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Fulminante Ouvertüre

Nordrhein-Westfalen hat einen neuen Verlag und Deutschland ein neues Literaturland. Die frisch in Bergisch-Gladbach gegründete "Edition Kathmandu" hat soeben ihren Einstand gegeben: mit dem Roman "Geheime Wahlen" von Manjushree Thapa. Ein moderner Roman aus Nepal - und zwar der erste, den es überhaupt auf Deutsch gibt.

Von Katharina Borchardt | 08.08.2007
    Jimmawal Sharma trinkt nur Tee, wenn ihn eine seiner beiden Ehefrauen zubereitet hat. Wenn eine andere Frau dem gläubigen Hindu eine Tasse nepalesischen Milchtee anbietet, weist er ihn stets brüsk zurück. Schließlich könnte die Frau ja gerade ihre Menstruation haben und ihn damit verunreinigen. Auch zum Basar würde er am liebsten gar nicht gehen. Der Basar ist doch eine wahre Zumutung und strotzt nur so vor nicht-hinduistischen und darum in höchstem Maße unreinen Einflüssen. Bevor er losgeht, murmelt er gerne den Kernsatz aus der Bhagavad-Gita: "Niskama karma - Handle ohne Ansehung der Folgen."

    Doch seine Frömmelei ist nur die Fassade, an die Jimmawal Sharma selbst am meisten glaubt. Die Folgen, die sein Gang zum Basar zeitigen sollen, sind durchaus beabsichtigt: Er will das Haus vermieten, das er im Ortskern von Khaireni Tar hat bauen lassen, einer kleinen Ortschaft in West-Nepal. Und zwar an die Volkspartei, denn es stehen Parlamentswahlen in Nepal an: "Geheime Wahlen", so der Titel des Romans von Manjushree Thapa. Die Vorbereitung und die Durchführung dieser Wahlen ist der große Spannungsbogen des Buches: Welche Partei wird gewinnen? Auch im Bezirk Khaireni Tar machen die Parteien mobil und richten sich Hauptquartiere ein. Darauf spekuliert auch Jimmawal Sharma:

    Er musste seinen Neubau an die Partei vermieten - sofort! Er hatte noch keine Scheiben in den Fenstern, aber in einer Woche, in zehn Tagen konnte er fertig sein. Wo sollte die Partei besser geeignete Geschäftsräume finden? Ein solider Bau, aus Zement, mit vier großen Räumen, ja sogar einer Innentoilette - mit Kachelsplitter-Fußboden! Und er lag ganz in der Nähe von Nayan Rajs Vaterhaus, in dem diese Witwe einen Teeladen betrieb. Gott Krishna, betete er - drei-, vier-, vielleicht fünftausend (Rupien) im Monat!

    Nayan Raj ist der Kandidat, der sich für die Volkspartei im Bezirk Khaireni Tar zur Wahl stellen wird. Die Volkspartei ist eine Erfindung der Autorin Manjushree Thapa; alle anderen Parteien und Gruppierungen aber gibt es wirklich in Nepal: Die beiden stärksten Kräfte im Land sind die Kongresspartei und die Vereinigten Marxisten-Leninisten, eine gemäßigt sozialistische Partei. Und dann sind da die Maoisten, die noch im Untergrund kämpften, als der Roman vor sechs Jahren im Original erschien, und die inzwischen im Parlament in Kathmandu sitzen. Es hat sich viel verändert, sagt Manjushree Thapa:

    " Nepal verändert sich augenblicklich massiv: in seiner ganzen Identität, also darin, was für ein Land es sein will, ob es sein 230 Jahre altes Königshaus behalten möchte oder ob es sich zu einer echten Republik, einem demokratischen Staat entwickeln will. Wir leben in einer sehr aufregenden Zeit, und ich denke, dass vielen Nepalesen bewusst ist, dass wir an einem geschichtlichen Scheidepunkt stehen."

    Politik ist allgegenwärtig in Manjushree Thapas Roman "Geheime Wahlen". Und doch bildet sie nur den Hintergrund, die gesellschaftliche Grundierung des farbigen Dorflebens von Khaireni Tar. Der pingelige Jimmawal Sharma und auch Nayan Raj, der Kandidat der Volkspartei, sind eigentlich nur zwei der zahllosen Nebenfiguren des Romans. Zu den Hauptfiguren gehören die Witwe Binita, die einen Teeladen betreibt und die Mitglieder der Volkspartei im Wahlkampf verköstigt, und ihre Cousine Sani, die nichts anderes im Kopf hat, als ihre weiblichen Tugenden zu erhalten. Außerdem ist da der Alkoholiker Giridhar, der Vorsitzende der Volkspartei, und der Nachhilfelehrer Rishi, der die Partei für die Vereinigten Marxisten-Leninisten ausspionieren soll. Manjushree Thapa beschreibt die Wahlvorbereitungen aus der Sicht all dieser Figuren. Doch vor allem erzählt sie aus ihrem Alltag, lässt ungebetene Nachbarn vorbeischauen, legt ihnen Witze in den Mund und ergründet ihre unausgesprochenen Ängste.

    Da ist zum Beispiel die Angst der jungen Witwe Binita vor den Männern und das langsame Auslöschen Giridhars durch den Alkohol und die Sehnsucht Rishis nach kleinen Räumen, die ihm Halt geben. Nepalesische Romane müssen bevölkert sein, sagt Manjushree Thapa:

    " Ich habe in den USA studiert. In vielen Büchern dort kommen Individuen ohne großen sozialen Hintergrund vor. Das sind Individuen mit Gefühlen und Gedanken, die aber dabei in einem sozialen Vakuum leben. In Nepal ist so was unmöglich, weil hier Identität sehr stark mit der Zugehörigkeit zu einer Kaste, zu einer sozialen Gruppe und auch zum weiblichen oder männlichen Geschlecht zu tun hat. Das soziale Umfeld ist in hohem Maße Teil der eigenen Identität - ob man das nun gut findet oder nicht."

    Binita zum Beispiel habe ihre Kaste weggeworfen, sagen alle, als sie ihren Mann heiratete, der aus einer niedrigeren Kaste stammte. Ihre Familie will darum nichts mehr mit ihr zu tun haben. Seit sie Witwe ist, kleidet sie sich auch entsprechend farblos - weil das so üblich ist und weil sie sich als Frau vor den Blicken der Männer schützen will. Doch gerade was die Frauen angeht, tut sich seit einigen Jahren einiges im Staate Nepal, sagt Manjushree Thapa:

    " Ob man sich nun die Lese- und Schreibklassen für Frauen ansieht oder die Kurse zur Ziegen- oder Hühnerzucht oder die, wo man lernt, seine Sachen auf dem Markt anzubieten. Oder das steigende soziale Bewusstsein: die Frauen- und Müttergruppen, die es Frauen ermöglichen, sich zu treffen und sich auszutauschen: Die Frauen haben so viele verschiedene Wege eingeschlagen. Nachdem 1990 die Demokratie Einzug hielt, konnte man beobachten, wie in jedem Haushalt eine Rebellion stattfand. Man sieht, wie jede der Frauen aus ihrer traditionellen Rolle auszubrechen versucht."

    Auch im Roman von Manjushree Thapa tut sich was: Eine Müttergruppe formiert sich; auch die Witwe Binita geht hin. Und ihre Cousine Sani besucht den Lese- und Schreibkurs für erwachsene Frauen. Da lernen die Frauen allerdings nicht nur schreiben, da werden auch noch ganz andere Sachen gesagt:

    Vergesst nicht, die Frauen bevölkern die halbe Erde und halten die Hälfte vom Himmel hoch.

    Manjushree Thapas Roman ist 480 Seiten dick, randvoll mit buntem, nepalesischem Alltag und auch mit aktueller Politik. Dafür, sich ständig zwischen Politik und Literatur zu bewegen, ist die Autorin bekannt. In "Geheime Wahlen" grundieren die anstehenden Parlamentswahlen die ganze Geschichte um Khaireni Tar, die sich jedoch in einer feinfühligen, stellenweise witzigen und gelegentlich auch poetischen Sprache entfaltet. Diesen sprachlichen Reichtum hat auch die Übersetzung von Philipp Pratap Thapa zu erhalten gewusst. "Geheime Wahlen" ist Manjushree Thapas erstes Buch. Ihr zweites Buch trägt den Titel "Forget Kathmandu" und ist ein rein politischer Essay, der sogar für den Lettre Ulysses Award nominiert wurde. Augenblicklich aber arbeitet die Autorin wieder an literarischen Kurzgeschichten.

    " Für mich ist das eine Sache der Ausgewogenheit. Ich empfinde schon sehr stark die Gefahr, dass man die Kunst und die Poesie aufgibt, wenn viel über Politik schreibt. Dieser Gefahr versuche ich auszuweichen. Aber es ist auch nicht so, dass Politik nichts wäre. Wenn man heutzutage in Nepal schreibt, dann kann man die Politik einfach nicht völlig übergehen. Denn jeder ist damit beschäftigt, neu zu definieren, was Nepal überhaupt ist."

    "Geheime Wahlen" ist der erste Roman aus Nepal, der überhaupt ins Deutsche übertragen wurde. Der Übersetzer Philipp Pratap Thapa ist halb Deutscher, halb Nepalese.

    " Das ist kein Buch wie von so vielen südasiatischen Autoren, die mit Exotismus Geschichten schreiben über irgendwelche Maharadjas oder über irgendwelche romantischen Landstriche mit ihren idyllischen Menschen. Sondern es ist ein Buch, was einen nepalischen Wissenshintergrund voraussetzt und was dem Leser nicht alles vereinfacht und verplattet näher bringt, sondern anspruchsvoll ist und ernsthaft. Und eben sagt: So, Leute, Nepal ist auch ein ernstzunehmendes Land, hier ist auch eine Realität, mit der man sich ernsthaft beschäftigen muss, damit man die versteht."

    Weil er zunächst keinen Verlag fand, der den Roman verlegen wollte, gründete er zusammen mit seinem Bruder schließlich selbst einen Verlag: die "Edition Kathmandu" mit Sitz in Bergisch-Gladbach und Kathmandu selbst, der Hauptstadt von Nepal. Neben literarischen Übersetzungen ist auch die Herausgabe naturwissenschaftlicher Werke über Pflanzen und Tiere aus der Himalaja-Region geplant. "Geheime Wahlen" ist das Erstlingswerk des jungen Verlags. Kein moralisierender Dritte-Welt-Roman, sondern intelligent, humorvoll und poetisch. Eine fulminante Ouvertüre.

    Manjushree Thapa: Geheime Wahlen. Ein Roman aus Nepal
    Übersetzt und erläutert von Philipp Pratap Thapa. Mit sechs Aquarellen von Binod Pradhan und Asha Dangol
    Edition Kathmandu. 480 Seiten, 18 Euro

    Die "Edition Kathmandu" ist ein ganz junger Verlag und noch nicht an den Buchgroßhandel angeschlossen. Deshalb bestellt man sich den Roman bei Interesse am besten direkt auf der Verlags-Homepage: http://www.lahure-kitab.com ("Lahure" nennt man einen Nepaler, der im Ausland lebt oder gelebt hat. "Kitab" heißt "Buch".)