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Für ein paar Euro mehr

In der Europäischen Union gelten in 20 von 27 Staaten Mindestlöhne. Die Große Koalition in Deutschland ist in dieser Frage zerstritten. Sie diskutiert verschiedene Strategien, um Lohndumping Einhalt zu gebieten.

Von Melanie Hinter | 23.01.2007
    "Also, ein unsteriler Bereich ist hier, dann Patienten-WCs, Arztzimmer, wenn jetzt Angehörige mit den Ärzten sprechen. Dann gehen wir hier rum. Hier fängt der Bereich an mit den Patientenzimmern, die wir dann ab einer gewissen Zeit machen, wenn die Patienten fertig sind, also die Schwestern mit Waschen und so weiter. Dann gehen wir rein, von Zimmer zu Zimmer, Staubwischen, Fußboden, Entsorgung von Müll und Gläsern und weiß ich was alles. Alles, was dazu gehört."

    Karin Kaiderling ist 44 Jahre alt. Seit acht Jahren sorgt sie, zusammen mit ihren Kolleginnen, dafür, dass auf der Intensivstation des Virchow-Klinikums in Berlin alles blitzblank ist, von den Patientenzimmern bis hin zu den Laborräumen.

    "Man kann eine Intensivstation nicht mit einer Normalstation vergleichen. Man weiß nie, was so kommt, was zu tun ist. Wir haben auch besondere Aufgaben hier auf dieser Station. Wir haben mit Geräten zu tun. Wir reinigen alle Beatmungsmaschinen und machen auch Zimmerausstattung."

    8,38 Euro pro Stunde erhält die fünffache Mutter für diesen Job und ist damit eine so genannte Niedriglohnempfängerin. Als solche gelten alle, die weniger als zwei Drittel des mittleren Verdienstes in Deutschland erhalten, also alle, die weniger als 9,83 im Westen und 7,15 Euro im Osten als Bruttostundenlohn erhalten. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg geht davon aus, dass in Deutschland etwa 3,6 Millionen Vollzeitbeschäftigte in diesen Bereich fallen.

    Das Problem: Immer weniger Arbeitgeber zahlen Tariflöhne. Im Westen sind nach einem Bericht des SPD-Gewerkschaftsrates nur noch 68 Prozent der Beschäftigten durch Tarifverträge erfasst, im Osten 53 Prozent. Und selbst das ist keine Garantie für einen gut bezahlten Job. Nicht selten werden Bruttostundenlöhne unter sechs Euro gezahlt. Betroffen sind davon zum Beispiel Beschäftige im Friseurhandwerk, dem Wachschutz oder im Hotel- und Gaststättengewerbe. Eine Untergrenze gibt es in Deutschland nicht. Erlaubt ist, was der Markt hergibt.

    Für Gebäudereinigerinnen wie Karin Kaiderling könnte sich das in Zukunft ändern. Bald soll in Deutschland eine einheitliche Untergrenze bei der Bezahlung in diesem Gewerbe gelten, 7,87 Euro im Westen und 6,36 Euro im Osten. Für weniger Geld soll niemand saubermachen. Möglich macht es das so genannte Entsendegesetz.

    Das bisher nur für die Baubranche gültige Gesetz soll auch auf die rund 850.000 Gebäudereiniger ausgeweitet werden. Damit muss in der Branche künftig ein Mindestlohn gezahlt werden, auch von ausländischen Arbeitgebern. So hat es das Bundeskabinett im August beschlossen. Jetzt müssen noch der Bundestag und der Bundesrat zustimmen.

    Das besondere bei den Gebäudereinigern: Nicht nur die Gewerkschaften hatten sich für eine verbindliche Lohnuntergrenze stark gemacht, auch die Arbeitgeber hatten sich für die Aufnahme des Gebäudereinigerhandwerkes in das Entsendegesetz ausgesprochen. Johannes Bungart, Geschäftsführer des Bundesinnungsverbandes des Gebäudereinigerhandwerks:

    "Im Gebäudereinigungshandwerk und in vielen anderen Bereichen im Niedriglohnsektor betragen die Lohnkosten rund 80 Prozent am Gesamtkostenblock. Und deswegen wird der Wettbewerb natürlich auch sehr stark über den Lohn geführt, und wir möchten hier wenigstens eine Grenze nach unten abgesichert haben, dass unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen da nicht dem so genannten freien Spiel der Kräfte, was immer das auch brutalstmöglich sein mag, ausgesetzt sind."

    Damit wird es bei den Gebäudereinigern etwas geben, das in der politischen Debatte noch heftig umstritten ist: einen Mindestlohn. Die Beschäftigten sollen damit vor Dumpinglöhnen geschützt werden.

    Denn längst können nicht mehr alle, die eine Arbeit haben, auch davon leben. Knapp eine halbe Millionen Menschen erhält ergänzend zu ihrer Vollzeitstelle Arbeitslosengeld II. Die Große Koalition hat dieses Problem erkannt. Noch vor wenigen Monaten hieß es, das Kabinett werde im Herbst 2006 Eckpunkte für eine Reform des Niedriglohnsektors beschließen. Seitdem diskutiert und berät eine von dem sozialdemokratischen Arbeitsminister Franz Müntefering eingerichtete Arbeitsgruppe. Vertreter aus Ministerien, den Koalitionsfraktionen, den Ländern und dem Kanzleramt saßen schon ein gutes dutzend Mal zusammen. Doch Ergebnisse gab es bisher noch nicht. Fest steht aber: Die Arbeitsmarktreform ist eines der Themen, die im Jahr 2007 auf dem Arbeitsplan der Koalition stehen.

    Es besteht grundsätzlich Einigkeit darüber, dass es in Deutschland Menschen gibt, die trotz Arbeit zu wenig verdienen. Für Oskar Lafontaine, Mitglied der Fraktion Die Linke im Bundestag, heißt die Konsequenz daher ganz klar: Mindestlohn.

    "Da arbeitet jemand 40 Stunden die Woche und hat netto 797,19 Euro. Das ist eine Schande, wenn man 40 Stunden in diesem Land arbeitet und 800 Euro netto bekommt. Stellen sie sich vor, was das heißt, wenn man dann später Rente bezieht. Das ist einfach eine Gefühllosigkeit, diese Dinge nicht aufzunehmen und nicht endlich bei uns eine Regelung einzuführen, die in der großen Mehrheit der europäischen Länder schon Gesetz geworden ist."

    Die FDP hingegen fürchtet, dass Mindestlöhne die Schwarzarbeit stärken könnten, so Heinrich Kolb, arbeitspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag:

    "Ich frage Sie, was macht denn der Frisör im Erzgebirge, der bisher tarifvertraglich vereinbart mit zwei Unterschriften, Arbeitnehmer und Arbeitgeber, 3,80 Euro bis 4 Euro pro Stunde zahlt, wenn jetzt der Mindestlohn von 8 Euro nach ihren Vorstellungen kommt? Das kann doch so nicht funktionieren. Dieser Arbeitsplatz wird absehbar verloren gehen, weil die Leistung künftig in Schwarzarbeit erbracht wird."

    Doch nicht nur die Oppositionsparteien sind uneinig, auch CDU und SPD favorisieren unterschiedliche Modelle. Die Union möchte keine festen Stundenlöhne festlegen und plädiert für einen Kombilohn, bei dem der Staat den Lohn aufstockt, wenn er nicht zum Leben reicht. Die Sozialdemokraten sprechen sich hingegen für einen Mindestlohn aus. Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD):

    "Ich glaube, dass jeder, der voll arbeitet, der jeden Tag brav zur Arbeit geht, soviel Geld dafür bekommen sollte, dass er sich davon ernähren kann. Und wenn es darunter geht, dann ist das ein Problem in einer Gesellschaft, wie wir es sind, und dann darf man auch eingreifen."

    Die Gewerkschaften haben ganz konkrete Forderungen. Michael Sommer, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes prangert an, dass Deutschland eben kein Hochlohnland sei und Millionen für einen Hungerlohn schufteten.

    "Wir wollen einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn von mindestens 7,50 Euro. Wir fangen an mit branchenspezifischen gesetzlichen Mindestlöhnen."

    An diesem Punkt lassen sich die Mindestlohn-Befürworten noch einmal aufteilen: Die einen wollen einen gesetzlich, vom Staat festgeschriebenen Mindestlohn, wie das in vielen anderen europäischen Ländern der Fall ist. Die anderen machen sich für tarifliche Mindestlöhne stark. Das heißt, die Tarifparteien müssten branchen- und gebietsspezifisch Mindestlöhne aushandeln, die dann als verbindlich anerkannt werden würden, durch das Entsendegesetz. Franz Müntefering will Ende des Monats den Koalitionsspitzen weitere Branchen vorschlagen, die in das Entsendegesetz mit aufgenommen werden könnten

    "Die Hitze beim Stahlkochen und die Hitze in der Frittenbude ist unterschiedlich hoch. Die Leute verdienen unterschiedlich viel. Und daraus einen gemeinsamen Mindestlohn zu machen, das ist sehr kompliziert. Deshalb ist es besser, wenn man das über einzelne Branchen, über den tarifgebundenen Mindestlohn hinbekommt."

    Der Chef der Gebäudereiniger sieht das anders. Er tritt für einen gesetzlichen Mindestlohn ein. Johannes Bungart:

    "Die Alternative ist doch, wir machen gar keinen Mindestlohn. Das heißt, in Deutschland kann jeder zahlen, was er will. Deutschland ist so brutal wie kein anderes Land, vorausgesetzt, ich habe keine Tarifverträge. Aber wir merken gerade im Niedriglohnbereich, dass der Einfluss der Gewerkschaften doch gesunken ist in den letzten Jahren und dass hier keine vernünftige tarifliche Bindung mehr vorhanden ist, jedenfalls keine ernsthafte mehr."

    Obwohl Karin Kaiderling nach Tarif bezahlt wird, hat auch sie in der Vergangenheit festgestellt: Die Bedingungen werden härter. Auf der Intensivstation sind Schichtdienst und Wochenendarbeit selbstverständlich, das Putzen ist ein Knochenjob. Probleme mit der Wirbelsäule oder der Bandscheibe gehören zum Beruf. Doch in den letzten Jahren sei es noch schwieriger geworden. Die Arbeitsleistung werde immer höher, die Anforderungen größer, nur die Löhne, die seien gleich geblieben. Sie ist froh, dass sie, da sie auf der Intensivstation arbeitet, ein wenig höher eingestuft ist als der tarifliche Mindestlohn. Doch Zuschläge, die es früher einmal gegeben hat, seien weggefallen, zum Beispiel der Blutzuschlag

    "Das ist, wenn man Grobreinigung hat in einem OP, die Patienten bluten, das ist nicht gerade jedermanns Sache. Das sind sehr eklige Sachen halt. Man braucht eine gewisse Gewöhnungszeit, man muss wirklich hart im Nehmen sein, um solche Sachen zu machen, ich sage mal auf Pathologie oder OPs oder Intensivstation. Es ist eben nicht jeder geeignet für. Das sind schon besondere Sachen, die man auch gerne anders honoriert haben möchte."

    Die schweren Arbeitsbedingungen sind für Johannes Bungart ein Grund, warum er sich als Arbeitgeberchef für einen Mindestlohn stark macht. Ein anderer: Er fürchtet negative Auswirkungen auf den deutschen Arbeitsmarkt, wenn die Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der Europäischen Union auch für die Arbeitnehmer aus den osteuropäischen Beitrittsländern gilt.

    "Nur ein Beispiel aus Großbritannien: Großbritannien hat die Freizügigkeit sehr früh aufgegeben und hat mit 20.000 Menschen gerechnet aus osteuropäischen Ländern. 600.000 sind gekommen. Hinzu kommt, dass alle westeuropäischen Länder, alle anderen, sich für einen gesetzlichen Mindestlohn in ihrem Land aus den genannten Gründen, Vermeidung von Lohndumping, ausgesprochen haben, nur wir nicht, und das gerade wir, wo wir doch, sage ich mal, für diese osteuropäischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer doch sehr leicht erreichbar sind. Und sie werden einen immensen Druck auf unseren Arbeitsmarkt machen."

    Staaten ohne einen gesetzlichen Mindestlohn sind in Europa tatsächlich die Ausnahme, in der EU gelten in 20 von 27 Staaten Mindestlöhne. Und gibt es keinen gesetzlichen Mindestlohn, wie zum Beispiel in den skandinavischen Staaten, ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad relativ hoch. Doch Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung rät davon ab, die Erfahrungen aus anderen Ländern einfach auf Deutschland zu übertragen.

    "Man kann das nicht vergleichen. Man darf jetzt nicht ein Element, den Mindestlohn, nehmen und sagen, in anderen Ländern funktioniert das. Wenn es in anderen Ländern funktioniert, funktioniert das dann automatisch auch bei uns. Man muss die Rahmenbedingungen nehmen. Beispielsweise in den angelsächsischen Ländern gibt es Mindestlöhne, allerdings gibt es da auch ein ganz anderes Sozialsystem, ein ganz anderes System sozialer Unterstützung. Und was man feststellen kann auch in anderen Ländern, das ist, dass da ja auch in gewisser Weise differenziert wird. Beispielsweise werden für Jugendliche ja nicht die Mindestlöhne angesetzt, wie das für Erwachsene der Fall ist, sondern die liegen niedriger, weil man eben die Erfahrung gemacht hat, dass durch Mindestlöhne gerade für Jugendliche der Einstieg ins Erwerbsleben besonders schwer ist."

    Das britische Mindestlohn-Modell gilt bei vielen als Erfolgsrezept: Eine unabhängige Kommission, die mit Vertretern der Gewerkschaften, der Arbeitgeber und Wissenschaftlern paritätisch besetzt ist, legt den Mindestlohn fest. Profiteure sind vor allem Frauen, Teilzeitbeschäftigte sowie ethnische Minderheiten. Befürworter eines Mindestlohns sehen sich durch die Erfahrungen in Großbritannien bestätigt. In Folge der Einführung hat kein Arbeitsplatzabbau stattgefunden, und auch die Arbeitslosigkeit ist nicht gestiegen. Trotzdem warnt Karl Brenke vor übertriebenem Optimismus.

    "Das ist nicht vergleichbar. Erstens hat Großbritannien ein anderes Sozialsystem. Von daher sind die Anreize, einen Job zu suchen, sehr viel stärker als bei uns. Dann kann man auch Großbritannien deshalb nicht vergleichen, weil Großbritannien in den letzten Jahren auch durch eine kluge Wirtschaftspolitik auch ein erhebliches Wirtschaftswachstum produziert hat. Und von dem sind wir noch weit entfernt. Wir leiden doch in Deutschland eher, so jedenfalls die letzten Jahre, wir leiden doch eher darunter, dass die Konjunktur sich nur schwach entwickelt hat."

    Nicht ausschließen will er zudem die Möglichkeit, dass in Deutschland Arbeitsplätze verloren gehen könnten. Mit diesem Argument wehren sich auch viele Arbeitgeber gegen den von ihnen ungeliebten Mindestlohn. Johannes Bungart, der die Arbeitgeberseite der Gebäudereiniger vertritt, widerspricht dieser Argumentation. Ein Mindestlohn sei sogar gut für die Unternehmen, da es sie vor ruinöser Konkurrenz und Lohndumping schütze.

    "Die Konsequenz ist doch auch, dass diese Mitarbeiter dann arbeitslos sind. Wir haben eine höhere, neue Zahl von deutschen Arbeitslosen im gering qualifizierten Bereich, die wir alle durch Subventionen finanzieren müssen. Wer muss das denn bezahlen? Das müssen wir doch alle bezahlen durch unsere Lohnzusatzkosten. Und ich bin nicht bereit zu akzeptieren, dass wir den Niedriglohnbereich durch unsere Lohnzusatzkosten in erheblichem Maße subventionieren, dafür gibt es keinen sachlichen Grund."

    Der Verfechter des Mindestlohns bringt damit das Kernproblem zur Sprache: Wer muss eigentlich dafür sorgen, dass die Arbeitnehmer von ihrer Arbeit leben können? Der Staat, indem er Niedriglöhne aufstockt, oder die Unternehmer, indem sie ausreichend hohe Löhne zahlen? Für die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände ist die Sache klar. Derk Strybny:

    "Es wird vertreten von Seiten zum Beispiel auch der SPD, dass es in der Tat so ist, dass die Unternehmer für Existenzsicherung sorgen müssen. Die Unternehmen sagen aber, dass es nicht so ist. Und das ist ja irgendwie betriebswirtschaftlich begründet. Es ist ja nicht so, dass in Deutschland jetzt Lohndumping existieren würde und die Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer ausbeuten würden. Aber Arbeitgeber müssen darauf achten, dass ihr Unternehmen rentabel ist, sie müssen die Produktivität herstellen, und sie können Arbeitskräfte nur da halten, wo sie auch der Produktivität entsprechend bezahlt werden, entlohnt werden. Und es nützt nichts, diese Debatte so zu führen und zu sagen, die Unternehmen müssen die Existenz sichern, das hört sich sicher erst mal gut an, ist aber betriebs- und volkswirtschaftlich gar nicht möglich."

    Die BDA ist strikt gegen einen Mindestlohn in Deutschland und prognostiziert die Verlagerung von Arbeitsplätzen, sollte ein Mindestlohn eingeführt werden. Das Gegenargument: Viele Arbeiten, die ein Mindestlohn betreffen würde, sind lokal gebunden und können nicht einfach ausgelagert werden, wie eben zum Beispiel die Gebäudereinigung. Und natürlich haben beide Seiten für ihre Argumente die entsprechenden Untersuchungen parat. Der Wissenschaftler Karl Brenke:

    "Die Meinung in der Wissenschaft ist gespalten. Die Untersuchungen zeigen ein sehr gemischtes Bild. Manche zeigen, dass Mindestlöhne zwar zu einem Abbau von Beschäftigung führen, andere zeigen, dass Mindestlöhne sich auf die Beschäftigung neutral auswirken, und mache zeigen sogar, dass durch Mindestlöhne die Arbeitslosigkeit abgebaut wird."

    Andrea Nahles, prominente Vertreterin der SPD-Linken und Mitglied im Parteipräsidium, setzt sich für einen tariflichen Mindestlohn ein, denn der Staat soll die Tarifautonomie nicht gefährden, so die Politikerin.

    "Wir haben noch starke Tarifparteien, und die sollten wir dann auch mit in diesen Prozess einbinden und nicht gegen und über ihre Köpfe hinweg arbeiten. Deshalb sagen wir, wir wollen Mindestlöhne, aber eben so, dass wir sagen, das Entsendegesetz soll auf alle Branchen ausgeweitet werden. Das bedeutet, dass die Tarifpartner sich hinhocken müssen und die Chance besteht, dass es dann am Ende branchenspezifische Mindestlöhne gibt."

    Problematisch an diesem Modell: Das Entsendegesetz lässt sich nur auf Branchen anwenden, die von einem bundesweiten oder vielen regionalen Tarifverträgen komplett erfasst werden. Nach einer Studie des gewerkschaftsnahen Forschungsinstituts WSI erfüllen nur 8 von 39 geprüften Branchen dieses Kriterium, so zum Beispiel Banken und Versicherungen, Garten- und Landschaftsbau, Recycling und Entsorgung.

    Außerdem: Es ist kompliziert, wenn es einen Flickenteppich von Mindestlöhnen in Deutschland gibt unterschieden nach Regionen und Berufen. Johannes Bungart:

    "Ein gesetzlicher Mindestlohn, der ist bundesweit einheitlich, da weiß jeder Arbeitnehmer, jede Arbeitnehmerin weiß, dass sie ihn bekommt. Und wenn man noch auf Verfallfristen verzichtet, da wäre jeder Arbeitgeber dumm, wenn er unter diesen gesetzlichen Vorgaben zahlen würde. Wenn sich erst einmal ein gesetzlicher Mindestlohn in den Köpfen der Bürger festgesetzt hab, das ist doch wie bei Rot über die Ampel gehen, da weiß jeder, aha, diesen Anspruch habe ich. Das ist sehr leicht zu kontrollieren. Dieser Einwand der Kontrolle spricht höchstens gegen eine übergroße Zahl von tariflichen Mindestlöhnen, wo man möglicherweise die Arbeit nicht mehr zuordnen kann."

    Wie sich die Koalitionsparteien einigen, ist noch offen. Klar scheint jedoch, dass zumindest der gesetzliche Mindestlohn, wie Bungart ihn fordert, schlechte Chancen hat. Denn Kanzlerin Angela Merkel hat der Vorstellung nach einem einheitlichen und gesetzlich festgelegten Mindestlohn eine Absage erteilt:

    "Es wird keinen flächendeckenden, einheitlichen Mindestlohn geben. Ich halte ihn für falsch. Aber diese Sorge können sie auch streichen. Es wird aus meiner Sicht, und wenn ich sage, aus meiner Sicht, dann, gegen den Wunsch eines Koalitionspartners, da kann man nichts machen, wird es diesen Mindestlohn nicht geben."

    Zu Beginn der deutschen EU-Ratspräsidentschaft hat jetzt auch der Europäische Gewerkschaftsbund die Bundesregierung zum Handeln in Sachen Mindestlohn aufgefordert. Der Dachverband der europäischen Gewerkschaften wünscht sich eine europäische Norm für einen Mindestlohn basierend auf der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und dem Durchschnittseinkommen des jeweiligen Mitgliedstaates.

    Doch für die Bundesregierung steht zunächst einmal die Entscheidung über einen Mindestlohn in Deutschland auf der politischen Agenda. Die Arbeitsgruppe Arbeitsmarkt, die sich unter anderem mit dieser Frage beschäftigt, wird sich in diesen Tagen zum voraussichtlich letzten Mal treffen und dann ihre Vorschläge zur Reform des Niedriglohnsektors veröffentlichen.

    Bis es zu einer Einigung kommt wird es in Deutschland wohl auch weiterhin Menschen geben, die von ihrem Arbeitslohn alleine ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten können.