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Für Versöhnung zwischen Türken und Armeniern

Der Journalist Hrant Dink trat für die Versöhnung zwischen Türken und Armeniern ein und geriet damit zum Feindbild der türkischen Nationalisten: Am 19. Januar wurde er in Istanbul ermordet. Nun erhält die Zeitung Agos, deren Mit-Herausgeber Dink war, die Hermann-Kesten-Medaille des deutschen PEN-Clubs. Sabine Küpper-Büsch berichtet.

15.11.2007
    Nur die ersten Takte sind harmlos. Das Lied "Plan Yapmayýn", "Schmiedet kein Komplott”, beginnt wie viele türkische Schwarzmeer-Schlager mit Klängen volkstümlicher Streich- und Zupfinstrumente. Doch mit dem Gesang setzt eine Hasstirade auf Armenier und andere Minderheiten ein.

    "Wenn einer das Vaterland verkauft, dann ist er erledigt. Die Sonne der Türken und des Islam geht am Schwarzen Meer niemals unter","

    heißt es in Anspielung auf den Mörder Hrant Dinks, der aus der Schwarzmeerstadt Trabzon stammt.

    Eine Welle des Nationalismus schwappt durch die Türkei, seitdem die Annäherung an Europa Reformen und Minderheitenrechte einfordert. Die türkisch-armenische Wochenzeitung Agos, deren Chefredakteur Hrant Dink war, bekommt den Druck von allen Seiten zu spüren. Herausgeber Sarkis Seropyan und Hrant Dinks Sohn Arat wurden Ende Oktober zu einem Jahr Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Für Nachrichtenchef Arif Nalci ein klares Signal gegen die Meinungsfreiheit.

    ""Arat Dink muss als Chefredakteur und Arkis Seropyan als Herausgeber den Abdruck eines Interviews mit Hrant Dink verantworten. Die Agentur Reuters hatte es geführt und Agos daraus zitiert. Die beiden sind nach dem Paragraphen 301 verurteilt worden."

    Der Strafrechtsartikel 301 verbietet die "Verunglimpfung des Türkentums". Die Abschaffung des Straftatbestandes gilt als Maßstab für eine Justizreform in der Türkei, in der Meinungsfreiheit möglich ist.

    In dem Interview hatte Hrant Dink die Frage, ob es einen Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich gegeben habe, bejaht. Mit dem Abdruck des Interviews durch Agos sah das türkische Strafgericht den Straftatbestand der Verunglimpfung des Türkentums für erfüllt an. Schon Hrant Dink war nach Artikel 301 verurteilt worden. Seine Anwältin Fethiye Cetin findet das skandalös.

    "Hrant wurde als Türkenfeind verurteilt. Der Paragraf 301 ist ein Skandal. Das Urteil war ein Justizmord und hat leider dem späteren Verbrechen den Weg bereitet, denn diese Jugendlichen glaubten, als Patrioten zu handeln."

    Die Verurteilung Hrant Dinks zu einer Bewährungsstrafe war in ultranationalistischen Kreisen der Türkei als Provokation empfunden worden.

    "Die türkische Nation toleriert kein Glockengeläut und keine Armenierfreunde”,"

    heißt es im Schlagerlied von der Schwarzmeerküste. Die Staatsanwaltschaft ermittelt jetzt auch gegen den Sänger, wegen "Lobes einer Straftat", was - im Falle einer Verurteilung - mit einer Geldstrafe geahndet würde.

    Hrant Dinks Anwälte kritisieren, dass mit zweierlei Maß gemessen werde. Im Prozess im Mordfall Dink zeigten sich zudem, so seine Anwältin Fethiye Cetin, deutliche Verfahrensfehler.

    ""Wir haben Angst, dass die Hintergründe verborgen bleiben. Es gibt in dem Fall nicht nur einen Täter, sondern wichtige Hintermänner. Die reichen bis in die Reihen der Sicherheitskräfte. Doch bislang wird das verschleiert. Es kommt darauf an, ob sie neben den Tätern auch die Anstifter suchen."

    Ende vergangener Woche teilte die Staatsanwaltschaft in Istanbul mit, dass jetzt ein Verfahren gegen zwei Polizisten eingeleitet worden sei - Polizisten, die zu den mutmaßlichen Hintermännern des Mordes an Hrant Dink gerechnet würden.

    In ihrem Fortschrittsbericht "Türkei" kritisierte die EU-Kommission Anfang vergangener Woche, dass es nach der Ermordung Dinks teilweise öffentlichen Zuspruch für die Täter gegeben habe - dem Vorwurf einer nachlässigen Ermittlung müsse nachgegangen werden.