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"Für eine abschließende Bewertung ist es jetzt sicherlich noch zu früh"

Energie.- Heute hat die Reaktorsicherheitskommission die Ergebnisse für die Stresstests der deutschen Kernkraftwerke vorgestellt. Auch das Öko-Institut in Darmstadt war an diesem Gutachten beteiligt. Dessen Nuklearexperte Dr. Christoph Pistner erläutert im Interview mit Arndt Reuning den Ablauf der Tests.

17.05.2011
    Arndt Reuning: Zunächst ein Blick auf die Atomkraftwerke hier in Deutschland. Biblis A und B, Brunsbüttel und Philippsburg I - diese vier Atomkraftwerke haben keine nachgewiesene Sicherheitsauslegung. Und das könnte nun ihr Aus bedeuten. Geprüft wurden die AKW in Deutschland von der Reaktorsicherheitskommission, die heute das Ergebnis des sogenannten Stresstests vorgestellt hat. Beteiligt an diesem Gutachten war auch das Öko-Institut Darmstadt. Mit einem der dortigen Nuklearexperten habe ich vor der Sendung telefoniert, mit Dr. Christoph Pistner. Ich wollte wissen: Wie schätzt er denn den Sicherheitszustand besonders der sieben ältesten Meiler in Deutschland ein?

    Christoph Pistner: Für eine abschließende Bewertung ist es jetzt sicherlich noch zu früh. Die RSK hat ja ihre Gesamtbewertung heute erst vorgelegt. Auch wir werden diese jetzt erstmal zur Kenntnis nehmen müssen und prüfen müssen. Insofern ist es jetzt sicher noch zu früh, abschließend zu sagen: Wie ist der Sicherheitszustand konkret einzelner Anlagen?

    Reuning: Können Sie kurz beschreiben, wie dieser Stresstest denn überhaupt abgelaufen ist. Wurden da die Kraftwerke vor Ort besichtigt?

    Pistner: Nein, für eine Vor-Ort-Besichtigung war natürlich im Rahmen der Zeit erstmal keine Gelegenheit. Der Gesamte Test musste ja innerhalb von etwa sechs Wochen durchgeführt werden. Das heißt, die wesentlichen Randbedingungen sahen so aus, dass die Reaktorsicherheitskommission in Zusammenarbeit mit den technischen Teams einen Fragenkatalog erstellt hat, der an die Betreiber der deutschen Kraftwerke geschickt wurde. Diese haben daraufhin umfangreiche Antworten zur Verfügung gestellt, indem sie den Zustand ihrer Anlagen und die möglichen Reaktionen ihrer Anlagen auf bestimmte Ereignisse, beziehungsweise unterstellte Postulate beschrieben haben. Und diese wurden dann von der RSK auf Basis eines eigens dafür entwickelten Bewertungsmaßstabs eingestuft in unterschiedliche Robustheitsniveaus.

    Reuning: Sechs Wochen hat diese Begutachtung gedauert, haben Sie gerade gesagt. Ist das genug Zeit, um zu einem umfassenden Stresstest zu kommen?

    Pistner: Also es ist natürlich völlig klar, dass so eine Zeit nicht ausreichen kann, um aus einem Ereignis wie Fukushima sämtliche Lehren zu ziehen, die man daraus ziehen kann. Das wird natürlich umfangreichere Überprüfungen auch in der Zukunft noch bedürfen. Was man jetzt natürlich nur machen konnte, waren erste Fragen, die sich aus dem Ereignis ergeben haben, zu stellen, und hierfür eine vorläufige Bewertung zu bekommen und vorläufige Aussagen zu bekommen.

    Reuning: Welche Kriterien waren das denn?

    Pistner: Es wurden im Prinzip die Fragen, die sich aus Fukushima ergeben, gestellt. Also sprich: Wie verhält sich eine Anlage, wenn es zu Ereignisabläufen jenseits der Auslegung kommt. Wenn also Erdbeben schwerer sind, als in der Auslegung unterstellt. Wenn es zu anlageninternen Überflutungen kommt oder wenn es zu Überflutungen aufgrund von Hochwasser kommt. Es wurden aber auch postulatorisch vorgegebene Ereignisse untersucht. Das heißt, man hat einfach unterstellt, dass bestimmte wichtige Systemfunktionen nicht mehr länger zur Verfügung stehen - zum Beispiel die Stromversorgung für die Sicherheitssysteme. Oder eben Nebenkühlwassersysteme, die für die Abwehr anfallender Nachzerfallswärme notwendig sind. Und es wurde dann eben gefragt: Wie verhält sich eine Anlage unter solchen Bedingungen?

    Reuning: Die Einschätzung fand statt mit Blick auf Japan. Ist denn solch ein Vergleich überhaupt sinnvoll in diesem Fall?

    Pistner: Natürlich würde man jetzt für Deutschland nicht einen eins zu eins identischen Ereignisablauf wie in Japan erwarten, das ist klar. Die Tsunami-Frage stellt sich für viele der deutschen Anlagen in dieser Form natürlich nicht. Aber die grundsätzlichen Fragen - was passiert, wenn eben Ereignisse doch schwerer ausfallen als bisher angenommen, wenn bestimmte Randbedingungen anders sind, als man sie bisher ... unterstellt hat - die lassen sich natürlich auch auf andere Anlagen weltweit übertragen, und das wurde hier eben auch versucht.

    Reuning: Begutachtet wurde auch die Sicherheit in Hinblick auf Flugzeugabstürze. Keines der 17 deutschen Atomkraftwerke ist sicher vor solch einem Absturz. Ist das denn eine neue Erkenntnis?

    Pistner: Ob das in dieser Deutlichkeit so schon formuliert worden war, kann ich jetzt nicht beantworten. Klar ist, dass der Auslegungszustand der Anlagen einfach aufgrund des Alters und der zu ihrer jeweiligen Inbetriebnahme geforderten Sicherheitsvorschriften unterschiedlich war - das war schon immer bekannt. Die Anlagen sind eben unterschiedlich gut oder schlecht gegen Flugzeugabstürze ausgelegt. Dass es insofern hier klare Gruppierungen innerhalb der deutschen Anlagen gab, das war schon länger bekannt.