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Fünf Jahre Fukushima
Japanische Regierung in "unheimlichem Spannungsfeld"

Fünf Jahre nach der Katastrophe von Fukushima sind in Japan wieder zwei Atomkraftwerke in Betrieb. Während die Bevölkerung in Japan hinsichtlich Kernkraft kritischer geworden sei, befinde sich die Regierung des Landes im Zwiespalt zwischen politischen Zielen und Wettbewerbsdruck, sagte Marcus Schürmann, geschäftsführender Vorstand der Deutschen Industrie- und Handelskammer in Japan.

Marcus Schürmann im Gespräch mit Doris Simon | 11.03.2016
    Luftbild des Atomkraftwerks Fukushima.
    Das teilweise zerstörte Atomkraftwerk Fukushima in Japan. Vor fünf Jahren führten ein Seebeben und ein dadurch ausgelöster Tsunami zu einem GAU. (picture alliance / dpa / Motoya Taguchi)
    Eine Mehrheit der japanischen Bevölkerung von 53 Prozent sei einer Umfrage der Zeitung "Mainichi Shimbun" zufolge gegen das Hochfahren von Atomkraftwerken, auf der Ebene der Bevölkerung gebe es mehr Proteste und Demonstrationen, so Marcus Schürmann von der DIHK in Japan. Die Gesellschaft zu verändern, sei in Japan schwierig, da das Sicherheitsdenken stark ausgeprägt sei.
    Die japanische Wirtschaft befinde sich im Bereich Atomenergie unter Wettbewerbsdruck und stehe in Konkurrenz zu Herstellern aus Korea, China und Deutschland. Die Regierung versuche, als Ausgleich zu diesem Problemsektor Projekte im Ausland "an Land zu ziehen".
    Als Reaktion auf die Atomkatastrophe habe man erneuerbare Energien deutlich entwickelt, es sei aber "kein Vergleich mit Deutschland". Bisher machten laut Schürmann erneuerbare Energien drei Prozent am Energiemix aus, bis 2030 solle dieser Anteil auf 22 bis 24 Prozent erhöht werden.

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Doris Simon: 19.000 Tote, 150.000 Vertriebene, eine Million zerstörte Häuser und Schäden von mehr als 200 Milliarden Dollar. Das sind vier nüchterne Zahlen, die die Folgen von Fukushima nur umreißen können. Mehr ist schwer darstellbar. Heute vor fünf Jahren verursachte ein Seebeben der Stärke 9 und eine 30 Meter hohe Flutwelle die bisher größte Atomkatastrophe weltweit. Es sind immer noch heute 8.000 Menschen in der Ruine des Kraftwerks im Einsatz. Der Betreiber TEPCO geht davon aus, dass es wohl noch 30 bis 40 Jahre dauern wird, bis das Kraftwerk endgültig gesichert ist.
    - Am Telefon ist jetzt Marcus Schürmann. Er ist Geschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer in Japan. Guten Tag.
    Marcus Schürmann: Guten Morgen.
    Simon: Am Anfang wurden ja alle Atomreaktoren runtergefahren. Die Regierung setzt jetzt aber wieder auf Atomstrom. Von 43 Reaktoren sind zwei inzwischen in Betrieb. In anderen Ländern - ich kann mir vorstellen in Deutschland - würde so was zu einem Aufstand führen, so wenige Jahre später nach einer Katastrophe. Wieso nicht in Japan?
    Schürmann: In Japan ist die Bevölkerung natürlich mit Atomenergie aufgewachsen, um es mal so salopp zu formulieren.
    Simon: Das sind wir doch auch.
    Schürmann: Ja. Der Umgang mit Atomstrom hat in Japan jetzt eigentlich eine neue Situation hervorgerufen, dass man nach der Katastrophe wesentlich kritischer mit der Thematik umgeht auf der einen Seite. Man muss jetzt hier unterscheiden, wie sieht die Bevölkerung den Umgang mit Atomstrom und wie ist die Regierung davon auch betroffen, wie soll sich die Regierung verhalten. Wir haben auch noch mal recherchiert, wie die Bevölkerung sich zu dem Thema Atomenergie zeigt, und da wird zum Beispiel von der "Mainichi Shimbun", einer der großen Tageszeitungen hier in Japan, in einer aktuellen Umfrage gesagt, dass über 50 Prozent, genau 53 Prozent der Bevölkerung gegen das Hochfahren von Kraftwerken sind. Man ist da durchaus nach wie vor mehrheitlich dagegen. Und hat auch da mehr und mehr festgestellt, auch in den letzten Monaten und auch Jahren, dass doch wesentlich stärker auch protestiert wird und auch demonstriert wird und man sich doch relativ deutlich gegen Atomstrom artikuliert. Das ist sozusagen mal auf der Ebene der Bevölkerung.
    Die japanische Regierung ist da natürlich in einer wesentlich schwierigeren Lage, weil sie auf der einen Seite politische Ziele verfolgen muss, die Industriepolitik im Auge halten und natürlich auch den internationalen Wettbewerbsdruck, weil Atomtechnologie ist natürlich auch ein globales Thema. Man steht im Wettbewerb mit Herstellern aus Korea, aus China, aus Deutschland, aus Frankreich, aus den USA. Und da geht es dann am Ende des Tages natürlich auch um die Frage, inwieweit die japanische Atomtechnologie überlebt. Das ist so das Spannungsfeld, in dem sich die japanische Regierung bewegt und versucht, die Situation hier in Japan erst mal zu nehmen wie sie ist. Sie haben es gerade gesagt: Es sind im Moment nur zwei Atomkraftwerke wieder hochgefahren worden. Das heißt, hier ist es sehr schwierig, auch die restlichen im Bau befindlichen Anlagen zu vollenden beziehungsweise andere wieder hochzufahren, weil Tests noch nicht alle abgeschlossen sind oder der Widerstand in der Bevölkerung so groß ist. Insofern versucht die japanische Regierung quasi als Ausgleich für die Bauer und für die General Contractors, die hinter solchen Projekten stehen, im Ausland Projekte an Land zu ziehen und dann mit japanischer Technologie zu bedienen. Das ist ein unheimliches Spannungsfeld, in dem sich die Regierung im Moment befindet.
    Simon: Aber Bestrebungen, zum Beispiel die Erneuerbaren massiv auszubauen, wie das in Deutschland nach Fukushima passierte, da gibt es nichts Vergleichbares?
    Schürmann: In Japan entwickeln sich erneuerbare Energien deutlich
    Schürmann: Hier in Japan haben sich die erneuerbaren Energien deutlich entwickelt. Wir können hier natürlich keinen Vergleich unmittelbar mit Deutschland ziehen, weil gut, wir sind in Deutschland mit dem Thema unterwegs seit über 30 Jahren. In Japan ist es eigentlich erst wirklich so massiv publik geworden durch die Katastrophe bedingt. Wir haben im Moment ungefähr drei Prozent Anteil von erneuerbaren Energien am Gesamtenergiemix. Die Regierung hat vorgesehen, bis zum Jahr 2030 dieses hochzufahren auf 22 bis 24 Prozent.
    Simon: Herr Schürmann, Sie haben ja gesprochen über den Widerstand in der Bevölkerung gegen die Inbetriebnahme von Atomkraftwerken. Welche Rolle spielen eigentlich heute noch, fünf Jahre nach der Katastrophe, die Opfer, die Vertriebenen, die Folgen von Fukushima in der öffentlichen Debatte?
    Schürmann: Die Atomenergie ist hier nie so ein Thema gewesen in der Vergangenheit, eben durch die bisher gefahrene Politik. Und das hat unter anderem auch dazu geführt, dass die Bevölkerung bis dato immer erst einmal sehr stark auf die Opfer und Schäden, die durch Tsunami und das eigentliche Erdbeben hervorgerufen worden sind, so fokussiert war.
    Simon: Was ist denn stärker in der japanischen Gesellschaft, fünf Jahre nach Fukushima, die Sehnsucht nach einer Rückkehr zum Japan von vor der Katastrophe, oder der Wunsch nach Veränderung?
    Schürmann: Die Gesellschaft, würde ich ganz klar sagen, schon verändern. Hier in Japan ist das Thema Veränderung natürlich immer ein Thema, was sehr, sehr vorsichtig behandelt wird, weil einfach hier das Sicherheitsdenken natürlich in der Bevölkerung sehr stark ausgeprägt ist. Veränderung bedeutet natürlich erst mal Unsicherheit und vielleicht auch ein gewisses Unbehagen. Aber dadurch, dass Japan, wenn man mal den Blick in Richtung des Jahres 2020 wendet, die Olympischen Spiele in Tokio, bedeutet das natürlich auch Veränderungen. Es kommen mehr Touristen ins Land, das Land wird sich dadurch auch weiter öffnen, wird dadurch auch bereit sein, mit Ausländern sich noch intensiver zu vernetzen und zu verdrahten. Diese ganzen äußeren Faktoren führen einfach dazu, da auch eine größere Bereitschaft entsprechend mitzubringen. Das würde ich so der Perspektive und auch dem Verständnis, was ich hier vom Land habe, so sehen.
    Simon: Marcus Schürmann war das, der Geschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer in Japan. Herr Schürmann, vielen Dank.
    Schürmann: Ich danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.