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Für den besonderen Geschmack

Auch wenn der originelle Titel ein lustiges Buch vermuten lässt: "Am Abend, als ich meine Frau verließ, briet ich ein Huhn" von Abe Opincar ist keineswegs durchweg komisch. Es ist auch abstoßend und so stechend wie reifer Käse.

Von Eva-Maria Mesken | 25.05.2007
    In Kochbüchern zu blättern, kann wunderbar sein. Im Kopf entstehen Düfte und Gerüche, so dass man gar nicht mehr unbedingt selber an den Herd muss. Ein ganz ähnliches Vergnügen bereitet Abe Opincars Buch "Am Abend, als ich meine Frau verließ, briet ich ein Huhn". Das werden Weinblätter mit Aprikosen und Minze gefüllt, da wird buttriges Bananenbrot gebacken, Schokolade aufgeschäumt und rumänischer Maisbrei geknetet. Da riecht es nach Brathuhn und brauner Butter, dass sich beim Lesen schon mal Speichelfluss einstellen kann:

    "Ich gieße Öl in eine Pfanne. Wenn das Öl heiß ist, streue ich einen Teelöffel Turmerik hinein. Das gelbe Pulver treibt Bläschen und wird dunkler. Ich schlage zwei Eier in die Pfanne. Wenn die Dotter gerade fest geworden sind, lasse ich die Eier auf einen Teller gleiten und gieße das übrige Öl darüber. Mit Pitabrot tunke ich zerfließenden Dotter und senfgelbes Öl auf. Es gibt nur wenige Augenblicke, in denen ich glücklicher bin."

    So ein Spiegelei ist durchaus ein bezeichnendes Rezept. denn hier schreibt kein Sternekoch, der komplizierte Kniffe verrät. So richtig genau wird die Vorgehensweise beim Kochen nur selten beschrieben. Abgesehen vielleicht noch von dem Hinweis, dass ein Topf Kartoffelbrei mit 24 Esslöffeln Butter besser schmecke als mit 2.

    In den autobiografisch formulierten Geschichten geht es vielmehr ums Essen im weitesten Sinne. Amerikanischer Fertigkuchen, Knoblauch, Safran, Schnaps, Kaffee, Orangen- und Granatapfelbäume - für Opincars Erzähler sind sie untrennbar mit Personen oder Erlebnissen verbunden: Ein Cousin will mit verdorbenem Hüttenkäse abnehmen und verpasst dadurch den Hippie-Sommer 1967. Eine Bekannte isst schwarzen Rettich mit Sauerrahm, wenn sie abends auf ihren Ehemann wartet - einen, wie Opincar schreibt, "vierschrötigen Normannen mit riesigen Händen und Füßen, der ein Trinker und Schürzenjäger war". Manchmal beweist Opincar unbeschwert trockenen Humor. Zum Beispiel, wenn er eine Vegetarierfamilie als radikale Genussfeinde karikiert:
    "
    "Das schaumige, sämige Müsli war so reich an Ballaststoffen, dass sich selbst eine Termite schwergetan hätte, es zu verdauen.
    'So ist's recht', sagte Leorahs Vater. 'Essen Sie auf. Es ist genug da!'
    Kleie besteht im wesentlichen aus Spelzen, den beim Mahlen entfernten Schalen der Getreidekörner. Kleie hat einen hohen Gehalt an Ballaststoffen. Ballaststoffe zeichnen sich vor allem durch Unverdaulichkeit aus. Sie scheuern an den Darmwänden wie Stahlwolle. Ich hätte auf allen vieren eine ganze Wiese abgrasen können und auch nicht mehr Ballaststoffe aufgenommen, als in dieser einen Schüssel Müsli von Leorahs Mutter enthalten waren.""

    Das sind Stellen, die Spaß machen. Aber trotzdem ist das kein Schenkelklopferbuch. Der Grundton ist durchaus düster. Und nicht selten schlägt Opincar einen Haken - ging es eben noch ums Essen, ist plötzlich von Animalisch-Triebhaftem die Rede. Der Geruch von reifem Käse sei so überwältigend, weil er alle Assoziationen mit Fruchtbarkeit und Verfall, Sex und Tod wecke. "Die Franzosen mögen es," schreibt er zweideutig, "wenn ihre Frauen - und ihr Käse - reif sind." So habe Napoleon nach einer Schlacht an seine Frau geschrieben: "Wasch Dich nicht, ich komme heim," sie also gebeten, buchstäblich im eigenen Saft zu schmoren.

    Und auch Knoblauch sei etwas Intimes, weil die geruchsbildenden Stoffe ähnliche Schwefelverbindungen enthielten wie tierische Duftstoffe, Darmgase und Exkremente.

    "Sue klopft an meine Haustür. Ich reiche ihr meine grüne Schüssel mit gehackter Leber. Ein animalischer Zwiebelgeruch steigt von der Schüssel auf. Es ist ein intimer Geruch, ein körperlicher Geruch. Er bringt etwas Fleischliches in unsere ansonsten asexuelle Begrüßung."

    Opincars Erzähler ist gesellig. Aber gelegentlich scheint es so, als schenke er Nahrungsmitteln mehr Beachtung als seinem menschlichen Umfeld: Eine Blondine, die ihn für Rucola begeistert, bleibt namenlos. Eine Jugendliebe bleibt vor allem wegen bemerkenswerter Tomaten in Erinnerung:

    "Die Tomaten von Alizas Vater waren kugelrund und sehr süß. Das würzige, frische Aroma blieb an meinen Fingern haften. [...] An Alizas Gesicht kann ich mich nicht mehr erinnern. Wenn ich an die Alpen denke, denke ich nicht an Hirten oder das Matterhorn oder an Schnee oder gar an Aliza. Ich denke an eine hölzerne Schüssel voll der süßesten reifen Tomaten."

    Abe Opincar ist Kosmopolit: Er ist an der kalifornisch-mexikanischen Grenze aufgewachsen, ging in Frankreich und Japan zur Schule und besuchte eine Talmud-Schule in Jerusalem. An Orten wie diesen spielen auch seine Geschichten. Eine autobiografische Lesart ist aber auch deshalb naheliegend, weil im Untertitel des englischen Originals von "Memoiren" die Rede ist und nicht wie im Deutschen von einem Roman. Der jüdische Hintergrund Opincars ist darin immer präsent. So erfährt man beispielsweise, dass orthodoxe Juden aus religiösen Gründen keine Insekten verzehren dürfen, und deshalb viel Zeit darauf verwenden, Mehl zu sieben, Reis zu verlesen und die Blätter von Spinat oder Kopfsalat zu kontrollieren.

    Manchmal schlägt Opincar dabei einen Ton an, der genau in die Magengrube trifft. Ein sehr körperliches Gefühl, auch wenn es sich nicht um einen kulinarischen Exkurs handelt.

    "In Regensburg stellt ein Relief an der Außenseite des Doms Juden dar, die an den Zitzen eines Mutterschweins saugen. Bis weit ins achtzehnte Jahrhundert war eines der Frankfurter Stadttore mit einem bemalten Relief geschmückt, das einen Juden darstellte, der Scheiße aus dem After eines Schweins saugte. (Schweine fressen bekanntlich ihre eigenen Exkremente.) Dieses recht einprägsame Bild, die 'Judensau', erfreute sich bei den deutschsprachigen Völkern großer Beliebtheit."

    Auch wenn der originelle Titel also ein in erster Linie lustiges Buch vermuten lässt: "Am Abend, als ich meine Frau verließ, briet ich ein Huhn" ist keineswegs durchweg komisch. Es ist auch abstoßend, so wie die Schweineexkremente, so stechend wie der reife Käse, so speichelflussweckend wie heißer, zerfließender Dotter und so ungewöhnlich wie 24 Esslöffel Butter in einem Topf mit Kartoffelbrei.

    Anders gesagt: Schmeckt gut. Schmeckt aber nicht jedem.