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Fukushima - die Katastrophe dauert an

Lange wurde nach dem Reaktorunglück in Fukushima spekuliert: über Brennstäbe, Kühlpumpen und die Höhe der radioaktiven Strahlung. Doch als offenbar wurde, dass es in Reaktor 1 tatsächlich zur Kernschmelze gekommen ist, war das öffentliche Interesse außerhalb Japans eher gering.

Von Dagmar Röhrlich | 21.05.2011
    Inzwischen ist es ruhig geworden um die vier Reaktoren "in Not", denn anders als in Tschernobyl, wo sich das Drama innerhalb weniger Tage abspielte, zieht sich diese Katastrophe über Monate hin. Das ist aber nicht nur für Medien und Publikum schwer zu begreifen, sondern auch für die Experten. So werden aufgrund von Fukushima weltweit die Notfallpläne überarbeitet:

    "Bei einer jetzt länger dauernden, in Summe vielleicht genauso hohen aber nicht auf einer zeitlichen Skala fokussierten Freisetzung, das war immer als ein minder schwerer Fall betrachtet worden und minder schwere Fälle werden eben nicht so stark berücksichtigt wie der schwerste Fall",

    erklärt Michael Maqua von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit GRS. Obwohl sich erst jetzt abzeichnet, wie weitreichend die internationalen Konsequenzen nach Fukushima sein werden, ist die Öffentlichkeit heute kaum mehr interessiert. Trotz der Meldung dieser Tage, die bestätigt: Es hat tatsächlich eine Kernschmelze stattgefunden. Und zwar wenige Stunden nach dem Beben in Block 1.
    "So sechs bis acht Stunden nach dem Störfalleintritt gab es dort wohl schon schwere Kernschäden."
    Inzwischen wird auch die politisch interessante Frage diskutiert, ob dieser Teil der Havarie durch das Beben selbst verursacht worden ist und damit in den Bereich "Restrisiko" fällt. Darüber, ob sie bereit ist, dieses Restrisiko auch in Zukunft zu tragen, müsste dann die japanische Gesellschaft entscheiden. Die Kernschmelze von Block 1 könnte aber auch erst durch den Tsunami ausgelöst worden sein, als er Notkühlsysteme und Stromversorgung zerstörte. Dann wäre sträflicher Leichtsinn die Ursache der Havarie - denn sie hätte vermieden werden können. Uwe Stoll vom Reaktorbauer Areva und Mitglied der Reaktorsicherheitskommission geht von einer solchen "Blauäugigkeit" aus:

    "Für mich an Fukushima hat eigentlich überrascht, dass man dort hinsichtlich der Auslegung eines Tsunamis Russisch Roulette gespielt hat. Man hat also Tsunamis unterstellt, die relativ häufig vorkommen können und hat dann aber nicht dagegen ausgelegt."
    Der japanische Kraftwerksbetreiber Tepco hat inzwischen zugegeben, dass die Mannschaft von Block 1 zehn Minuten nach dem Beben die Notkühlung von Hand ausgeschaltet hat. Das spricht für ein Leck durch das Beben - oder für Fehler bei der Notabschaltung. Welches Szenarium korrekt ist und wer am Ende politisch und/oder strafrechtlich die Verantwortung übernehmen muss, wird sich vielleicht erst in ein paar Wochen zeigen. Für die Menschen von Fukushima ist das jedoch Einerlei: Sie haben ihre Heimat verloren, leben seit Monaten in Notunterkünften und ein Ende ist nicht abzusehen. Im Gegenteil: Es wird weitere Evakuierungen geben - und die Mess-Trupps finden immer wieder neue Stellen mit erhöhter Radioaktivität.

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    Atomkraft (dradio.de-Sammelportal)