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Für Kunst und für Hitler

Knut Hamsun ist ein anerkannter Künstler, trotzdem werden Jahrestage - wie jetzt der 150. Geburtstag - noch immer kritisch diskutiert. Auch das neue Hamsun-Zentrum in Narvik facht die Debatte wieder an.

Von Agnes Bührig | 04.08.2009
    Von weitem erinnert der Neubau ein bisschen an einen trotzigen Troll vor malerischer nordnorwegischer Berglandschaft: ein hoher schmaler Baukörper, die Außenfassaden in dunklem Holz gehalten, auf dem Dach eine schilfbewachsene Terrasse, die an einen struppigen Kurzhaarschnitt denken lässt. "The Harry Guy" nennt Steven Holl sein Werk. Das Spiel mit dem Licht war dem amerikanischen Architekten wichtig, erzählt Ausstellungsmacherin Nina Frang Høyrum:

    "Im Winter ist es einen Großteil des Tages dunkel, im Sommer geht die Sonne gar nicht mehr unter. Abhängig von Tages- und Jahreszeit wird das Licht durch die verschiedenen Fenster ins Gebäude fallen. Daneben gibt es große Fenster, auch an den Ecken. Wenn man im Innern ist, steht man so plötzlich mitten in der Natur. Das zieht die Landschaft ins Gebäude rein und ein Teil von Hamsuns Werk ist ja von der Landschaft hier oben geprägt."

    Umgerechnet rund 16 Millionen Euro hat der Neubau gekostet, der vor allem aus staatlichen Mitteln bezahlt wurde. Das rief in Norwegen umgehend Kritiker auf den Plan, die ein Denkmal für einen Landesverräter witterten. Hamsun hatte sich während des Zweiten Weltkrieges eindeutig auf die Seite der Nazis geschlagen. Er verteidigte die Konzentrationslager, hofierte Hitler und ließ sich von der Wochenschau beim Besuch deutscher Truppen im besetzten Norwegen ablichten. Ihn zu ehren ist in Norwegen mehr als problematisch, sagt Nina Frang Høyrum:

    "In Norwegen gibt es immer große Debatte, sobald Hamsun im öffentlichen Raum geehrt werden soll. Vor zwei Jahren lehnte die Stadtverwaltung von Oslo die Umbenennung eines Platzes ab. Man begründete es damit, dass man Hamsuns literarisches Wirken und seine Bedeutung für das politische Leben nicht trennen könne. Eine Büste an seinem letzten Wohnort in Grimstad, die vor ein paar Monaten aufgestellt wurde, war kurz darauf mit einer Naziflagge behängt."

    Dass im Jubiläumsjahr mit Kronprinzessin Mette-Marit sogar eine Vertreterin des norwegischen Königshauses Schirmherrin der Feierlichkeiten ist, hat viele Norweger empört. In Forscherkreisen ist man sich hingegen einig, dass das Jubiläum auch Chancen bietet, so der Hamsun-Biograf Ingar Sletten Kolloen:

    "Es gab sehr wenig Nachrufe als Hamsun 1952 starb. Diejenigen, die schrieben, plädierten dafür, seine Seele in Frieden ruhen zu lassen und sich nun seiner Dichtung zuzuwenden. Doch kaum war er tot, kam Hamsun als Wiedergänger zurück und beschäftigt uns seitdem. Das Gute an so einem Jubiläum ist, dass es Debatten und ein Engagement hervorruft, die zeigen, dass Künstler niemals unvorbehaltlos gefeiert werden sollten. Sie sollen diskutiert werden!"

    Diese Rolle soll das neue Hamsun-Zentrum in Nordnorwegen übernehmen. Neben einer kleinen Ausstellung will es ab der kommenden Saison Raum für Seminare, Filmvorführungen und Literaturdebatten bieten. Dass die Debatte zu Hamsuns Nazivergangenheit weiter geht, ist sicher: und erwünscht, sagt Ausstellungsmacherin Nina Frang Høyrum:

    "Das Zentrum soll Knut Hamsun nicht huldigen, es soll einen Ort bieten, an dem man das Werk eines Autors erforschen kann, vor allem im Verhältnis zu den politischen Strömungen seiner Zeit. Wir wollen Hamsuns Werk auch mit aktuellen Themen von heute verbinden. Das Motiv der Wanderschaft ist zum Beispiel zentral in seinem Werk. Er ist selbst viel gereist, hat über rastlose Menschen geschrieben, die unterwegs waren. Wanderung und Migration stehen auch heute im Fokus. Der Schwerpunkt dieses Zentrums ist es, Fragen zu stellen."

    Es ist nur folgerichtig, dass Norwegen, das gern als Friedensvermittler eingreift und jedes Jahr den Friedensnobelpreis vergibt, vorsichtig im Umgang mit seinem umstrittenen Literaturpreisträger ist. Ob das neue Literaturzentrum aber mehr ist als nur ein neues Museum im dünnbesiedelten Norden, muss die erste Saison im kommenden Jahr zeigen.