein ganz persönliches Bild des Islam vor allem von der Karl-May-Lektüre geprägt war. Was hat Ihr Bild des Islam geprägt?

    Friedrich:Na ja, sagen wir so: Die Moslems sind ja nun schon seit vielen Jahren - ich bin jetzt 54 Jahre, also fast so alt, wie ich bin hier in Deutschland. Ich komme aus einer Region, die sehr stark industrialisiert war, wo sehr viele damals vor allem aus der Türkei hinkamen und dort heute noch leben. Das heißt, ich habe in meiner eigenen Heimatstadt oder in meinem Wohnort, wo ich heute lebe, in Hof, natürlich vielfältigen Kontakt auch zu den Moslems, die dort leben. Das ist zum einen zu den Moschee-Vereinen, das ist zu den Aleviten. Ich habe auch eine Schwägerin, die türkischer Herkunft ist, in der Türkei geboren ist. Also insofern habe ich durchaus ein breites Spektrum auch an Erfahrungen und Kontakten.

    Detjen: Welche neuen Akzente wollen Sie nach Wolfgang Schäuble, nach Thomas de Maizière als Vorsitzender, als Leiter dieser Islamkonferenz setzen?

    Friedrich:Also, ich bin sehr froh, dass diese Islamkonferenz sehr stark jetzt in eine praktische Phase eingetreten ist, wo man sagt, wir müssen nicht theoretisieren und philosophisch uns austauschen, sondern wir müssen ganz konkret überlegen, was muss getan werden, damit Menschen, Deutsche und muslimischen Glaubens, ihre Religion hier bei uns leben können. Diese ganz praktische Frage, Religionsunterricht, Ausbildung von Religionslehrern, Ausbildung von Imamen, die nach deutschen Vorstellungen und kulturellen Errungenschaften auch entsprechend ausgebildet werden, das ist, glaube ich, etwas Wichtiges und mir geht es, wie gesagt, einfach darum, dass die jungen Muslime, die heute bei uns leben, die bei uns geboren sind, hier aufwachsen, hier auch ihre Zukunft haben werden, dass die hier bei uns eine Heimat finden. Und das ist für mich eigentlich der Schlüssel zur Integration. Die jungen Menschen müssen eine Heimat bei uns haben. Und das ist der eigentliche Kern dessen, was ich erreichen möchte.

    Detjen: Herr Hibaoui, es hat auch aus der Mitgliederschaft der Islamkonferenz immer wieder Kritik, Auseinandersetzungen gegeben, die Arbeit sei nicht effektiv genug, man komme nicht richtig voran. Diese Konferenz hat ihre Arbeit in Phasen eingeteilt. Die erste Arbeitsphase endete letztes Jahr. Jetzt läuft die zweite Arbeitsphase an. Was waren die wichtigsten Ergebnisse bisher in dieser ersten Arbeitsphase?

    Hibaoui:Ich war auf jeden Fall nicht bei der ersten Phase der deutschen Islamkonferenz, aber ich glaube, ein wichtiges Ergebnis ist, dass sozusagen das erste Mal Muslime mit der Stadt zusammentreffen, einen Dialog gemeinsam führen und sich über gemeinsame Interessen verständigen. Zweitens gibt es auch bestimmte Punkte, Islamunterricht, Imam-Ausbildung erst mal theoretisch thematisiert, auch Anerkennung des Islams, diese Themen in sich anzusprechen am runden Tisch zwischen Dachverbänden und einzelnen Personen, die muslimische Seite gegenüber Vertretern von Bund, Land und Kommune, das ist schon etwas Einmaliges. Und, wie gesagt, es hat sich dann die zweite Phase entwickelt, wo man dann zur Umsetzungsphase gekommen ist. Und dann müssen wir noch umsetzen, was vorher theoretisch thematisiert wurde.

    Detjen: Diese runde Tisch, von dem Herr Hibaoui sprach, hat Risse bekommen. Zwei große Organisationen des Islam in Deutschland nehmen nicht mehr teil. Der Zentralrat der Muslime, eine große, nicht die größte, aber eine wortstarke Organisation, hat die Islamkonferenz aus Protest verlassen, weil sie beklagt hat, es gehe nicht schnell genug voran und weil sie beklagt hat, das Thema Islamfeindlichkeit werde nicht hinreichend thematisiert. Eine andere große Organisation, der Islamrat, ist von der Teilnahme ausgeschlossen worden wegen seiner Verbindung zu als verfassungsfeindlich gebrandmarkten Organisationen wie der türkischen Milli Görüs. Herr Minister Friedrich, wie repräsentativ ist dieser runde Tisch, den Sie am Dienstag eröffnen, noch für die Vielfalt des muslimischen Lebens in Deutschland?

    Friedrich:Ich glaube, das war gar nicht unbedingt von Anfang an auch die Intention, zu sagen, das muss jetzt alles repräsentativ für alle Muslime sein, sondern es ist sein Plattform, eine Einladung zum Dialog, zum Gespräch, wie man sagt 'von und für Muslime, die in Deutschland leben'. Und wer sich nicht beteiligen will beziehungsweise nicht die Voraussetzungen erfüllt, dass man mit ihm in diesen Dialog eintreten kann, der ist eben nicht dabei. Aber ich denke trotzdem, dass es gut und sinnvoll ist, diese Islamkonferenz, die ja sehr konkrete Punkte, die auch schon angesprochen wurden, vorzuweisen hatte, weiter zu führen.

    Detjen: Sie sagen, es ist nicht das Ziel, die Vielfalt der Muslime insgesamt abzubilden oder zu repräsentieren. Aber ist es nicht gerade das, was eine Religionsgemeinschaft in Deutschland braucht? Das ist das Modell, nach dem die Repräsentation der christlichen Kirchen, der jüdischen Religionen in Deutschland im Staatskirchenrecht hier auch abgebildet ist. Anders gefragt noch mal: Wäre es nicht hilfreich, wenn sich islamische Organisationen entsprechend den Vorschriften, den Anforderungen des deutschen Staatskirchenrechts organisieren würden, um dem Staat einen geschlossenen Ansprechpartner zu bieten, aber um auch von den Vorzügen zu profitieren, vom Kirchensteuerrecht bis hin zur Vertretung in Gremien wie Rundfunkräten?

    Friedrich:Also, die islamischen Verbände sind ja sehr, sehr heterogen. Es gibt verschiedene Glaubensrichtungen, auch durchaus große Unterschiede. Ich glaube, dass es nicht Aufgabe des deutschen Staates ist, Vorgaben zu machen, wer sich mit wem wo auf irgendwelche gemeinsamen Vertreter einigen muss, sondern es ist ein Gesprächsangebot. Und wenn man von Seiten der muslimischen Verbände diese Vielfalt auch in der Zukunft haben möchte, ist das vom Staat auch zu respektieren.

    Detjen: Herr Minister, die Ditib, das ist eine der größten islamischen Vereinigungen, die größte Vereinigung von Moscheen und Imamen in Deutschland, hätte gerne die Anerkennung als Religionsgemeinschaft im Sinne des deutschen Staatskirchenrechts, wäre gerne ein privilegierter Ansprechpartner für den Staat. Es ist gleichzeitig, das muss man sehen, eine Art Unterbehörde des türkischen Religionsministeriums. Wäre das für Sie akzeptabel, eine der Organisationen entsprechend herauszuheben, um bestimmte Formen der Kooperation des Gesprächs zu etablieren, wie sie nur nach dem Staatskirchenrecht möglich sind?

    Friedrich:Na ja, wir haben ja bereits die Aleviten, die anerkannt sind, auch als Religionsgemeinschaft. Insofern gibt es also diese Möglichkeit. Aber wir haben klare Anforderungen, auch nach der Verfassung, auch nach der Rechtsprechung, an Religionsgemeinschaften, die eben von den allermeisten Organisationen nicht erfüllt werden. Und wir können auch davon keine Abstriche machen. Das heißt, wenn wir jetzt Religionsunterricht oder ähnliches machen wollen, dann müssen wir Übergangslösungen finden, die allerdings nicht sich dann auf den entsprechenden Artikel 7 Abs. 3 im Grundgesetz beziehen können, sondern das sind eben bekenntnisorientierte Unterweisungen, die wir da ermöglichen. Also, es gibt sicher auch immer Möglichkeiten, im Guten das Ganze zu lösen, ohne dass man formale juristische verfassungsrechtliche Voraussetzungen erfüllt.

    Detjen: Der Dialog zwischen Muslimen in Deutschland und der Politik, der restlichen Gesellschaft in Deutschland ist im letzten Jahr überlagert gewesen von der Debatte um das Buch von Thilo Sarrazin. War das eine nützliche oder am Ende eine wenig hilfreiche - um es mit den Worten der Bundeskanzlerin zu sagen - eine wenig hilfreiche Debatte, Herr Friedrich?

    Friedrich:Na ja, ich glaube, dass das schon sehr, sehr polarisierend war, was insbesondere in der Debatte dann stattgefunden hat. Andererseits zeigt es natürlich, dass wir in der Gesellschaft offenkundig ein Problem haben. Wenn Sarrazin irgendwo auftritt, hat er voll Säle. Das heißt, es ist offenkundig eine dringende Notwendigkeit, dass wir über das Thema 'Moslems in Deutschland' sprechen, dass - glaube ich - auch diese Islamkonferenz einen Beitrag leisten kann, indem man auch sehr deutlich macht, 2008 ein klares Bekenntnis der Moslems zu unserer Wertordnung, vielleicht jetzt auch 2011 und folgende auch einmal ein Signal, dass wir auch eine Sicherheitspartnerschaft - das wäre meine Vorstellung - mit muslimischen Verbänden macht, um der Bevölkerung auch zu zeigen, ja, da gibt es wirklich Bemühungen von allen Seiten, die Integration zu einer gemeinsamen Zukunft voran zu treiben. Insofern kann, glaube ich, die Islamkonferenz da auch einen Beitrag leisten, indem man einfach sagt, schaut her, auch die islamischen Verbände wollen mit uns zusammen arbeiten. Und das könnte, glaube ich, die Konflikte entschärfen.

    Detjen: Herr Hibaoui, was haben Sie von der Sarrazin-Debatte gelernt?

    Hibaoui:Ich habe auf jeden Fall gelernt, dass man sehr selten vielleicht über erfolgreiche Beispiele redet und vorbildliche Beispiele mehr in die Öffentlichkeit bringen muss. Ich habe auch gelernt, dass wir immer in einem Kreis bleiben: Wollen wir die Muslime integrieren oder nicht, gehören die Muslime in diese deutsche Gesellschaft oder nicht? Für mich ist der entscheidende Punkt, die Integration ist, wenn ich als Moslem und Mensch mich an die Grundgesetze und die Grundlagen des Landes halte, sie achte und auch noch ein Stück weiter als Moslem loyal zu dem Land stehe, das ist schon Integration. Aber bei solchen Themen, dass man die Gesellschaft sozusagen in zwei Einrichtungen unterteilt und denkt, die Muslime oder Menschen mit Migrationshintergrund sind ethnisch noch etwas dümmer oder dümmer als die anderen, das finde ich für Deutschland ein bisschen schade, solche Einstellungen von solchen Männern zu hören.

    Detjen: Das war das Interview der Woche im Deutschlandfunk, heute mit zwei Gesprächspartnern. Herr Hibaoui, Herr Minister Friedrich, ich danke Ihnen dafür, dass Sie bei uns waren. Am Dienstag sehen Sie sich wieder in der deutschen Islamkonferenz. Wir werden im Deutschlandfunk darüber berichten. Ihnen vielen Dank und unseren Zuhörern noch einen schönen Sonntag.