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Fundamentalismus und Darwinismus

Der Londoner Imam Usama Hasan kämpft für einen aus westlicher Sicht aufgeklärten Islam. Doch dieser Weg ist für den Vorbeter mittlerweile so gefährlich geworden, dass er sich von seiner eigenen Meinung distanziert - um sein Leben zu schützen.

Von Ruth Rach | 28.03.2011
    Schon seit Jahren ist Usama Hasan britischen Islamisten ein Dorn im Auge. Dr. Hassan, 39, Sohn eines renommierten islamischen Schriftgelehrten, ist Imam an der Al Tahwid Moschee in Leytonstone, einem Migrantenviertel in Ostlondon. Und er ist Naturwissenschaftler, an der Eliteuniversität Cambridge ausgebildet.

    Die muslimische Welt hat aufgehört, ihren Verstand zu benutzen, sagt Usama Hasan. Es gebe keinerlei religiöse Gründe, warum Musliminnen Kopftuch tragen sollten. Auβerdem müsse die islamische Ehe und das Scheidungsrecht gründlich reformiert werden. Islamistische Glaubensbrüder wollten – so kritisiert Usama Hasan - an veralteten Äuβerlichkeiten festhalten, anstatt über spirituelle Werte nachzudenken.

    Seit Beginn des Jahres spitzte sich die Hetzkampagne gegen den Imam gefährlich zu: im Internet, in islamistischen Publikationen, auf Flugblättern. "Islamic Awakening", eine Londoner Gruppe muslimischer Fundamentalisten, bezichtigte ihn sogar der Blasphemie. Denn: Usama Hasan hatte erklärt, Darwinismus und Evolutionstheorie seien mit dem modernen Islam vereinbar.

    "Wer behauptet, dass Adam – der erste Prophet Allahs - vom Affen abstammt ist ein Ungläubiger", wettert der junge britische Islamist Abuz Zubair auf Youtube. Der Besuch eines saudi-arabischen Schriftgelehrten in Groβbritannien heizte die Stimmung weiter auf. Usamas Vater Dr. Suhaib Hasan – selbst ein ranghoher Imam deutlich traditioneller Prägung – forderte das Recht auf freie Meinungsäuβerung.

    Aber auch er wurde - in der Moschee! - ausgebuht. Welch eine Ironie! Als Student war Usama selbst überzeugter Islamist, kämpfte sogar einen Sommer lang mit den Mujahedin in Afghanistan. Aber die Bombenanschläge vom 7. Juli 2005 in London rüttelten ihn auf. Usama Hasan trat der Quilliam Stiftung in London bei, einem Zusammenschluss ehemaliger Islamisten, die an Programmen zur Entradikalisierung ihrer Glaubensbrüder arbeiten:

    "Es ist wichtig, dass Muslime die in westlichen Gesellschaften leben, offen sind für Dialoge und interne Diskussionen: über Terrorismus, über Demokratie, über sogenannte Ehrenmorde. Die ganze 'Wir-gegen-die Welt'-Mentalität und Rhetorik kann sehr gefährlich sein. Wir müssen uns auf gemeinsame demokratische Werte einigen."
    Doch die Worte Usama Hasans stieβen auf taube Ohren. Nicht nur er, sondern auch seine Anhänger erhielten Todesdrohungen. Sein Haus in Ostlondon wurde unter Polizeibewachung gestellt. Jetzt hat der Imam seine Äuβerungen zum Thema Darwinismus und Islam zurückgezogen. Er fürchtete um die Sicherheit seiner Familie.
    Er habe seine Community überfordert und sei zu schnell zu weit gegangen – für diesen Fehler wolle er sich entschuldigen, so Usama Hasan in einer vielbeachteten Erklärung. Progressive islamische Gruppen sind empört.
    Wenn britische Muslime nicht einmal über verschiedene Auslegungen des Koran diskutieren können, ohne gleich als Abtrünnige verschrien zu werden dann ist es um das intellektuelle Leben des Islam im Westen schlecht bestellt, so Inayat Bunglawala von Muslims4UK.
    Paradoxerweise droht nun ausgerechnet der Quilliam Stiftung die Schlieβung. Auch wenn der konservative Premier David Cameron den Beitrag von Quilliam im Kampf gegen den Extremismus würdigt, und dringend weitere Maβnahmen gegen die Radikalisierung von Studenten und Häftlingen fordert, so werden doch dem einzigen anti-islamistischen Think Tank auf der Insel im Zuge der massiven Kürzungen sämtliche staatliche Mittel entzogen.