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Fromme Frauen in Pakistan

Pakistans Gesellschaft ist zuletzt deutlich konservativer geworden. Wahhabiten, Salafisten und Deobandi – reaktionäre sunnitische Strömungen – gewinnen durch finanzielle Hilfe aus Saudi-Arabien stark an Einfluss.

Von Sabina Matthay | 08.06.2013
    Eine Villa in Gulberg, dem vornehmsten Viertel der pakistanischen Großstadt Lahore. Hier wohnen prominente Unternehmer, Anwälte, Politiker - oft westlich gebildet, meist einem westlichen Lebensstil zugeneigt.

    Arjumand ist Teil dieser Elite. Das große Haus, das die 33-Jährige mit ihrem Mann, einem Rechtsanwalt, den drei Kindern und dem in Pakistan üblichen halben Dutzend Dienstboten teilt, ist mit wertvollen Möbeln, erlesenen Teppichen und modernsten Elektrogeräten ausgestattet.

    Dass Arjumand allerdings bei jeder Gelegenheit ihre Gottgefälligkeit betont, unterscheidet sie von vielen ihrer Nachbarinnen. Pakistan ist zwar eine islamische Republik, demonstrative Frömmigkeit ist in der Oberschicht aber nicht die Norm. Während andere wohlhabende Pakistanerinnen sich bei Empfängen für Society-Magazine ablichten lassen und den obligatorischen Schal dabei höchstens über der Schulter drapieren, statt den Kopf zu verhüllen, zeigt Arjumand sich selbst Zuhause tief verschleiert, wenn fremde Männer anwesend sind.

    Musik – ob westlichen Pop oder klassischen Qawwali-Gesang – lehnt sie ebenso als "unislamisch" ab wie Spielfilme und Geburtstagsfeiern. Viele Pakistaner halten das für rückwärtsgewandt, doch Arjumand empfindet sich als Teil einer Avantgarde.

    Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens fand sie als Studentin den fundamentalistischen Islam wahhabitischer Prägung bei der islamischen Frauenorganisation Al Huda. 1994 von der Islamwissenschaftlerin Farhat Hashmi gegründet, hat die Organisation enormen Zulauf, allein Pakistan zählt sie inzwischen angeblich über 10.000 Anhängerinnen. Der pakistanische Politologe Zafarullah Khan erklärt den Erfolg von Farhat Hashmi:

    "Als sie auf der Bildfläche erschien, befand Pakistan sich schon mitten in der Islamisierung durch den Staat, die unter General Zia al Haq begonnen hatte. Das Klima stimmte also und sie war kreativ und aktiv genug, es zu nutzen."

    Farhat Hashmi ist eine von vielen Hardlinern, die das einst vergleichsweise liberale Pakistan allmählich in einen konservativen religiösen Staat verwandelt haben. In einem Land, dessen öffentlicher Raum von Männern dominiert wird, bietet ihre Organisation Frauen Rückzugsräume, in denen sie dann indoktriniert werden.


    Das Al Huda Zentrum in Lahore ist ein moderner Bau, tiefverschleierte Frauen mit Kindern und Kindermädchen entsteigen funkelnagelneuen Geländewagen und huschen durchs Portal. Westliche Journalistinnen müssen draußen bleiben. Unsere E-Mails mit Bitte um Besuch und Interview werden jeweils mit "Salam Aleikum, liebe Schwester" und der Bitte um einen Fragenkatalog beantwortet – danach versandet die Kommunikation mit Al Huda.

    So schildert uns die Soziologin Shazia Shaheen Eindrücke von Besuchen dort:

    "Eine freundliche Rezeptionistin in uniform-ähnlichem körperverhüllendem Hidschab lud Shazia zur Teilnahme an einem Vortrag ein, damit sie ein besserer Mensch und eine bessere Muslimin werde. Der Vortragssaal war sauber, klimagekühlt, prächtig dekoriert - und voll besetzt."

    Al Hudas Gründerin Farhat Hashmi war per Videoverbindung zugeschaltet, die Teilnehmerinnen, darunter viele Akademikerinnen, konnten Fragen stellen, ganz anders als in den traditionellen Koranschulen der Unterschicht, wo Gläubige reihenweise harte Bänke drücken und Suren auswendig lernen.

    Doch Al Hudas Interpretation des Koran orientiert sich am Wahhabismus, der den Anspruch erhebt, die einzig reine Form des Islam zu lehren und alle anderen Strömungen strikt ablehnt.

    Das oberste Ziel von Al Huda bestehe darin, Frauen Tugendhaftigkeit beizubringen, sagt Arjumand:

    "Sie lehrten uns, Hausfrau und Mutter zu sein. Darin findet man seine Befriedigung, das ist die Pflicht, die Allah uns zugedacht hat. Der Islam lehrt, dass ich meinem Mann gehorchen muss.""

    Die Soziologin Shazia Shaheen hält Al Huda für ein Instrument der Unterdrückung:

    " Diese Einrichtungen wirken beschwichtigend, sie sind wie Schnuller, das sind keine Katalysatoren. Da wird den Frauen nicht gepredigt, für ihre Rechte aufzustehen, sondern sich dem Ehemann und dessen Familie zu fügen."

    Doch in einer Gesellschaft, die sich offiziell dem Islam verschrieben hat, bringt strenge Religiosität den Al Huda-Anhängerinnen auch Einfluss und Status. Schwiegertöchter, die in pakistanischen Familien zunächst wenig zu sagen haben, gewinnen durch Frömmigkeit moralische Oberhoheit.

    "Meine Schwägerin war ziemlich dominant. Mit den Jahren – Gott sei gelobt – hat Allah es mir leicht gemacht, sie alle für mich zu gewinnen und sie von meiner Sicht zu überzeugen."

    Al Huda finanziert sich aus den großzügigen Spenden ihrer wohlhabenden Klientel, aber auch aus Geldern aus Saudi-Arabien, in dessen Auftrag die Organisation den Wahhabismus propagiert.

    Es ist unklar, ob Al Huda tatsächlich Gewalt im Namen des Islam gutheißt und Al Kaida-Gründer Osama bin Laden verehrt, wie manche Kritiker behaupten. Doch indem die Organisation die radikale Islam-Interpretation der Extremisten propagiert, trägt sie zur Radikalisierung des gesellschaftlichen und kulturellen Umfelds bei.

    Fragen nach ihrer Haltung zu Pakistans Blasphemiegesetzen oder zu sogenannten Ehrenmorden weicht Arjumand aus, doch Pakistans demokratische Verfassung lehnt sie ab:

    "Pakistans Verfassung, sein politisches System folgt nicht dem Islam. Denn hier entscheidet das Parlament. Aber als Muslime hat Allah ja schon für uns entschieden."