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Frühförderung 2.0
Den IT-Nachwuchs im Kindergarten rekrutieren

Aufwachsen in der technisch geprägten Welt: Viele amerikanische Tech-Unternehmen statten Schulen und Kindergärten mit Computern, Tablets und Software aus. Was zunächst einmal nach edlen Absichten klingt, ist klares Kalkül der IT-Nachwuchsförderung und ein eigenartiges Geschäftsmodell.

Von Marcus Schuler | 09.12.2017
    Das Bild zeigt ein Themenfoto zu Neuen Medien: Ein Schüler verschiebt App-Icons auf einer digitalen Projektionsfläche.
    Von Tech-Unternehmen gefördert: ein Schul- und Lernalltag am Puls der Zeit (epd/Jens Schulze )
    Der Computer-Unterricht beginnt für viele Kinder in den USA bereits im Kindergarten, sagt Alain Camou von der Las-Lomitas-Grundschule in Menlo Park, mitten im Silicon Valley.
    "Programmieren wird hier als wichtige Sprache angesehen, die es zu erlernen gilt."
    Grundschuldirektor Camou hat einen Vorteil gegenüber anderen Schulen: Sein Bezirk ist wohlhabend, weil hier viele Mitarbeiter der großen Tech-Unternehmen leben. Die Facebook-Zentrale mit mehr als 10.000 Mitarbeitern liegt nur drei Kilometer entfernt. Vom Wohlstand der Tech-Unternehmen profitiert auch die Grundschule.
    Viele werden später an Computern arbeiten
    Im Computerlab stehen die neuesten Apple-Rechner. Die Software-Suite von Microsoft ist ebenso darauf installiert wie der Zugang zu den cloudbasierten Angeboten von Google.
    "Unser Computer Lab entspricht dem neuesten Stand der Technik. Wir verfügen über 30 Rechner. Ab der ersten Klasse lernen die Schüler den Umgang mit Textverarbeitung und Powerpoint. Wir zeigen ihnen die grundlegenden Microsoft-Programme. Ab der zweiten und dritten Klasse steigen wir dann auf Google um."
    Camou betont, es gehe nicht um den Konsum von Technologie. Die Schüler sollen zum kreativen Umgang und Einsatz mit Computern motiviert werden. Schließlich werden viele in dieser Welt einmal arbeiten.
    Anders sieht es in weniger wohlhabenden Schulbezirken aus: In San Bruno Park zum Beispiel, südlich von San Francisco: Dr. Stella Kemp unterstehen dort sämtliche öffentliche Schulen. 75.000 Dollar hat ihr Bezirk als Spende vom Suchmaschinenunternehmen Google erhalten. Geld, für das Kemp dankbar ist. Damit bezahlt sie die Überstunden ihrer Lehrer für deren Informatikfortbildung. Anders wäre das gar nicht möglich, sagt sie:
    "Wir könnten uns die Überstunden gar nicht leisten. Erst diese Finanzierung macht das möglich."
    Tech-Firmen springen ein, wo der Staat fehlt
    In vielen armen Familien wachsen die Kinder ohne Zugang zum Internet auf. Sie haben keinen Zugriff auf Tablets oder Computer. Obwohl Kalifornien der reichste Bundesstaat der USA ist. Der Staat zieht sich aus der Verantwortung für Bildung zurück. Die Tech-Unternehmen füllen das Vakuum aus. Google springt zum Beispiel dort ein, wo Schulen nicht in der Lage sind, Informatik-Unterricht anbieten zu können, erklärt Unternehmenssprecherin Charlotte Smith:
    "Diesen Schulen stellen wir unsere Lehrpläne zur Verfügung. Dann können sie eigene Informatik-AGs einrichten. Wir reisen auch mit unseren Mitarbeitern durchs Land, gehen direkt an die Schulen und zeigen, wie einfach es ist, Informatik-Unterricht anzubieten."
    Jedes größere Unternehmen macht mit
    Doch das Suchmaschinen-Unternehmen aus Mountain View ist hier nicht allein. So gut wie jedes größere Unternehmen ist engagiert. Microsoft hat zum Beispiel ein ähnliches Programm aufgelegt. 350 Schulen in 29 Bundesstaaten machen mit, sagt Yvonne Thomas von Microsoft. Freiwillige aus mehr als 500 Unternehmen engagierten sich im Rahmen des Programms. Sie geben ihr Wissen weiter und wollen so die Jugendlichen für das Programmieren begeistern.
    "Es hilft den Schülern, die zunehmend technologisch geprägte Welt um sie herum besser zu verstehen. Sie werden geschult in wichtigen Fähigkeiten, wie lösungsorientiertem Denken. Eine Fähigkeit, die sich viele Arbeitgeber wünschen. Und sie erhalten Einblick in eine Technologie-Welt, die gute Berufschancen bietet."
    Auch ein großes Geschäftsmodell
    Doch das ist nur die eine Wahrheit. Auch ein kommerzielles Interesse steckt dahinter. Es geht dabei weniger darum, junge Menschen möglichst frühzeitig mit den Produkten der Konzerne vertraut zu machen.
    "Sowohl Start-ups als auch die großen Tech-Unternehmen haben das Thema "personalisiertes Lernen" auf dem Bildschirm. Das stellt das heutige Schulmodell in Frage. Möglicherweise können die Unternehmen hier etwas erreichen. Sicher ist: Sie sehen darin ein großes Geschäftsmodell."
    Das ist Robert Reich. Er ist Politikwissenschaftler an der Stanford Universität. Reich gibt zu Bedenken, dass unsere Schulen und deren Lernkonzepte möglicherweise überholt seien. Der Frontalunterricht mit einem Lehrer vorne an der Tafel und 25 Schülern, die alle ähnlichen Alters sind, sei eventuell bald vorbei. Längst arbeiteten die Technologie-Konzerne an digitalen Unterrichtseinheiten, die einen Lehrer obsolet machen.