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Früh übt sich

Die Zahl der Familien, in denen musiziert wird, geht zurück. In den Schulen fällt überdurchschnittlich häufig der Musikunterricht aus, obwohl Aktionen wie "Jedem Kind ein Instrument" zeigen, wie einfach man Kinder für klassische Musik begeistern kann.

Von Jörn Florian Fuchs | 04.08.2010
    Im Plenum herrschte Einigkeit, dass das frühe Lernen eines Instruments ganz zentral ist und deutlich vor einer theoretischen Ausbildung stehen muss. Der Schauspieler Peter Jordan hielt ein flammendes Plädoyer fürs Probieren vor dem Studieren:

    "Es ist ein Unterschied, wenn man es wirklich selber produziert. Wenn Sie das erleben, plötzlich eine Gitarre in die Hand nehmen und denken: Mensch, das klingt ja genauso wie das, was Sie gerade im Radio gehört haben – und man dann herausfindet, dass es nur drei Akkorde sind, das ist ein unglaubliches Erfolgserlebnis. Und ich kann nur jedem Jugendlichen empfehlen, das einmal zu probieren."

    Annette Lepenies gab allerdings zu bedenken, dass die oft mangelnde Komplexität im Bereich der sogenannten U-Musik die Auseinandersetzung mit der schwierigeren E-Materie behindere.

    "Die simple Populärmusik zerstört bei jungen Kindern sehr viel. Die Sinnesempfindungen können sich ja dann gar nicht entwickeln. Die können gar nicht mehr differenzieren. Wenn die immer dieses Ballermann-Gebrumme hören, dann setzt sich das ja so fest, dann wird das so eingespurt, dass man diese Feinheiten bald nicht mehr hören kann."

    Und stracks kam man von der heute eigentlich obsoleten E- und U-Unterscheidung auf die Neue Musik, Jürgen Flimm zählte Alban Bergs gerade in Salzburg aufgeführte "Lulu" dazu und sprach von der Notwendigkeit des sich Einhörens, wie bei der chinesischen Oper erschlössen sich auch Bergs Zwölftonreihen nach mehrmaligem Lauschen recht mühelos.

    Der für die kurzfristig erkrankte Sängerin Marjana Lipovšek eingesprungene Matthias Schulz - vom Konzertreferat der Festspiele - lieferte einige sehr interessante naturwissenschaftliche Fakten. Rund um das fünfte Lebensjahr vernetzen sich im Hirn nämlich die entscheidenden Synapsen fürs Musikalische, danach wird es zunehmend schwieriger.

    Wolfgang Hagen, Hauptabteilungsleiter für Kultur und Musik beim Deutschlandradio in Berlin, stellte heraus, wie wichtig prägende Persönlichkeiten sind. Und schon schwelgten einige Teilnehmer in Erinnerungen an ihre Schulzeit und an eindrucksvolle Musiklehrer. Wolfgang Hagen:

    "Mein Lehrer hieß Walter Gieseler, und wenn ich den nicht gehabt hätte, dann säße ich hier nicht. Diese Persönlichkeit derer, die Musik vermitteln, das ist etwas, was völlig ausgefallen ist. Ich finde diesen Musik aufbauenden Musikunterricht, den wir heute an der Schule haben, also dass die jungen Menschen etwas in die Hand kriegen, ein bisschen Musik machen, Musikerfahrungen machen, ersetzt aber nicht die Persönlichkeit, die wirklich mit einer gewinnenden Art mir Musik beibringt, sodass ich denke: Schumann, der spielt da gerade Schumann, jetzt will ich wissen, wer Schumann ist."

    Eher nebenbei abgehakt wurden die üblichen kulturpessimistischen Aspekte: der Schwund an Publikum, der häufige Ausfall des Musikunterrichts, die akustische Umweltverschmutzung allerorten. Etwas eindimensional watschte Jürgen Flimm darauf in Form einer grimmigen Suada die immer nur redende und kaum handelnde Zunft der Politiker pauschal ab, Moderator Wolfgang Herles musste nicht nur an dieser Stelle ein wenig für Ordnung sorgen.

    Dass Musikausbildung auch für Migrantenkinder ganz zentral und integrationsfördernd sein kann, erläuterte wiederum Annette Lepenies an einem sehr schönen Exempel:

    "Wenn die türkischen Mütter und Väter sehen, wie ihr Kind vor anderen auftritt, dann kommen die mit ihren Großfamilien an und es rinnen die Tränen vor Glück, wenn sie sehen wie ihr Kind spielt. Wir bringen den Kindern auch Hochzeitsmusik bei, das können Sie sich gar nicht vorstellen, was das für einen Effekt hat, wenn ihr Kind einige Töne aus einer bekannten türkischen Hochzeitsmusik vorspielt vor 500 Leuten, was das bedeutet für diese Familien."