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"Für mich ist das Moratorium kein Wahlkampf-Gag"

Der CSU-Fraktionsvize im Bundestag, Christian Ruck, hat versichert, das dreimonatige Atom-Moratorium sei ernst gemeint und kein Wahlkampf-Manöver. Angeblich anderslautende Äußerungen von Bundeswirtschaftsminister Brüderle (FDP) seien dessen Angelegenheit: "Ich ziehe mir den Schuh von Herrn Brüderle nicht an."

Christian Ruck im Gespräch mit Silvia Engels | 25.03.2011
    Silvia Engels: Am Sonntag werden in Rheinland-Pfalz und in Baden-Württemberg die Landtage neu gewählt. Die Katastrophe in Japan und die deshalb auch in Deutschland wieder neu diskutierte Atomkraft sind zu einem entscheidenden Thema des Wahlkampfs geworden. Die Bundesregierung hat die sieben ältesten Atomkraftwerke für drei Monate stilllegen lassen, oder ist gerade dabei, und gestern zitierte nun die "Süddeutsche Zeitung" aus einem Protokoll des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Danach soll Wirtschaftsminister Brüderle (FDP) vor zehn Tagen bei einem Treffen mit der BDI-Spitze den Schwenk in der Atompolitik damit begründet haben, "dass angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen Druck auf der Politik laste. Entscheidungen seien daher nicht immer rational." Der BDI sprach anschließend von Protokollfehlern und im Bundestag zitierte die Opposition dennoch aus diesem, danach fehlerhaften Protokoll. Brüderle selbst reagierte im Bundestag so:

    "Nein, Sie haben ein Protokoll zitiert, von dem der BDI inzwischen erklärt hat, dass meine Ausführungen falsch wiedergegeben worden sind."

    Engels: So weit Herr Brüderle. Ein Dementi mit dem Wortlaut "ich habe das nicht gesagt" war von Minister Brüderle dagegen nicht zu hören. – Am Telefon ist nun Christian Ruck, er ist stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und dort zuständig für Umwelt und Reaktorsicherheit. Guten Morgen, Herr Ruck.

    Christian Ruck: Guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Hätten Sie sich ein stärkeres Dementi von Minister Brüderle gewünscht?

    Ruck: Ich weiß nicht, was er gesagt hat und was in Wirklichkeit dort vorgefallen ist. Aber die Situation und die Diskussionsatmosphäre ist leider ohnehin derzeit so vergiftet, dass man jedes Wort auf die Goldwaage legen muss, und so passt das auch ins Bild.

    Engels: Es ist ja nun aber einfach ein wichtiges Thema, die Atomkraft. Die "Süddeutsche Zeitung" jedenfalls zitiert heute einen Zeugen eben jener BDI-Sitzung, der sagt, dass die Zitate Brüderles stimmten. Ist da ein Dementi überhaupt noch glaubwürdig?

    Ruck: Also, ich bin nicht der Brüderle, das muss der Wirtschaftsminister selber wissen. Entscheidend ist ja die Frage, ist das Moratorium ernst gemeint oder nicht. Da kann ich für mich sprechen, ich mache das ja, auch die ganze Umweltproblematik und die Kernkraftfragen, seit vielen Jahren. Für mich ist dieses Moratorium etwas, was wir schon ernst nehmen, wobei ich auch sagen muss, wir haben ein föderales System, das sind jeden Augenblick Wahlen, und natürlich spielen Wahlkämpfe, wie manchmal auch diese Woche, eine Rolle für so ein Thema. Dazu sind ja auch Wahlkämpfe gedacht. Aber was ich nicht will ist, dass man für irgendeine Wahl nur eine Show abzieht und hernach sagt, das war dem Wahlkampf geschuldet. Also für mich ist das Moratorium kein Wahlkampf-Gag.

    Engels: Kein Wahlkampf-Gag, sagen Sie. Aber wie gefährlich ist es auch für den Verlust der Glaubwürdigkeit des Regierungslagers, wenn viele Bürger es ja für einleuchtend halten, dass Herr Brüderle solche Dinge sagen könnte?

    Ruck: Also noch mal: Ich ziehe mir den Schuh von Herrn Brüderle nicht an, auch weil ich nicht weiß, was er wirklich und in welchem Kontext gesagt hat. Ich halte das Moratorium deshalb für wichtig, weil ja ganz offensichtlich ist, dass die Bürger und auch wir Politiker von den Vorgängen in Japan betroffen sind. Und jeder fragt sich natürlich, kann das auch bei uns passieren. Kann das auch bei uns passieren, obwohl wir nicht in einem Erdbebengebiet, nicht in einem Tsunamigebiet liegen, und obwohl unsere Sicherheitssysteme nachweislich besser sind als die japanischen. Aber trotzdem, nachdem das alle bewegt – und das ist ja auch verständlich -, müssen wir uns die Zeit nehmen zu sagen, wir machen eine Denkpause, und so steht es ja auch in unserem Antrag, wir halten inne und überprüfen, ob unsere Sicherheit bei den Kernkraftwerken wirklich gegeben ist.

    Engels: Aber das ist ja auch die Frage der Bürger, um jetzt mal konkret auf das Moratorium sprechen zu kommen. Sie wollen die Sicherheitsprüfung in diesem Moratorium über drei Monate durchführen, aber wo genau haben Sie auf einmal Sicherheitszweifel, die Sie vorher nicht hatten. Denn Erdbeben und Tsunami, das sind ja nicht die Hauptbedrohungen? Bei einem Flugzeugabsturz, da hat sich ja nun überhaupt nichts verändert im Vergleich zu Japan.

    Ruck: Die Sache mit dem Flugzeugabsturz zum Beispiel für Kernkraftwerke in der Nähe von Flughäfen ist ja auch keine neue Diskussion, das war ja auch schon diskutiert vor zehn Jahren unter Rot-Grün.

    Engels: Genau! Und warum macht man jetzt auf einmal ein Sicherheitsmoratorium, was man vorher nicht für nötig befand?

    Ruck: Ja. Was ich für richtig halte ist, dass man sich anschaut, was bei den japanischen Kraftwerken wirklich passiert ist. Und ich halte Tsunami und Erdbeben in der Stärke bei uns für ausgeschlossen. Aber ich halte die Frage für berechtigt, dass man sagt, gibt es denn bei uns auch außergewöhnliche Schadensereignisse außerhalb von Erdbeben, die bei der jetzigen Sicherheitssituation zu denselben Folgen führen könnten wie in Japan. Also, was ist mit den Kühlanlagen, was ist mit der Unabhängigkeit der verschiedenen Sicherheitssysteme? In Japan war es ja nicht so, dass die Gebäude an sich beschädigt wurden, sondern das Ganze außen herum, die Stromversorgung, und es ist wichtig, dass wir auch bei uns überprüfen, wenn so was Ähnliches durch einen anderen Schadensfall, zum Beispiel durch einen Flugzeugabsturz, ausgelöst wird, ob es zu denselben Reaktionen kommen könnte, und das ist eine ganz berechtigte Frage, und da müssen wir auch die Zeit nehmen, das durchzuspielen und genau zu hinterfragen.

    Engels: Aber vor der Angreifbarkeit von Kühlsystemen in AKWs haben Kritiker von Grünen, von Greenpeace schon seit Jahren, Jahrzehnten gewarnt. Haben Sie denen einfach nicht geglaubt?

    Ruck: Die Diskussion um die Kernkraft dauert ja auch schon eine ganze Weile. Es sind immer dieselben Argumente gekommen. Herr Trittin hat ja auch, was auch ein Stück ehrlich ist, gesagt, es ist ihm eigentlich vollkommen Wurst, was wer zu den Kernkraftwerken sagt, er war schon immer dagegen. Das ist sein Standpunkt, aber den Standpunkt muss man ja nicht teilen.

    Engels: Warum kann die Union eigentlich nicht einfach zugeben, dass in dem neuen Lichte durch Japan diese Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke im letzten Jahr letztendlich unter dem Strich ein Fehler war?

    Ruck: Wenn Sie glauben, dass es ein Fehler war, dann nehme ich Ihnen diese Meinung nicht weg. Aber Sie müssen auch zur Kenntnis nehmen, ...

    Engels: Das ist nicht meine Meinung. Es ist die Meinung vieler Bürger an der Stelle.

    Ruck: ..., dass es auch Leute gibt, die anderer Meinung sind. Und das Problem bei der Kernkraft ist ja nicht, dass die einen sagen, sie sind sicher, und dass die anderen sagen, sie sind unsicher, sondern das Problem sind die Alternativen. Es wird auch immer unterstellt, dass unser Energiekonzept, an dem ich ja auch maßgeblich beteiligt war, die Kernkraft als ewige Technologie festhält. Das ist einfach eine Unterstellung! Die Wahrheit ist, dass wir Laufzeiten verlängert und vereinbart haben, um mit dem Geld die erneuerbaren Energien sattelfest zu machen. Die erneuerbaren Energien sind im Moment und auch für die nächsten Jahre nicht sattelfest. Wir können mit den erneuerbaren Energien im Moment die Energieversorgung der Bundesrepublik nicht sicherstellen, weil wir die nötigen Netze nicht dazu haben. Das ist auch ein Teil der Wahrheit. Und das Einzige, worum ich bitte, ist, dass man auch uns abnimmt, dass wir versuchen, eine vernünftige Politik zu machen, und zu dieser vernünftigen Politik gehört auch, dass wir die Versorgungssicherheit herstellen müssen. Und es ist für mich keine Versorgungssicherheit, die dann auch moralischen Ansprüchen genügt, wenn ich dann immer den Strom aus Temelin in Tschechien oder aus Frankreich, aus den Atomkraftwerken beziehe oder, wie wir es wohl jetzt machen müssen, zum Beispiel auch aus den Kohlekraftwerken in Polen, und allein dieses dreimonatige Moratorium wird uns einen zusätzlichen CO2-Ausstoß von bis zu 30 Millionen Tonnen bescheren. Da höre ich gar nichts von den Linken und den Grünen, ob das so ohne Weiteres vertretbar ist.

    Engels: Christian Ruck, der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und dort zuständig für Umwelt und Reaktorsicherheit. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Morgen.

    Ruck: Ihnen auch! Alles Gute.