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Ethnologie.- Die Aborigines lebten schon vor 50.000 Jahren in Australien. Doch woher sie ursprünglich stammen, galt bisher als umstritten. Im Magazin "Science" ist eine Studie dänischer Forscher erschienen, die anhand von genetischen Analysen neue Antworten liefert.

Von Lucian Haas | 23.09.2011
    Das neueste Rezept für den genetischen Rückblick in die Geschichte der Menschheit geht so: Man nehme eine Haarprobe eines Menschen, entferne gründlich alle äußeren Verunreinigungen, löse die Haare in einem speziellen Lösungsmittel auf, filtere die Erbsubstanz aus dieser Lösung, ermittle die Sequenz der DNA und vergleiche am Ende diese Daten mit den DNA-Sequenzen anderer Proben. Anhand der gefundenen Ähnlichkeiten und Unterschiede im Genom lässt sich berechnen, wie nah verwandt die jeweiligen Probengeber untereinander sind.

    Dänische Forscher haben mit dieser Methode jetzt ein Haarbüschel untersucht, das ein Ur-Einwohner Australiens vor rund 100 Jahren einem britischen Anthropologen überlassen hatte. Ziel war es, mehr über den genetischen Ursprung der Aborigines zu erfahren, erklärt Morten Rasmussen, Genetiker an der Universität von Kopenhagen.

    "Wir haben eine 100 Jahre alte Probe genutzt, um zu verhindern, dass die Probe einen Mix unterschiedlicher Genome darstellt. Durch das Alter stellen wir sicher, dass die Abstammung rein Aborigine ist. Es hat noch keine Vermischung mit europäischen oder asiatischen Einwanderern gegeben."

    Die Forscher verglichen das Aborigine-Erbgut mit dem eines Chinesen, eines Europäers und eines Afrikaners, deren DNA-Sequenzen bereits in Gendatenbanken vorliegen. Dabei achteten sie vor allem auf typische, kleine Mutationen, die an nachfolgende Generationen weitergegeben werden. Anhand dieser sogenannten Einzel-Nukleotid-Polymorphismen lässt sich erkennen, wie nah Menschen verschiedener Populationen miteinander verwandt sind. Je mehr sich zwei Erbgutproben in der Zahl und Art der Mutationen unterscheiden, desto länger ist es her, dass beide Seiten gemeinsame Vorfahren hatten. Morten Rasmussen und Kollegen errechneten auf Basis der Gendaten, wann sich die Aborigine in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit von anderen Völkern getrennt haben.

    "Wir machen das unter der Annahme, dass sich das Erbgut bei allen Menschen mit der gleichen Rate verändert. Ab dem Moment, wo sich die Aborigines von den Eurasiern trennen, kamen regelmäßig neue Genmutationen hinzu – bis heute. Auf Basis der konstanten Mutationshäufigkeit können wir dann zurückrechnen, wann sie sich voneinander lösten."

    Die Wiege der Menschheit liegt in Afrika. Von dort aus bevölkerten die Menschen nach und nach die anderen Kontinente. Laut der gängigsten Theorie gehen alle modernen Menschen außerhalb Afrikas auf eine einzige große Migrationswelle zurück. Nach diesem Modell stammen die Aborigines von Asiaten ab, deren Population sich zuvor schon irgendwo in Vorderasien von dem Zweig trennte, der zu den Europäern führt.

    Die neuen, genbasierten Analysen zeichnen nun ein anderes Bild: Demnach sind die Aborigines zwar tatsächlich direkte Nachfahren von Menschen, die vor rund 70.000 Jahren von Afrika aus nach Asien kamen. Seit 50.000 Jahren sind sie in Australien präsent. Die Population der heutigen Asiaten und Europäer hingegen ging aus einer späteren Wanderungsbewegung hervor, die erst vor rund 40.000 Jahre startete. Der Blick in die Gene legt also nahe, dass es in der Menschheitsgeschichte nicht nur eine, sondern mindestens zwei große Völkerwanderungen Out-of-Africa gegeben haben muss.

    Interessant ist die Studie auch, weil sie den Anthropologen neue Methoden für weitere Erkenntnisse liefert. Denn sie belegt erstmals, dass auch aus alten Haarproben in Museumsmagazinen ausreichend intakte DNA gewonnen werden kann, um damit aufschlussreiche genetische Studien durchzuführen.

    "Diese Methode eröffnet uns viele Möglichkeiten. Wenn wir zum Beispiel die Ureinwohner Tasmaniens studieren wollen, können wir das nur anhand von archivierten Proben machen. Denn diese Menschen leben nicht mehr. Aber in Museumssammlungen lagern Tausende von Haarproben. So können wir Populationen aus einer Zeit studieren, als es noch nicht den heutigen Mix der Bevölkerungsstruktur gab. Und wir können sogar Völker untersuchen, die mittlerweile ausgestorben sind."

    In der modernen Welt mit Multikultigesellschaften und einer intensiven Reisetätigkeit wird es immer schwerer, unvermischte Genome für Erbgutanalysen zu finden. Museumsmagazine könnten sich als Schatzkammer der genetischen Anthropologie entpuppen. Morten Rasmussen und Kollegen planen bereits weitere Analysen von Haar-DNA. Die Spuren in den Genen sollen helfen, Stück für Stück das Bild zu verfeinern, wie der Mensch einst auszog, die Welt zu erobern.