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Für Gott und Kroatien (4/5)
Protest gegen zu viel Kirche

Mit der Istanbuler Konvention sollen Frauen vor Gewalt geschützt werden. Die Katholische Kirche war gegen die Ratifizierung. Die Aktivisten für ein säkulares Kroatien sehen darin einen Beweis dafür, dass der Einfluss der Kirche zurückgedrängt werden müsse.

Von Dirk Auer | 19.04.2018
    Demonstration in Zagreb für die Ratifizierung der Istanbuler Konvention gegen Gewalt an Frauen: Die roten Gewänder und weißen Kopfbedeckungen der jungen Frauen sollen christlichen Fundamentalismus symbolisieren, denn die Katholische Kirche hat sich gegen den Vertrag gestellt.
    Demonstration in Zagreb für die Ratifizierung der Istanbuler Konvention gegen Gewalt an Frauen - inzwischen hat Kroatien den Vertrag unterzeichnet (Deutschlandradio/ Dirk Auer)
    Samstagmittag auf dem "Cvjetni Trg", dem Blumenplatz in Zagreb, ein beliebter Treffpunkt mit unzähligen Cafés. Es ist nasskalt. Trotzdem haben sich ein paar hundert Menschen versammelt. "Za ratifikaciju" steht auf einem großen Transparent. "Für die Ratifizierung" der Istanbuler Konvention gegen Gewalt an Frauen.
    Aufgerufen zum Protest haben Frauen- und Menschenrechtsgruppen – und "Protagora", eine Organisation, die sich für ein säkulares Kroatien einsetzt. Etwas am Rand stehen fünf Aktivisten von Protagora in einer Gruppe zusammen. Einer von ihnen ist Alan Soric:
    "Wir sind hier, weil wir dagegen kämpfen, dass sich die kroatische Gesellschaft wieder traditionalisiert. Es gibt diese Tendenz. Und dahinter steht immer direkt oder indirekt die Katholische Kirche – als die mächtigste und konservativste Organisation in Kroatien."
    Und die läuft seit Monaten Sturm gegen die Ratifizierung der Istanbuler Konvention vor. Für Alan Soric kommt das wenig überraschend: "Es handelt sich um eine zutiefst frauenfeindliche Organisation. So einfach ist das für Alan Soric, der von Beruf Rechtsanwalt ist. Vesna Puhovksi, die Präsidentin von Protagora, wiegt mit dem Kopf und schränkt etwas ein.
    "Wir müssen vorsichtig sein und Verallgemeinerungen vermeiden. Auch innerhalb der katholischen Kirche gibt es solche und solche. Es gibt auch Priester und Leute, die durchaus einige Dinge verstehen. Aber ja, Tatsache ist, dass der rechte Flügel politisch dominiert – und seine katholische Weltanschauung am liebsten einfach überall etablieren würde."
    Säkulare Verfassung werde täglich verletzt
    Die beiden recken ihre Hälse. Von der Seite laufen gut zwei Dutzend junge Frauen ein, mit gesenkten Köpfen, in roten Gewändern und mit weißen Kopfbedeckungen. Sie sind gekleidet wie die Figuren aus einem Roman von Margaret Atwood. In einer düsteren Zukunftsvision wird dort beschrieben, wie nach einen Staatsstreich durch eine christlich-fundamentalistische Gruppe die Regierung ermordet, die Verfassung außer Kraft gesetzt wird – und Frauen sich als Dienerinnen des Mannes vollständig unterordnen müssen.
    Soweit ist es natürlich noch nicht, sagt Alan Soric lachend. Auch wenn die eigentlich säkulare Verfassung Kroatiens praktisch täglich verletzt werde. Jedes Jahr organisiert Protagora deshalb eine Demonstration: für die Auflösung der Verträge, die der Staat mit dem Vatikan eingegangen ist.
    "Kroatien hat vier Verträge unterschrieben, um das Verhältnis von Staat und Kirche zu regeln. Problematisch daran ist vor allem, dass die Kirche dadurch in hohem Maße von Seiten des Staates finanziert wird, das heißt nicht von den Gläubigen, sondern von allen Bürgern."
    Riesige Summen seien das, schimpft Soric, über die der Staat noch nicht einmal vollständig informiert:
    "Wir versuchen seit Jahren an die genauen Zahlen zu kommen. Erst vor kurzem haben wir durch eine parlamentarische Initiative die Bestätigung bekommen, dass es sich um mindestens 600 Millionen Kuna pro Jahr handelt, also etwa 80 Millionen Euro. Aber das ist nur ein Teil und schließt viele indirekte Zahlungen nicht ein, wie zum Beispiel die Kosten für die Lehrbücher an den Schulen, die Renovierung von Kirchen und kirchlichen Gebäuden. Insgesamt sind es mindestens 150 Millionen Euro im Jahr."
    Kirche fasst immer weiter Fuß in Bildung und Erziehung
    Vorne werden jetzt Berichte von Frauen verlesen, die Opfer von Gewalt wurden. Dazwischen: Auszüge aus dem Vertragstext der Istanbuler Konvention.
    Die Verträge mit dem Vatikan regeln auch Bildungs- und Erziehungsfragen. Vesna Puhovski war selbst Lehrerin und hat beobachten können, wie die Kirche immer weiter Fuß gefasst hat in den Schulen:
    "Die Religionslehrer werden von der Bischofskonferenz ausgewählt – aber der Staat bezahlt die Gehälter. Lehrbücher werden von der Kirche entworfen. Zwar muss der Staat gemäß der Verträge mit dem Vatikan jedes Buch genehmigen. Aber jetzt haben wir zum Beispiel trotzdem dieses famose Schulbuch, dem zufolge Atheisten die Schuld an Auschwitz tragen. Und auch das wurde vom Ministerium genehmigt."
    Der Protest ist zu Ende. Die kleine Gruppe von Protagora setzt sich langsam in Bewegung. Gemeinsam wollen sie noch einen Kaffee trinken und dabei ihre nächsten Aktivitäten besprechen – für ein modernes, ein tolerantes und liberales Kroatien, wie Vesna Puhovski sagt:
    "Dieser Kampf ist nie zu Ende. Diese extreme Spaltung in der Gesellschaft – die Situation ist schwer. Anfang der 2000er und in den Jahren danach hatten wir mehr Erfolg, es gab eine größere Offenheit. Aber die letzten zehn Jahre stagniert es wieder. Und jetzt droht sogar ein Rückschritt."
    "Die konservative Gesellschaft ist Illusion"
    Nun ist es Alan Soric, der leicht widerspricht – und in dieser Frage für mehr Ausgewogenheit plädiert:
    "Wenn man die die Leute direkt fragt, sogar jene, die ziemlich konservativ sind: Sind sie für das Recht auf Abtreibung? Denken sie, dass Frauen das gleiche Gehalt wie Männer erhalten sollten? Dann zeigt sich, dass die Bevölkerung eigentlich gar nicht so konservativ ist, sondern eher liberal. Diese konservative Gesellschaft, auf die sich die Kirche immer beruft, ist zu großem Teil eine Illusion. Und deshalb bin ich langfristig eigentlich Optimist."
    Tatsächlich haben sich bei einer Umfrage zwei Drittel der Befragten für die Ratifizierung der Konvention ausgesprochen.