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"Für die CDU wird das außerordentlich schwer"

Wenn Nordrhein-Westfalen am 6. oder 13. Mai eine neue Landesregierung wählt, dann wird nach dem momentanen Stand der Dinge Rot-Grün profitieren, sagt der Politologe Jürgen Falter. Mit ihrer Arbeit als Ministerpräsidenten habe sich Hannelore Kraft von der SPD Beliebtheit und Anerkennung erworben.

Jürgen Falter im Gespräch mit Christiane Kaess | 15.03.2012
    Christiane Kaess: Kaum ist der Düsseldorfer Landtag aufgelöst, beginnt der Wahlkampf. SPD und Grüne wollen zusammen an der Macht bleiben, die CDU gibt sich kämpferisch, bei der FDP und den Linken gibt es Grund zu zittern. Die Parteien ziehen nach der Auflösung des nordrhein-westfälischen Landtages sofort in den Wahlkampf, es wird damit gerechnet, dass die Bürger im bevölkerungsreichsten Bundesland am 6. oder 13. Mai an die Urnen gerufen werden.

    Und es wäre nicht das erste Mal, dass die politischen Verhältnisse in Nordrhein-Westfalen und die jetzt anstehenden Neuwahlen Auswirkungen auf den Bund haben.

    Am Telefon ist jetzt Jürgen Falter, Politikwissenschaftler an der Universität Mainz. Guten Tag, Herr Falter.

    Jürgen Falter: Guten Tag!

    Kaess: Herr Falter, schauen wir erst auf NRW. Es ist ein kurzer Wahlkampf. Wem kommt das zugute?

    Falter: Am ehesten der Landesregierung. Die hat dann einfach die besseren Möglichkeiten. Das heißt, sie kann schon besser aufgestellt da reingehen. Also ich schätze, das ist ein Vorteil eher für Rot-Grün, vor allen Dingen, wo ja Herr Röttgen den Spagat machen muss zwischen Berlin und Düsseldorf, und das wird nicht einfach sein.

    Kaess: Wie ist es denn zu erklären, dass eine rot-grüne Minderheitsregierung, also ohnehin eine schwierige Konstellation, die zum Schluss auch noch scheitert, dennoch in den neuesten Umfragen so vorne liegt?

    Falter: Ich glaube, das ist erstens eine Stimmung, die wir insgesamt im Lande haben, denn wenn wir in die bundesweiten Umfragen reinschauen, haben wir ja durchaus Ähnliches, dass der Machterwerb für Rot-Grün auf Bundesebene ebenfalls im Bereich des Greifbaren erscheint. Und in Düsseldorf selbst hat ja Rot-Grün eine Weile bewiesen, dass man auch aus einer Minderheitsposition, wenn auch einer sehr knappen Minderheitsposition heraus, mit wechselnden Mehrheiten durchaus praktische Politik betreiben kann, und das haben die Wähler sichtlich Rot-Grün positiv angeschrieben.

    Kaess: Welche Rolle spielt Hannelore Kraft?

    Falter: Hannelore Kraft ist als Kandidatin ganz eindeutig im Augenblick im Vorteil gegenüber Röttgen. Sie hat viel stärkere Zustimmungswerte, ganz deutlich über 50 Prozent, Röttgen irgendwo so in der Mitte der 20 Prozent. Das ist eine Augenblicksaufnahme natürlich, das kann sich noch etwas ändern. Aber ich glaube schon, dass sie sich ein Grad an Beliebtheit und auch an Achtung erworben hat, der sicherlich ein Pluspunkt sein wird im Wahlkampf.

    Kaess: Und Sie sehen nicht, dass die CDU mit ihrem Spitzenkandidaten Norbert Röttgen einen Vorteil gerade eben wegen dessen Bedeutung auf Bundesebene haben könnte?

    Falter: Das kann sich in der Tat noch ändern. Das Problem ist nur in der Tat, dass ja diese Bedeutung als Bundespolitiker gleichzeitig darauf hinweisen kann, dass ihm die Bundespolitik vielleicht doch wichtiger ist als die Landespolitik, so bedeutend Düsseldorf ist, so bedeutend Nordrhein-Westfalen ist, und dass ihm das immer wieder vorgehalten wird. Man wird ihm vermutlich reinzwingen, dass er dann am Ende Farbe bekennt und sagt, selbst wenn die Wahl nicht gut ausgeht, wird er als Oppositionsführer in Düsseldorf bleiben müssen. Wenn er es nicht macht, wird das immer ein Minuspunkt sein.

    Kaess: Die CDU will sich anders als die SPD in NRW nicht festlegen. Könnte sich hier eine Möglichkeit für eine schwarz-grüne Landesregierung ergeben?

    Falter: Ja natürlich. Da kann ja eigentlich auch die CDU wirklich nur drauf spekulieren, auf zweierlei: entweder auf Schwarz-Grün oder auf eine Große Koalition. Das Problem ist nur, Rot und Grün möchten gerne zusammenbleiben, sie möchten weiterregieren, sie verstehen sich relativ gut. Die Friktionen innerhalb der Koalition, der bisherigen Minderheitskoalition, sind nicht so groß, als dass beide nicht weiter miteinander regieren könnten. Das heißt, für die CDU wird das außerordentlich schwer werden.

    Kaess: Und dieses Signal von Seiten der CDU sehen Sie auch, obwohl Norbert Röttgen sagt, die Grünen haben finanziell in NRW versagt?

    Falter: Nun gut, er muss sich ja mit den Grünen auseinandersetzen, und dass die Grünen entgegen manchen Äußerungen auf Bundesebene jetzt nicht für eine wahnsinnig solide oder, sagen wir, Schulden reduzierende Haushaltspolitik standen, ist ja auch eindeutig. Trotzdem will er mit den Grünen zusammengehen, weil es ja eigentlich seine einzige ernsthafte Option ist. Nur wenn die Grünen nicht wollen, wenn die Grünen mit der SPD zusammengehen wollen und sie die Mehrheit haben, dann zieht er den kürzeren.

    Kaess: Die FDP gibt sich zuversichtlich, trotz schlechter Umfragen. Verliert sie NRW und jetzt die weiteren anstehenden Landtagswahlen, was heißt das auf Bundesebene? Ist Philipp Rösler als FDP-Chef dann noch zu halten?

    Falter: Ich glaube, dann wird er kaum zu halten sein. Das wird man ihm ankreiden. Es wird übrigens auch Daniel Bahr natürlich belasten, wenn die FDP es nicht schaffen sollte, in Nordrhein-Westfalen in den Landtag einzuziehen, und Rösler ist dann wahrscheinlich abschussreif. Es gibt genügend Leute, die ihn jetzt schon kritisieren, erst noch hinter vorgehaltener Hand, noch ist man sehr loyal ihm gegenüber, aber man weiß ja: man hat einen Ersatzkandidaten, einen, von dem man sich verspricht, dass er vielleicht mit seiner Art, die eine sehr energische frische Art ist, nämlich Rainer Brüderle, dass er vielleicht die FDP dann bundesweit doch noch in der verbleibenden Zeit aus dem Jammertal führen könnte.

    Kaess: Aber was hieße das denn für die Regierungskoalition in Berlin? Ist die dann noch handlungsfähig?

    Falter: Ach Gott, die Koalition kann noch handlungsfähig sein, wenn tatsächlich die FDP dann mit sich ins Reine käme. Die FDP hat ja auch gar keine andere Möglichkeit eigentlich, als aufs Jahr 2013 zu hoffen, denn wenn es Neuwahlen jetzt gäbe, tatsächlich im Bund, dann würde die FDP ja dort auch wahrscheinlich abschmieren, das heißt nicht in den Bundestag kommen. Dann wäre das ja sozusagen ein Doppelselbstmord.

    Kaess: Hören Sie schon Wahlkampf in Berlin?

    Falter: Es zeichnet sich schon ein klein bisschen ab, aber im Augenblick sind wir da noch etwas entfernt davon. Jetzt wird erst mal auf Nordrhein-Westfalen geguckt, und Nordrhein-Westfalen, das Ergebnis wird seine Auswirkungen auf Berlin haben, und je nachdem wie es ausgeht, wird es möglicherweise einen frühen Wahlkampf einläuten.

    Kaess: Schauen wir noch auf ein anderes Phänomen: das der Piratenpartei, der Umfragen gute Chancen für NRW voraussagen. Welche Rolle kann die Partei künftig erst mal in den Ländern, aber dann auch im Bund spielen?

    Falter: Also die Piratenpartei ist eine Partei, die ja politisch noch nicht vollständig festgelegt ist. Sie hat ein gesellschaftspolitisch eher linkes Programm im Auge, während sie, sagen wir, rechtspolitisch und netzpolitisch dann eher ein liberales Programm hat. Das heißt, sie kann nach beiden Seiten offen sein. Aber sie wird sicherlich noch nicht als ein möglicher Koalitionspartner im Augenblick gehandelt werden können, dazu fehlt ihr einfach die Professionalisierung, die nötig ist, um in eine Koalition längerfristig sich einbinden zu lassen.

    Kaess: Setzt der Erfolg der Partei in erster Linie die Grünen unter Druck?

    Falter: Die Grünen sind, glaube ich, die am stärksten Herausgeforderten in der Tat vom Erfolg der Piratenpartei, denn das sind Wähler, die auch die Grünen wählen könnten, und da es vor allen Dingen jüngere sind, kann das eine Lücke in den Nachwuchs der Grünen reißen, je nachdem wie erfolgreich die Piraten bleiben werden. Die Grünen schauen ja auch mit Argwohn darauf und wollen einen offensiven Wahlkampf gegen die Piraten führen. Da merkt man schon, die fühlen sich irgendwie doch bedroht durch die Piraten.

    Kaess: Inwieweit ist die Linkspartei davon betroffen?

    Falter: Die Linkspartei ist ebenfalls leicht betroffen davon, ich glaube nicht so stark. Zwar ist gesellschaftspolitisch das Programm der Piraten, das man im Augenblick abschätzen kann – da ist ja vieles noch im Fluss -, gar nicht so entsetzlich weit weg von bestimmten Vorstellungen der Linken, aber die rechtspolitischen Vorstellungen, die Vorstellungen, was die Freiheit im Internet angeht und Ähnliches, da ist ja eher altliberales Gedankengut hineintransportiert ins 21. Jahrhundert. Das ist sicherlich nicht das, was die Linke bedrohen würde, wo sie sich bedroht fühlen müsste.

    Kaess: Der Politikwissenschaftler Jürgen Falter war das. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Falter.

    Falter: Gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.