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Funkmusiker Nile Rodgers
"Ich kann nicht alleine spielen"

Die Ära der Superstars, wie Prince und David Bowie welche waren, scheint zu Ende zu gehen. Einer, der diese Zeit miterlebt und maßgeblich geprägt hat, ist Nile Rodgers. Dass er noch am Leben ist - darüber wundert er sich selbst manchmal. Im Corso-Gespräch blickt er zurück auf seine Karriere - aber auch in die Zukunft. Gerade arbeitet er an einem Comeback.

Nile Rodgers im Corso-Gespräch mit Marcel Anders | 06.05.2016
    Nile Rodgers mit seiner Band Chic in Tokyo
    Nile Rodgers mit seiner Band Chic in Tokyo (AFP Photo / TOSHIFUMI KITAMURA)
    Nile Rodgers ist ein Stück Musikgeschichte: Mitte der 70er hatte er mit seiner Band "Chic" Welthits wie "Le Freak" oder "Good Times" und galt als König der Disco-Bewegung. In den 80ern und 90ern war er einer der gefragtesten Produzenten betreute Madonna, INXS, David Bowie, Mick Jagger sowie Diana Ross. In den 2000ern hat er sich auf Soundtracks verlegt, und 2013 - zusammen mit Daft Punk - den Song "Get Lucky" komponiert. Seitdem ist er auch wieder mit Chic unterwegs und hat für den Herbst das Comeback-Album "It´s About Time" angekündigt. Marcel Anders hat ihn in London getroffen.
    Marcel Anders: Herr Rodgers, warum nutzen Sie die neue Popularität, die Sie durch Daft Punk erlangt haben, nicht für eine Solo-Karriere, sondern zur Wiederbelebung ihrer alten Band? Ist Nostalgie das große Geschäft?
    Nile Rodgers: Zunächst einmal muss ich eins klarstellen: Ich bin ein Ensemble-Komponist. Sprich: Ich schreibe Musik, die von mehreren Leuten gleichzeitig gespielt wird, was viele nicht verstehen. Meine Mutter fragte mich zum Beispiel ständig: 'Was ist eigentlich Chic? Ich kapiere das Konzept nicht.' Und darauf ich: 'Stell dir vor, ich wäre Beethoven und würde versuchen, die fünfte oder neunte Sinfonie zu spielen, die du so magst. Beethoven konnte sie zwar schreiben, aber nicht alleine spielen, weil man dafür ein Orchester braucht. Und mir geht es genauso: Ich kann "I Want Your Love" schreiben, aber nicht alleine spielen. Dafür brauche ich die gesamte Band. Ich kann lediglich meine Parts beisteuern, ein bisschen Background singen und Gitarre spielen. Das ist es, was ich tue.' Und das hat sie verstanden.
    Anders: Sprich: Es gibt keinen Nile Rodgers ohne Chic - und kein Chic ohne Nile Rodgers?
    Rodgers: Die Tatsache, dass ich wieder unter dem Namen Chic antrete, hat auch damit zu tun, dass ich eine Botschaft vermitteln möchte. Denn in Amerika haben nur noch sehr wenige schwarze Bands einen Plattenvertrag. Eigentlich fallen mir sogar nur die Roots ein. Ansonsten gibt es da noch eine Heavy Metal-Gruppe namens "Unlocking The Truth", die aus kleinen Kindern besteht, die allerdings sehr gut spielen können. Und "TV On The Radio", eine weitere Rockband. Aber es gibt keine R&B-Gruppen mit Plattenvertrag. Was ein Unding ist. Und deshalb will ich den aktuellen Fokus, der auf Einzelkünstlern liegt, durchbrechen. Ganz abgesehen davon, sehe ich mich nicht als Star. Insofern wollte ich keinen Vertrag als Nile Rodgers unterschreiben und ein Solo-Album aufnehmen. Mir ging es vielmehr um ein Arbeiten innerhalb der Parameter, die mir Chic auferlegt. Denn die Band existiert in ihrer eigenen Welt. Und alles, was nichts damit zu tun hat, taucht auch nicht in der Musik auf. Wobei das nicht die echte Welt ist, von der ich hier rede, sondern nur eine Reflektion davon. Eine verzerrte Realität.
    "Hey, Mann, das Leben ist wunderbar"
    Anders: Eine Traumwelt, in die man sich durch die Musik flüchten kann?
    Rodgers: Genau. Es ist eine optimistische Vision. Also eine Welt, wie wir sie gerne sehen würden - aber eben nicht so sehr, wie sie wirklich ist. Es ist eine Utopie, aber keine die alles andere ausblendet. Denn wir wissen, dass das Leben voller Probleme ist und dass die Leute Sorgen haben - und unsere Songs spiegeln das wieder. Wobei sie gleichzeitig zum Positiven tendieren. Sprich: Es verbirgt sich eine sehr simple Philosophie dahinter. Und als wir Teil der Disco-Ära wurden, war das ein Umfeld, das sehr viel Liebe, Vertrauen und Spaß ausgestrahlt hat. Weshalb man sich auch hervorragend darin flüchten konnte. Das haben wir sehr schnell begriffen - und man konnte sich dem wirklich schwer entziehen. Denn die Botschaft war: 'Hey, Mann, das Leben ist wunderbar. Es ist toll, es macht Spaß, es ist sexy und romantisch.'
    Anders: Also nichts anderes als eine Fortsetzung der Hippie-Idee, der Sie in den 60ern gefolgt sind?
    Rodgers: Sie haben es erfasst! Es ist genau wie meine Hippiewelt. Deshalb fiel mit der Übergang von Jazz zu Disco auch so leicht. Und Sachen wie "Love To Love You Baby" waren für mich wie ein Erdbeben - sie haben dafür gesorgt, dass ich unbedingt Teil dieser Welt werden wollte, in der die Musik einfach nicht aufhört. Wenn man in eine Disco ging, hat der DJ direkt von einem Song zum nächsten übergeleitet - was ich noch nie zuvor gehört hatte. Früher hat jedes Stück erst einmal aufgehört, und dann hat das nächste angefangen. Aber durch die fließenden Übergänge war es in den Clubs nie still - was ich umwerfend fand. Es war wie: 'Was ist das für eine Welt, in der die Musik nie aufhört? Das ist ja unglaublich!'
    Anders: Wobei Sie nicht nur Welthits wie "Le Freak" und "Good Times" geschrieben, sondern auch selbst exzessiv gefeiert haben. Stimmt es, dass Ihr Totenschein bereits ausgestellt hatte?
    Rodgers: Der Arzt war gerade dabei, ihn auszufüllen, als ich wieder zu mir gekommen bin. Das hat er mir zumindest erzählt.
    "Es war verrückt. Total verrückt…"
    Anders: Und auf einer Party von Madonna hatten Sie eine solche Kokain-Psychose, dass Sie sich mit einem Samurai-Schwert im Kleiderschrank versteckt haben?
    Rodgers: Das ist alles wahr. 100prozentig. Ich habe erst einen Laden für Kampfsport-Zubehör angerufen und ein Samurai-Schwert bestellt. Dann habe ich ein paar Jungs engagiert, die mir einen 45er Revolver vorbeibrachten. Es war verrückt. Total verrückt…
    Anders: Fragen Sie sich nicht manchmal, wie Sie das - im Gegensatz zu vielen Freunden und Kollegen - überlebt haben?
    Rodgers: Aber natürlich! Ich war derjenige in der Band, der am meisten Gas gegeben hat - und ich bin echt schockiert, dass ich immer noch hier bin. Also dass ich quasi der letzte Überlebende bin. Denn ich hatte etliche Momente, in denen ich es auf die Spitze getrieben habe - und doch bin ich immer noch hier. Was ich selbst nicht verstehe. Aber: Ich weiß es zu schätzen und ich habe das Gefühl, dass ich unsere Fackel auch in Zukunft hochhalten werde - oder es zumindest versuchen sollte. Keine Ahnung, ob mir das gelingt, aber ich werde mich bemühen.
    Anders: Für den Herbst haben Sie ein neues Album unter dem Titel "It´s About Time" angekündigt. Woraus Sie allerdings ein richtiges Geheimnis machen - selbst Ihre Plattenfirma hat bislang noch keinen Ton gehört. Wieso?
    Rodgers: Weil ich es ihnen noch nicht gegeben habe. Aber es ist eine Mischung aus neuen Sachen und unveröffentlichtem Archiv-Material, das von der klassischen Chic-Besetzung eingespielt wurde. Davon habe ich noch so viel auf Halde, dass ich locker ein ganzes Album füllen könnte. Aber momentan tendiere ich eher zu drei alten und fünf neuen Stücken.
    Anders: Wie steht es mit Gästen - werden da Avicii, Daft Punk oder andere Künstler mitmischen, mit denen Sie zuletzt gearbeitet haben?
    Rodgers: Nein. Es ist das erste Chic-Album seit langem und von daher erschien es mir wichtig, dass es ein reines Band-Projekt wird. Also obwohl ich gerne mit Avicii arbeite und ihn für einen der besten Melodienschreiber halte, die ich kenne. Und natürlich bewundere ich Daft Punk. Ich habe anfangs tatsächlich darüber nachgedacht, ob ich sie ins Studio einladen soll. Aber dann habe ich erkannt, dass es meiner Verantwortung obliegt, dieses Chic-Material so rein zu halten, wie eben möglich.
    Anders: Wobei im Internet die wildesten Gerüchte und Namen kursieren.
    Rodgers: Ich weiß. Und das kommt daher, dass ich manchmal sehr impulsiv reagiere, weil ich halt aufgeregt bin. Dafür muss ich mich wirklich entschuldigen. Es ist einfach so: Wenn ich bei der Grammy-Party von Clive Davis auf Miley Cyrus treffe, dann überrumple ich sie geradezu. Ich sage: 'Miley, du musst unbedingt diesen Song singen.' Und wie soll sie da - in der Situation - Nein sagen? Also wenn ich genau vor ihr stehe? Das macht dann sofort die Runde. Dabei ist es ein Song, den ich irgendwann geschrieben und gerne von zig Leuten einsingen lassen würde. Einfach, weil das in meinem Kopf wunderbar klingt und ich mir das sehr gut vorstellen kann. Sollte es nicht dazu kommen, werde ich ihn aber trotzdem mit aufs Album nehmen.
    "Ich habe da einfach mein Nile-Rodgers-Ding gemacht"
    Anders: Bis es erscheint, sind Sie als Produzent aktiv. Mit wem arbeiten Sie gerade?
    Rodgers: Ich betreue Duran Duran - und habe einen Abend mit Lady Gaga gearbeitet. Wir hatten uns zufällig getroffen und wahnsinnig gut verstanden. Also hingen wir ab, hatten eine tolle Zeit und irgendwann meinte sie: 'Hast du Lust, mit ins Studio zu kommen?' Sie arbeitete mit Diane Warren an einem Filmsoundtrack - und ich marschierte da einfach so rein. Wobei ich auch mit Diane, die ich noch nie zuvor getroffen hatte, bestens klargekommen bin. Ich habe da einfach mein Nile Rodgers-Ding gemacht.
    Anders: Nebenbei sind Sie unermüdlich auf Tour. Sind Sie ein Workaholic oder warum so viel auf einmal?
    Rodgers: Für mich ist es eigentlich ganz normal, so aktiv zu sein. Also das ist längst Routine. Ich versuche, die Zeit, die ich habe, so gut wie möglich zu nutzen. Was typisch für meine Karriere ist – in der Vergangenheit wie hoffentlich auch in der Zukunft. Ich meine, ich weiß, dass meine Zeit auf Erden begrenzt ist. Und mir ist auch klar, dass alles, was wir jeden Tag um uns herum sehen, im Grunde schon immer hier gewesen ist. Was bedeutet: Ich verlasse diesen Planeten nicht wirklich - ich werde einfach nur recycelt.
    Anders: Vielen Dank für das Gespräch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.