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Frühreifer Wundervogel

Birdy, das ist Jasmine van den Bogaerde. Die Sängerin und Pianistin gewann mit zwölf Jahren einen Gesangswettbewerb und damit einen Deal mit einem Musikverlag. Mit 13 nahm sie eine Coverversion von Bon Ivers "Skinny Love" auf und stellte das Video dazu auf Youtube ein. Nun kommt ihre Debüt-CD "Birdy" in Deutschland heraus, die hauptsächlich Coverversionen enthält.

Von Christiane Rebmann | 24.03.2012
    Am Abend vor dem Interview war sie sehr schüchtern auf die Bühne geschlichen. Aber sowie sie am Klavier saß, wirkte Birdy plötzlich ganz selbstbewusst. Sicher griff die Fünfzehnjährige in die Tasten. Ihre Stimme klang erfahren wie die einer Mittdreißigerin, und sie sang über ernste Dinge. Zum Beispiel im Titel "Without A Word", der einzige auf ihrem Debütalbum, den sie selbst geschrieben hat.

    "Mein Vater hat mir die Geschichte von diesem alten Paar erzählt, von dem Mann und der Frau, die ihr ganzes Leben lang zusammen gewesen waren. Und dann mussten sie getrennt werden, weil es einem von ihnen nicht gut ging. Diese Geschichte hat mich sehr mitgenommen. Und sie hat mich inspiriert."

    Im Interview ist Birdys Schüchternheit auf einmal wieder da. Ein verlegenes kleines Mädchen mit Zahnspange, das sogar noch jünger wirkt als 15. Sie ist zierlich, hat lange dunkelblonde Haare, große helle Augen und einen offenen Gesichtsausdruck. Sie spricht mit leiser Stimme und lacht manchmal verlegen, als wäre es ihr ein bisschen peinlich, dass sie überhaupt etwas über sich sagen soll. Etwa von der idyllischen Umgebung in der Grafschaft Hampshire, wo sie aufgewachsen ist.

    "Wir wohnen an einem großen See, ich kann also immer schwimmen gehen, wenn ich will. Ich hab einfach großes Glück, dass ich in so einer schönen Umgebung aufwachsen konnte. Von meinem Fenster aus kann ich einen Teich sehen mit einer großen Weide."

    Eine heile Welt offenbar, in der man stets den Lebensunterhalt mit kreativer Arbeit verdiente. Musik war im Hause van den Bogaerde immer präsent.

    "Meine Mutter ist Konzertpianistin, und als ich fünf oder sechs war, hat sie angefangen, mir Klavierspielen beizubringen. Auch mein Vater liebt Musik, er hat mir immer seine CDs vorgespielt."

    Zu den Lieblingssongs ihres Vaters, eines Drehbuchautors und Synchronsprechers, gehörte zum Beispiel "Fire and Rain" von dem US-Singer Songwriter James Taylor. Grund genug für Birdy, dem Song auch mal eine neue Verkleidung zu verpassen.

    Das Erstaunliche ist, dass die Songs auf Birdys Debüt allesamt wie aus einem Guss klingen, so als hätte sie sie selbst geschrieben. Zwar fing Birdy tatsächlich mit sieben an, eigene Stücke zu komponieren. Aber als sie ihr Debüt CD zusammenstellte, hatte sie noch nicht genügend eigene Werke zusammen, um ein ganzes Album damit zu füllen.

    "Mein nächstes Album wird nur aus meinen Songs bestehen, sagt sie und zwirbelt eine Haarlocke um ihren rechten Zeigefinger."

    Diesmal war noch zu wenig Zeit, sie muss schließlich noch die Schule abschließen. Dabei ist Musik nicht ihre einzige schöpferische Begabung.

    "Ich mag Kunst. Ich würde wahrscheinlich Kunst studieren, wenn ich nicht Musikerin wäre. Ich zeichne gern Porträts. Von ganz normalen Menschen. Ich finde es interessant, sie im Alltagsleben zu beobachten und ihre Gesichter dabei festzuhalten."

    Und tatsächlich wirft sie später während des Mittagessens am Restauranttisch ganz selbstvergessen mal kurz eine Porträtskizze auf das Tischsetpapier, die zeigt, dass sie ein gutes Auge hat."

    Aufgewachsen ist Birdy mit der Musik von Madonna, inzwischen liebt sie Adèle. Sie ist ihr großes Vorbild. Doch während Adèle weiß, wovon sie singt, wenn sie sich über dysfunktionale Beziehungen beschwert, muss Birdy mit der Imagination vorlieb nehmen. Sie hatte noch nie einen Freund. Ihre Erfahrungen in Sachen Liebesleben beschränken sich auf das, was sie in der Literatur oder im Film nacherlebt. Oder was sie eben nachsingt.

    "Es hilft natürlich, wenn du weißt, was der Hintergrund des Songs ist. Wenn du weißt, woran der Songschreiber gedacht hat, als er ihn schrieb. Mir ist dann klar, wie ich meine Stimme einsetzen muss, welches Gefühl ich da reinlegen muss."

    Es kann eigentlich nicht gut gehen, wenn eine 15-Jährige den tieftraurigen Abgesang "Skinny Love" vom doppelt so alten Bon Iver intoniert. Bei Birdy eben doch. Das nennt man wohl Talent.