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Friese: Kompensation ist für die bildende Kunst unverzichtbar

Deutschland müsse sich den EU-Vorgaben beugen, Kunst künftig mit dem 19-Prozent-Steuersatz zu belegen, sagt Gerrit Friese. Der Chef des Bundesverbands Deutscher Galerien und Kunsthändler meint, dass man einen Ausgleich schaffen könnte. Als Beispiel nennt er ein Kompensationsmodell nach dem Vorbild Frankreichs.

Gerrit Friese im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 11.06.2012
    Stefan Koldehoff: Das Damoklesschwert mit der Aufschrift "19 Prozent" schwebt schon seit einiger Zeit über dem deutschen Kunsthandel. Noch nämlich wird auf die meiste Kunst eine Umsatzsteuer von nur sieben Prozent erhoben. Die EU sieht darin aber einen unzulässigen Wettbewerbsvorteil, weil anderswo höhere Steuern erhoben werden, und fordert deshalb eine Erhöhung auf 19 Prozent. Lange hat sich die Bundesregierung geweigert und damit argumentiert, Kunst sei eben keine Ware wie jede andere. Der verminderte Umsatzsteuersatz bedeute auch so etwas wie Kultur- und Nachwuchsförderung. Nun sind seit dem Wochenende aus Berlin andere Töne zu hören: Der Kulturstaatsminister hat angedeutet, man müsse und werde Brüssel wohl folgen. - Im Studio in Stuttgart sitzt Klaus Gerrit Friese, Vorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Galerien und Kunsthändler e.V.. An ihn zunächst einmal die Frage: Hat Ihnen der Kulturstaatsminister das auch schon persönlich gesagt?

    Klaus Gerrit Friese: Die Verlautbarung, die er jetzt herausgegeben hat, bezieht sich auf ein Gespräch, was am Donnerstag in Berlin stattgefunden hat, in dem eben die wesentlichen Branchenvertreter beteiligt waren, auch ich, und in dem auch Beamte aus dem Finanzministerium, aus dem Wirtschaftsministerium und eben aus dem Staatsministerium für Kultur auch anwesend waren. Insofern: Das ist eigentlich das Resultat eines Gespräches im richtigen Kreis.

    Koldehoff: Und in diesem Kreis ist man zu dem Schluss gekommen, es geht nicht mehr anders?

    Friese: Das war eigentlich gar nicht die Voraussetzung des Gesprächs, sondern die Voraussetzung des Gesprächs war, es geht nicht mehr anders, welche Kompensationen können wir suchen. Und das war eben das Interessante, dadurch, dass es diese Runde gab, über deren einzelne Konstellationen man natürlich nicht wirklich jetzt hier reden kann. Aber es war der feste Wille, dass, wenn Mehreinnahmen über die notwendig gedachte Erhöhung der Mehrwertsteuer generiert werden, diese nicht im Finanzministerium bleiben sollen, sondern bevor sie überhaupt entstehen im Kunstmarkt verbleiben sollen. Dafür gibt es bestimmte Kompensationsmodelle, die auch durchaus in anderen europäischen Staaten vorgeprägt sind.

    Koldehoff: Bleiben wir mal erst noch bei dem "es geht nicht anders". Bisher lautete ja ein Argument immer, es gibt andere, nahe gelegene Staaten, Großbritannien beispielsweise, die Schweiz, da ist die Kunst günstiger zu haben, weil es eben keine so hohe Umsatzsteuer gibt. Das Argument besteht aber doch nach wie vor.

    Friese: Das Argument besteht nach wie vor, gilt natürlich nicht für die Schweiz, weil sie nicht Teil der EU ist, und sie gilt eben nicht für Großbritannien, weil dort nur die Einfuhrumsatzsteuer sich auf dem Niveau von fünf Prozent bewegt. Bloß ist natürlich auch die Einfuhr mit fünf Prozent ein riesiger Wettbewerbsvorteil, sollte Deutschland hier auf 19 Prozent sozusagen harmonisieren, obwohl es auch noch andere Beispiele gibt. Österreich kennt einen halbierten Mehrwertsteuersatz, Frankreich kennt andere Lösungen und, und, und.

    Koldehoff: Warum war es in Deutschland nicht mehr möglich?

    Friese: Es ist eigentlich europaweit nicht mehr möglich, weil im Anhang H der mehrwertsteuerbegünstigten Kulturgüter der EU-Richtlinie die bildende Kunst nicht aufgeführt wird. Ich meine, das ist die Grundabsurdität, mit der wir konfrontiert sind. In diesem Anhang ist die Literatur, die Musik drin, aber nicht die bildende Kunst, die nun zweifelsohne jedenfalls in meinem Verständnis zum Kulturgut gehört. Gut, wir müssen offensichtlich das akzeptieren, dass die Bundesregierung diese Harmonisierung für sich anstrebt. Wir sind auf der anderen Seite Herrn Neumann und allen anderen absolut dankbar, dass sie gesagt haben, Kompensation muss her.

    Koldehoff: Wie könnte die denn aussehen, billigeres Benzin für Künstler, oder subventionierte Mieten für Galeristen?

    Friese: Beides natürlich wunderbare Modelle, aber wahrscheinlich nicht tragbar für das Ganze. Und deswegen war ein Satz, der in diesem Gespräch am Donnerstag gefallen ist, es muss eben dort, wo es entsteht, auch gleichzeitig kompensiert werden. Das heißt, es gibt in Frankreich ein Modell, dass nur noch 30 Prozent des Umsatzes mit einer bestimmten Marge und dann mit dem vollen Mehrwertsteuersatz belegt werden. Das klingt auf den ersten Blick kompliziert, auf den zweiten Blick durchaus logisch und scheint auch EU-rechtlich möglich zu sein. Diese Forderung wurde auch vom Deutschen Kulturrat erhoben, so zu verfahren mit den Gegenständen der bildenden Kunst, und die Signale waren durchaus so, dass wir uns vorstellen konnten, es bleibt nicht nur bei Benzin und subventionierten Mieten.

    Koldehoff: Wird man das denn einheitlich so versuchen zu verhandeln, oder wird es so was wie einen Faktor Umsatz geben? Also: Wird der kleine Künstler, der gerade seine erste Galerie hat und froh ist, die ersten Werke zu verkaufen, genauso behandelt werden wie das große Auktionshaus in Berlin, in München oder in Köln, das Millionenumsätze macht?

    Friese: Deutschland ist ja wirklich ein Land des Mittelstandes in der bildenden Kunst. Deswegen: Wenn Christie's in New York für 45 Millionen einen Lichtenstein veräußert, dann machen sie in einem Moment denselben Umsatz wie die größten deutschen Auktionshändler in einem Jahr. Wir reden ja in Deutschland eigentlich nicht mehr von dem Markt der großen Millionen. Wann ist hier ein substanziell wichtiges Bild von Gerhard Richter in den letzten Jahren versteigert worden? The best place to sell German art is England, oder eben die USA. So ist es seit Jahrzehnten. Und wenn wir dann noch den Wettbewerbsnachteil der 19 Prozent hinbekommen, dann haben wir wirklich es geschafft, was die Holländer, die ja übrigens wieder von 19 auf sechs Prozent zurückgehen durch einen Beschluss der Regierung, letztes Jahr gesagt haben: Wir haben den Kunstmarkt durch die Erhöhung von sechs auf 19 Prozent aus dem Land vertrieben. Insofern keinerlei Keile zwischen die einzelnen Kleinen und die sogenannten Großen. Es ist für das Kulturgut bildende Kunst unverzichtbar, dass diese Kompensation so funktioniert.

    Koldehoff: Der Vorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Galerien und Kunsthändler, Klaus Gerrit Friese.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.