Freitag, 29. März 2024

Archiv


Für die Wahrheit

Im Niedersachsenwahlkampf spielt Christian Wulff, einst selbst niedersächsischer Ministerpräsident für die CDU, keine Rolle. Dass die Union das Thema meidet, wundert nicht. Doch auch die Opposition will aus der Affäre kein billiges Kapital schlagen.

Susanne Schrammar im Gespräch mit Irene Geuer | 17.01.2013
    Irene Geuer: Warum spielt Wulff in der derzeitigen Landespolitik so gar keine Rolle?

    Susanne Schrammar: Für die CDU ist die Sache, glaube ich, ganz klar, denn Wulff ist die Persona non grata - alles, was mit ihm zusammenhängt, das wäre eine ziemliche Belastung im Wahlkampf. Darum versucht man tunlichst auch diesem Thema aus dem Weg zu gehen und das hat der niedersächsische Ministerpräsident David McAllister, der ja auch als "Zögling" Wulffs gilt, auch sehr früh und auch sehr konsequent gemacht. Er hat sich zu Beginn des Verfahrens klar abgegrenzt von Christian Wulff, hat auch solche Sprüche gebracht wie: "Ich bin kein Freund von roten Teppichen" - ein Hinweis auf Wulffs Vorliebe für Partys - und er hat auch sehr deutlich gemacht, dass die Landesregierung hier im Fall Wulff auf Aufklärung setzt und um Aufklärung bemüht ist. Zurzeit schweigt die CDU das Thema komplett tot.

    Geuer: Aber die SPD und Grüne, die Opposition könnte dieses Thema doch jetzt noch in heißer Wahlkampfphase zum Thema machen.

    Schrammar: Das haben sie auch, aber ganz zu Anfang des Wahlkampfs, also das ist jetzt schon ein Dreivierteljahr her. Ziel der Angriffe war damals schon nicht mehr Wulff selbst, wie zu Beginn der Affäre, sondern die jetzige Landesregierung, das heißt, man hat immer gesagt, David McAllister würde nicht richtig aufklären, die Landesregierung würde versuchen, Dinge unter den Teppich kehren zu wollen. Also man hat versucht, aus der Wulff-Affäre auf diese Weise Kapital für den Wahlkampf herauszuschlagen. Aber im Herbst hat das schlagartig aufgehört und jetzt spielt für die Opposition das Thema Wulff überhaupt keine Rolle mehr.

    Geuer: Haben die Parteien Angst, dass der Wähler ihnen das übel nehmen könnte, so nach dem Motto: Einen, der am Boden liegt, den verhöhnt man nicht noch.

    Schrammar: Das könnte ein Grund sein, denn jetzt auch durch die Trennung von Ehefrau Bettina ist diese Figur Christian Wulff natürlich auch noch ein bisschen tragischer geworden. Dieser tiefe Fall, den er da vollzogen hat. Auf der anderen Seite, das sagt zum Beispiel der Politikwissenschaftler Wichard Woyke von der Uni Münster, wäre es für die Opposition bislang in dieser rechtlich ungeklärten Situation aber auch sehr gefährlich, jetzt hier weiter auf den Ex-Bundespräsidenten hier "einzudreschen", denn schließlich ist ja nicht klar, ob er am Ende angeklagt wird und es wäre fahrlässig, sagt Woyke, aus unbewiesenen Vorwürfen politisches Kapital schlagen zu wollen.

    Geuer: Es gibt andere Stimmen, die sagen, das Thema ist einfach durch.

    Schrammar: Ja, er ist zurückgetreten, er spielt keine politische Rolle mehr. Ob er jetzt vor dem Richter sich verantworten muss, das hat keine Folgen mehr für die politische Öffentlichkeit - also insofern ist Thema Christian Wulff einfach nicht mehr relevant und ich glaube ganz ehrlich, nachdem was wir im vergangenen Jahr alles erlebt haben - hier in Niedersachsen ist es auf jeden Fall so, dass viele Leute das Thema auch gar nicht mehr hören können.

    Geuer: Aber die Staatsanwaltschaft muss es ja noch interessieren, die ermittelt ja gegen Wulff - und das schon seit fast einem Jahr. Warum dauert das so lange?

    Schrammar: Zum einen ist ja natürlich ein sehr aufwendiges Verfahren. 100 Zeugen wurden vernommen - die Ermittlungsakten sollen mehr als 20.000 Seiten umfassen, ganz viele elektronische Daten, die gesichtet werden mussten, das dauert, und die Thematik ist ja auch nicht ganz einfach. Wulff wird ja vorgeworfen, dass er zu seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident Hotelübernachtungen angenommen haben soll von einem befreundeten Filmproduzenten, der sich wiederum um eine Landesbürgschaft bemüht hat. Deswegen steht da der Vorwurf der Vorteilsnahme im Raum. Letztlich geht es aber hier um eine Summe von 400 Euro, die justiziabel zu sein scheint. Da ist diese Frage: Korruption ja oder nein offenbar nicht so ganz einfach zu entscheiden, und auch wenn da jetzt vier Staatsanwälte, 20 Ermittler dran sitzen - mehr als sonst versichert die Staatsanwaltschaft hier in Hannover, dass das eine ganz normale Länge für ein solches Verfahren sei, aber es lässt natürlich aufhorchen, wenn es immer wieder heißt, vor der Wahl wird keine Entscheidung fallen.

    Geuer: Genau, manche hegen den Verdacht tatsächlich noch, die Staatsanwaltschaft traue sich nicht, vor der Wahl noch etwas zu sagen.

    Schrammar: Naja, stellen wir uns mal vor, kurz vor der Wahl würde die Staatsanwaltschaft bekannt geben, dass Christian Wulff möglicherweise angeklagt werden würde, das wäre natürlich das beherrschende Wahlkampfthema hier und da hätte dann die CDU schon ein ziemliches Problem. Solche Schlagzeilen möchte niemand im Wahlkampf. Sollte auf der anderen Seite herauskommen, dass die andere Seite, dass die Vorwürfe am Ende nicht reichen für ein Gerichtsverfahren, dann wäre wiederum die Staatsanwaltschaft schon in Erklärungs- und Rechtfertigungsdruck, denn die Ermittler haben ja letztlich Wulff das Amt gekostet. Der leitende Oberstaatsanwalt wird hier Präsidentenkiller genannt, und auch wenn die Justiz unabhängig ist - es würde auch eine politische Debatte nach sich ziehen.

    Geuer: Wir Christian Wulff - Sie haben das eben schon angedeutet - dass er im Moment keine politische Rolle spielt - aber wird überhaupt noch einmal je eine politische Rolle spielen, die Kanzlerin hat es ja gesagt, sie mache sich um ihn keine Sorgen, aber trotzdem.

    Schrammar: Naja, es kommt letztlich natürlich auf den Ausgang des Verfahrens an. Würde Christian Wulff am Ende verurteilt werden, dann ist klar, hätte er keine Chance mehr, irgendwie politisch zu wirken. Würden die Ermittlungen jedoch eingestellt werden, dann müsste da sicherlich noch ein bisschen Zeit ins Land gehen, dann käme möglicherweise eine Rolle als "Elder Statesman" für ihn in Betracht, obwohl er natürlich auch große politische Fehler gemacht hat, beispielsweise beim Rücktritt, aber Wulff hat sich sehr verdient gemacht in der Frage der Integration und er genießt zum Beispiel noch immer einen sehr, sehr großen Rückhalt in der türkischen Community, und die hat ja auch erst kürzlich geäußert, sie würde sich wünschen, dass Christian Wulff in dieser Richtung weiter wirken könnte und einen Anfang hat er ja auch kürzlich gemacht bei seinem ersten öffentlichen Auftritt im Herbst in Heidelberg und da war ja auch "Integration" sein Anliegen, also wenn, dann kriegt er vielleicht hier noch einmal eine Chance auf eine zumindest kleine politische Zukunft.