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Fukushima
Kotting-Uhl: Japan bemüht sich um ein Stück Normalität

In Fukushima wird mit Hochdruck daran gearbeitet, die Schäden am havarierten Atomkraftwerk zu beseitigen. Japans Regierung wolle Normalität signalisieren, spiele gleichzeitig aber die Gefahr herunter, kritisiert die atompolitische Sprecherin der Grünen, Sylvia Kotting-Uhl.

Sylvia Kotting-Uhl im Gespräch mit Susanne Kuhlmann | 13.12.2013
    Susanne Kuhlmann: Gut zweieinhalb Jahre sind vergangen, seit im Nordosten Japans die Erde bebte und ein Tsunami folgte. Viele Menschen starben oder verloren ihr Zuhause. Und dem Rest der Welt ist seitdem das Atomkraftwerk von Fukushima ein Begriff, seit damals eine Ruine, die jetzt abgewrackt werden soll, eine Aufgabe für die nächsten 40 Jahre, wie es heißt. Allein ein Jahr könnte es dauern, 1500 Brennstäbe aus dem Abklingbecken des zerstörten Reaktorgebäudes zu bergen.
    Sylvia Kotting-Uhl, die atompolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, beendet heute ihre mehrtägige Japan-Reise. Ein Programmpunkt war der Besuch des Unglücksgeländes in Fukushima. Guten Tag, Frau Kotting-Uhl.
    Sylvia Kotting-Uhl: Guten Tag, Frau Kuhlmann.
    Kuhlmann: Wie war Ihr Eindruck?
    Kotting-Uhl: Auf dem Gelände sieht es aus wie auf einer Baustelle. Da ist offensichtlich sehr viel passiert, hohe Aktivität, 3000 Arbeiter sind dort jeden Tag im Einsatz. Die Reaktoren, die havarierten, sind eingehaust bis auf den Reaktor III, an dem man nicht weiß, wo der geschmolzene Kernbrennstoff genau liegt. Das heißt, den kann man auch nicht angemessen kühlen, da kann natürlich niemand in die Nähe, die Strahlung ist viel zu hoch. Aber es wird dort viel getan und es könnte den Eindruck einer gewissen Normalität erwecken, als wüsste man nicht, was da eigentlich los ist.
    Kuhlmann: Wie sieht der Arbeitsalltag aus? Sie erwähnten gerade, dass mehrere Tausend Menschen dort arbeiten. Unter welchen Bedingungen?
    Kotting-Uhl: Ich habe gehört, sie dürften nur eine Stunde pro Tag arbeiten. Das läge aber hauptsächlich an der Maske, die sie tragen müssen. Mit der könnte man nicht länger arbeiten. Ich hoffe, dass das stimmt mit dieser Begrenzung auf eine Stunde, denn die Strahlungsintensität ist doch sehr hoch an den einzelnen Brennpunkten.
    Ja, es wird sehr viel natürlich maschinell gemacht. Diese bereits begonnene Entladung des Brennelemente-Beckens beim Reaktor IV, aus dem die ganzen Brennelemente geborgen werden müssen, weil dieses Brennelemente-Becken instabil ist, die wird natürlich rein maschinell vorgenommen. Das meiste passiert maschinell, trotzdem müssen Arbeiter dabei sein, die Maschinen bedienen und auch das Ganze kontrollieren und beaufsichtigen.
    Kuhlmann: Den Betreiber Tepco hält die japanische Regierung ja für überfordert. Aber sie ihrerseits, die japanische Regierung, hat offenbar selbst alle Mühe, das Problem in den Griff zu bekommen. Was soll in der nächsten Zeit passieren in Fukushima?
    Kotting-Uhl: Ich glaube, das Problem in den Griff zu bekommen, überfordert jeden. Keiner weiß, wie das am Ende ausgeht. Auch diese Dekontamination des kontaminierten Kühlwassers, die jetzt vorgenommen wird oder vorgenommen werden soll, wird ja am Ende nicht dazu führen, dass reines Wasser übrig bleibt, sondern es wird immer Tritium im Wasser bleiben. Im Moment werden Tanks an Tanks gestapelt auf dem Gelände. Jeder Tank hat Platz für 1000 Tonnen Wasser. Das heißt, so ein Tank reicht für zweieinhalb Tage, denn man muss 400 Tonnen pro Tag entsorgen. Das heißt, das ist eine Geschichte, an der man am Ende nicht sieht, wie sie aufhören soll. Man kann ja nicht ohne Ende diese Tanks stapeln. Das heißt, am Ende wird irgendwann der Pazifik das Endlager für dieses angesammelte Tritium werden. Man weiß auch nicht, ob diese Brennelemente-Entladung bis zum Ende funktioniert. Das wird immer schwieriger werden. Und man weiß vor allem nicht, was mit dem Reaktor III, wo immer noch nicht klar ist, wo der Brennstoff, der geschmolzene, sich eigentlich befindet, was aus diesem Reaktor wird. Das sind jede Menge ungelöste Probleme, für die niemand bisher eine Antwort weiß.
    Kuhlmann: Sie konnten wohl mit Vertretern von Tepco als auch mit Parlamentsabgeordneten und mit Mitarbeitern der Atomaufsicht sprechen. Welches Bild zeichnen die denn von der Lage?
    Kotting-Uhl: Das ist sehr unterschiedlich. Tepco versucht natürlich, den Eindruck zu vermitteln, auch für die eigenen Arbeiter, das alles gut im Griff zu haben, jetzt Schritt für Schritt die anstehenden Aufgaben abzuarbeiten, und die Fragen, die heute noch nicht beantwortbar sind, dann morgen zu beantworten. Die Atomaufsicht sieht Tepco wohl als ziemlich unzuverlässig an und prüft auch Anträge auf das Wiederanfahren von Atomkraftwerken zum Beispiel in Kashiwazaki-Kariwa, sehr ernsthaft, aber äußert sich natürlich nicht öffentlich kritisch zu dem Betreiber. Und einzelne Parlamentarier, die ich getroffen habe, auch Wissenschaftlerinitiativen, eine unabhängige Untersuchungskommission, die es gab, und auch eine Kommission, die sich aus Bürgern, aus Akteuren der Zivilgesellschaft gebildet hat, haben sehr kritische Papiere verabschiedet und halten Tepco für völlig unzuverlässig, sehen aber auch das Versagen von bisherigen Institutionen wie der bisherigen Atomaufsicht und natürlich auch dem ganzen Regierungsapparat.
    Kuhlmann: Könnte es sein, dass Japan internationale Hilfe benötigt?
    Kotting-Uhl: Ja. Die ist auch bereits da. Japan lässt sich bereits beraten. Auch Tepco lässt sich bereits beraten. Aber vorrangig oder überhaupt gerne von Pro-Atom-Ländern, das heißt USA, Frankreich, Großbritannien. Die Beratung, die Expertise des Ausstiegslandes Deutschland wird bisher noch nicht sehr geschätzt.
    Kuhlmann: In der Nähe des Unglücksreaktors liegt ja ein Trainingszentrum des japanischen Fußballverbands, und das soll offenbar demnächst wieder genutzt werden. Kann ein Stück Normalität in die Gegend zurückkehren?
    Kotting-Uhl: Unser Treffpunkt mit Tepco war genau dort, dieses sogenannte J-Village, das das frühere Fußballstadion ist, aber immer auch schon Ausgangspunkt, Sammelpunkt für die Busse zum Beispiel, die die Arbeiter zu dem Atomkraftwerk gebracht haben, war. Dort ist die Strahlung in der Tat inzwischen sehr niedrig. Das ganze Gelände, das frühere Sperrgelände von 20 Kilometern, ist ja inzwischen eingeteilt in drei Zonen, eine rote, eine gelbe, eine grüne. Die rote Zone hat auf unserem Weg zum Beispiel erst acht Kilometer vor Fukushima begonnen. Davor war gelbe Zone, grüne Zone. Grün bedeutet, es ist bereits dekontaminiert, die Menschen könnten zurück. Allerdings ist es so, dass die Menschen nicht unbedingt wollen. Die Frauen wollen nicht, die jungen Menschen wollen nicht, alte Menschen oder Männer sind eher bereit zurückzugehen.
    Die gelbe Zone wird bearbeitet, dort wird versucht, die Infrastruktur wieder herzustellen. Das erste was immer funktioniert, sind die Ampeln erstaunlicherweise. Aber dort darf man zum Beispiel nicht leben, nicht übernachten, sondern sich nur ein paar Stunden aufhalten. Und rot ist nach wie vor Sperrzone. Aber selbst in der roten Zone ist relativ viel Autoverkehr, Menschen, die auf der einen Seite der Zone ihren Arbeitsplatz und auf der anderen Seite ihren Wohnplatz haben, dürfen durchfahren. Aber auch das soll natürlich Normalität signalisieren. Das Bemühen Japans und auch Tepcos ist zu sagen, so gefährlich ist das alles nicht.
    Kuhlmann: Sylvia Kotting-Uhl – vielen Dank nach Tokio.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.