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Friedrichs "Schuldzuweisungen an Rumänien und Bulgarien" sind einseitig

Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) verknüpfe die Frage des Schengen-Beitritts von Bulgarien und Rumänien mit der sogenannten Armutswanderung, sagt SPD-Politikerin Birgit Sippel. Das sei unzulässig. Es solle den Ländern Hilfestellung geleistet werden, um Probleme wie Korruption und Integration zu lösen.

Birgit Sippel im Gespräch mit Peter Kapern | 07.03.2013
    Peter Kapern: Tausende von Rumänen und Bulgaren sind seit dem EU-Beitritt ihrer Heimatländer vor sechs Jahren zu uns nach Deutschland gekommen. Die große Mehrzahl von ihnen arbeitet hier, zahlt Steuern und genießt die Freiheit, die ihnen die Europäische Union versprochen hat. Das sind die Menschen, die im politischen Konzept von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich derzeit eine untergeordnete Rolle spielen. Auf seiner Agenda stehen vielmehr diejenigen Zuwanderer, die hier herkommen, um sich, wie er meint, in die soziale Hängematte zu legen, oder diejenigen Bulgaren und Rumänen, die angeblich unfähig sind, die Außengrenze der EU zu bewachen. Die Erstgenannten will Friedrich zurückschicken, den Letztgenannten will er den Beitritt zur Schengen-Zone verwehren. Heute stand die Entscheidung über die Schengen-Erweiterung eigentlich auf der Tagesordnung der EU-Innenministerkonferenz. Dann aber drohte Friedrich mit einem Veto und die irische Ratspräsidentschaft änderte die Tagesordnung, um einen Eklat zu verhindern. Und was denken die hier lebenden Rumänen und Bulgaren über solche Attacken wie die des Bundesinnenministers?

    Mitgehört hat die SPD-Europaabgeordnete Birgit Sippel. Guten Morgen, Frau Sippel.

    Birgit Sippel: Schönen guten Morgen.

    Kapern: Frau Sippel, Sie haben Minister Friedrich scharf kritisiert wegen seiner Vetoandrohung in Sachen Schengen-Beitritt von Bulgarien und Rumänien. Warum eigentlich?

    Sippel: Ich glaube, dass Herr Friedrich da falsche Signale setzt. Er weist einseitig Schuldzuweisungen an Rumänien und Bulgarien zu und verknüpft ja auch in seinen eigenen Äußerungen den Schengen-Beitritt mit der jetzt sogenannten Armutswanderung. Das ist absolut unzulässig.

    Kapern: Er weist aber beispielsweise auch darauf hin, wie sehr Rumänien unter der jetzigen Regierung von Korruption durchsetzt ist. Das muss doch Auswirkungen haben auf die Fähigkeit des Landes, die EU-Außengrenzen dann zu kontrollieren?

    Sippel: Korruption ist natürlich ein Problem, das Auswirkungen auf viele Lebensbereiche hat. Wir haben in der Europäischen Union zum Beispiel eine sehr enge Zusammenarbeit von Polizei und Justiz. Auch da hätte man ja sagen können, wenn das aber alles so korrupt ist, können wir gar nicht mit euch zusammenarbeiten. Also da wird ein Thema beispielhaft herausgegriffen, und das Problem sowohl von Korruption als auch von Armut oder Integration in etwa Bulgarien und Rumänien lässt sich nicht einfach durch Schuldzuweisung lösen, sondern da muss man konkrete Arbeitsansätze finden und auch Hilfestellung, auch fachliche Hilfestellung bei der Umsetzung von entsprechenden Strukturen liefern. Eine Situation zu schaffen, wo eher Ausländerfeindlichkeit geschürt wird, als die Probleme zu lösen, ist ganz sicher der falsche Weg.

    Kapern: Nun weist Minister Friedrich auch darauf hin: nicht nur auf die Korruption, sondern auch darauf, dass in Rumänien die organisierte Kriminalität blüht, dass Richter und Staatsanwälte mit Regelmäßigkeit bedroht werden. Kommen Ihnen angesichts dieser Zustandsbeschreibungen überhaupt keine Zweifel an der Fähigkeit von Rumänien und Bulgarien, dem Schengen-Raum beitreten zu können?

    Sippel: Aber das ist ja kein Problem des Schengen-Raumes, sondern wenn diese Probleme so groß sind, müssen wir sie mit oder ohne Beitritt zum Schengen-Raum lösen, weil das natürlich Auswirkungen auch ohne offene Grenzen auf andere Länder hat, weil natürlich gerade im Bereich der organisierten Kriminalität deren Taten nicht auf ein Land beschränkt bleiben. Das heißt, das ist ein grundsätzliches Problem.

    Kapern: Vielleicht, Frau Sippel, sind diese Auswirkungen bei offenen Grenzen noch größer, als sie es ohnehin schon sind?

    Sippel: Also, das sind ja Spekulationen in die Zukunft hinein, und man muss schon sagen, man darf die Themen nicht miteinander vermischen. Und nach den vielen Verhandlungen, die geführt worden sind, ist es, glaube ich, an der Zeit, eine klare Ansage zu machen: Wollen wir den Schengen-Beitritt oder wollen wir nicht. Und völlig unabhängig davon muss natürlich sowohl bei uns als auch in Rumänien und Bulgarien an der Frage der Korruption, der organisierten Kriminalität, aber auch der Fähigkeit zur Integration und zur Armutsbekämpfung gearbeitet werden.

    Kapern: Geschieht das denn Ihrer Meinung nach?

    Sippel: Es geschieht mit Sicherheit noch nicht in ausreichendem Maße, wobei ich glaube, dass neben der Frage der Korruption ganz einfach auch die Erfahrung mit entsprechenden Strukturen, die ich brauche, sowohl im Bereich der Korruption als auch im Bereich der Integration, fehlen und hier sehr viel stärker auch Einfluss genommen werden muss. Das kann passieren über den Einsatz der EU-Mittel und entsprechende Fördermaßnahmen, das muss aber auch im Bereich der Zusammenarbeit von Polizei und Justiz, durch eine sehr viel stärkere Zusammenarbeit und auch Austausch von Personal zum gegenseitigen Lernen ausgebaut werden.

    Kapern: Welches Motiv sehen Sie beim Bundesinnenminister für seine doch sehr deutlichen Stellungnahmen in Sachen Armutswanderung und Schengen-Untauglichkeit von Rumänien und Bulgarien?

    Sippel: Mein Eindruck ist, dass Herr Friedrich an der Stelle eine einseitige Schuldzuweisung betreibt. Er setzt die Kommunen unter Druck, weil es ja schon lange eine finanzielle Ausstattung für die Kommunen fehlt. Anstatt hier endlich Gelder zur Verfügung zu stellen, sollen die Kommunen jetzt kontrollieren, wen sie möglichst schnell wieder zurückschicken können. Und auf der anderen Seite betreibt er Schuldzuweisungen an Bulgarien, die gefälligst ihre Probleme lösen müssen. Tatsache ist, dass die Probleme, mit denen wir gerade konfrontiert sind, nur gemeinsam mit allen Ebenen, Europa, Bund, Land, Kommunen, gelöst werden können, weil Einzelaktivitäten sicher nicht ausreichen werden.

    Kapern: Aber darf ich Sie noch mal fragen nach dem Motiv, das Sie hinter den Schuldzuweisungen des Innenministers vermuten?

    Sippel: Herr Ferber hat gesagt, es sei kein Wahlkampfgetöse, und das nehme ich jetzt mal zur Kenntnis.

    Kapern: Aber Sie glauben das nicht, oder was?

    Sippel: Ich habe schon den Eindruck, dass da so ein bisschen Wahlkampf hinter steckt, aber auch eine grundsätzliche Haltung, Probleme, die auftreten, eher abzuschieben, anstatt sie zu lösen. Das Problem, das wir derzeit ja in NRW schon sehen, ist, dass gerade diese Ausgrenzungstendenzen dazu führen, dass rechte Parteien und Gruppierungen sich stärken und wir derzeit gerade wieder erleben, dass Pro NRW sich auf den Weg macht, Aktionen vorzubereiten. Hier noch mal Öl ins Feuer zu schütten, ist sicher eine Strategie, mit der man keine Stimmen gewinnt, sondern tatsächlich eher rechte Strömungen noch stärkt, und das ist fatal.

    Kapern: Nun wird Innenminister Friedrich aber bei seiner Schengen-Strategie unterstützt von Finnland, den Niederlanden, Frankreich. In diesen Ländern findet aber meines Wissens kein Wahlkampf statt.

    Sippel: Na ja, aber wir hatten in Frankreich ja in der Vergangenheit schon ähnliche Tendenzen unter einer anderen Regierung, als zahlreiche Roma zurückgeschickt wurden. Finnland hat das Problem, dass es auch da eine rechte Partei gibt, die versucht, Druck auszuüben. Und wir wissen ja, wie das im Rat auch passiert: Man versucht, sich Freunde zu machen, da werden Absprachen getroffen. Also das ist natürlich nicht immer nur von Wahlkämpfen geprägt, hat aber mit Sicherheit auch seine Auswirkungen, gerade was die deutsche Debatte angeht.

    Kapern: Schließen Sie aus, dass die aktuelle Diskussion um Rumänien und Bulgarien einfach nur die logische Konsequenz der Tatsache ist, dass die beiden Länder 2007 einfach der EU nicht hätten beitreten dürfen, weil sie noch nicht beitrittsreif waren?

    Sippel: Das mag eine Konsequenz sein, ist aber die falsche, weil die beiden Mitgliedsstaaten sind jetzt Mitgliedsstaaten und es hilft ja nicht, darüber zu jammern und zu klagen, dass sie zu früh aufgenommen wurden. Das kann höchstens eine Konsequenz sein, wie wir künftig mit Erweiterungen umgehen, dass wir da die Kriterien ernster nehmen. Jetzt sind sie Mitgliedsstaaten, sie dürfen auch nicht zu Mitgliedsstaaten zweiter Klasse werden, sondern wir müssen die Probleme, die da sind, gemeinsam angehen und gegenseitig Probleme klar benennen, sie dann aber auch gemeinsam lösen.

    Kapern: Die SPD-Europaabgeordnete Birgit Sippel heute Morgen im Deutschlandfunk. Frau Sippel, danke, dass Sie heute Früh Zeit für uns hatten und einen schönen Tag noch.

    Sippel: Ja, wünsche ich Ihnen auch. Danke! – Tschüß!


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