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Für Berlin geschaffen

Der Immigrantin Claire Waldoff aus Westfalen gelang die perfekte Integration in ihrer Wahlheimat Berlin. Sie berlinerte, als sei es ihre Muttersprache, und war zwischen Laubenkolonie und Lesbenclub zu Hause. Ganz Berlin trällerte ihre Lieder nach, sie hatte Fans im Grunewald und im Hinterhof.

Von Ulrike Rückert | 22.01.2007
    "Ick lass mer nich die Neese verpatzen
    Wejen Emil seine unanständje Lust.
    Ick lass mer nich det Fett aus de Oberschenkel kratzen,
    Wejen Emil seine unanständje Lust.
    Wie ick bin, hat ja der Emil schon immer jewusst.
    Ja, da hätt er mir eben nich nehmen jemusst.
    Ick lasse keenen Doktor ran an meine Brust
    Wejen Emil seine unanständje Lust."

    Das ist Claire Waldoff, 30 Jahre lang der Star der Berliner Kleinkunstbühnen, das "verkörperte Berlin".

    "Es gibt nur ein Berlin,
    Und das ist mein Berlin."

    Sie sei extra für diese Stadt geschaffen, meinte sie. Geboren war sie allerdings in Gelsenkirchen, ihre urwüchsige Berliner Natur hatte sie sich durch gründliche Feldforschung in Wedding-Kneipen erarbeitet. Sie war schon an Provinztheatern aufgetreten und als zechprellende Wanderschauspielerin über schlesische Dörfer getingelt, bevor sie 1906, mit einem Korbkoffer und einem Regenschirm, nach Berlin kam. Sie war 21 und verliebte sich auf der Stelle in die Stadt und die Künstler im Café Größenwahn.

    "Ich mit meinen Malern - oh! Und dann hatten wir, ein Zimmer habe ich gemietet, da hatten wir keine Gardinen an den Fenstern, die wurden angehämmert mit einem Nagel, und dann haben wir einen Kümmel. Das war schön. Und dann waren wir besoffen vor Seligkeit, weil wir so glücklich waren."

    Binnen eines Jahres brachte sie es von der Hungerkünstlerin zur "Berliner Kabarettkönigin". An ihrem furiosen Karrierestart hatte auch die preußische Zensurbehörde Anteil. Mit viel Chuzpe hatte Claire Waldoff ein Engagement am exklusiven Kabarett "Roland von Berlin" ergattert, doch drei Tage vor der Premiere strich der Zensor ihr Programm. Die literarischen Monologe waren zu politisch, ihr Kostüm zu unanständig.

    "Ich hatte einen Etonboy-Anzug. Gestreifte Hosen wie die Engländer, die englischen Jungs anziehen. Gestreifte Hosen, weiße Weste, Zylinder auf und so einen Klappkragen. Das war der Etonboy-Anzug. Und da ist der Regierungsrat Glasenapp gekommen und hat gesagt: Gibt es gar nicht, eine Frau, die in Hosen auftritt. Nein, das gibt es nicht! Vor zehn Uhr ist es in Ordnung, aber ab zehn Uhr ist es eine Schweinerei."

    Stattdessen trat sie in einem braunen Samtkleid auf und sang ein Lied über einen liebeskranken Enterich, wobei sie dezent im Kreis watschelte. Das Publikum raste, Claire Waldoff war der neue Star des Etablissements. Ihr ganz eigener Stil hob sich ab vom elegant-frivolen Kabarett der Zeit: komisch-ironisch, gekonnt vulgär, kunstvoll naiv. Jedes neue Waldoff-Lied wurde zum Gassenhauer, wie ihr Dauerohrwurm:

    "Hermann heeßt er!
    Wie der Mann
    Knutschen, drücken, küssen kann!
    Druffgänger kenn' ick schon viele,
    Aber so schnell kam zum Ziele
    Keener noch.
    Ja, der is Meester!
    Hermann heeßt er!
    Hermann heeßt er!"

    Avantgarde war sie nie, an den literarisch-politischen Kellerbühnen der 20er Jahre trat sie nicht auf. Ansonsten war sie fast allgegenwärtig: in intimen Kabaretts und großen Varietés, in Operetten, Revuen und zwischendurch auch mal im Stummfilm. Pro Jahr warf sie 200 Schallplatten auf den Markt, sie wurde im Radio gespielt und tourte durch Deutschland. In ihren Liedern entfaltete sich ein Berliner Panoptikum mit einer Melange aus Hinterhof, Schrebergarten und Damenclub "Pyramide".

    "Hannelore! Hannelore!
    Schönstes Kind vom Hall'schen Tore!
    Süßes, reizendes Geschöpfchen
    Mit dem schönsten Bubiköpfchen!
    Keiner unterscheiden kann,
    Ob du Weib bist oder Mann!
    Hannelore! Hannelore!
    Schönstes Kind vom Hall'schen Tor!"

    Im Dritten Reich hatte sie kein Auftrittsverbot, doch sie bekam nur noch wenige Engagements. Als die Bomben auf Berlin fielen, zog sie mit ihrer Lebensgefährtin Olly von Roeder nach Bayrisch-Gmain bei Bad Reichenhall. Hier lebte sie bis zu ihrem Tod am 22. Januar 1957. Aus dem Comeback nach dem Krieg wurde nichts mehr. Nach Berlin kam sie nur noch einmal zurück, im Sommer 1950.

    "Es ist ein illuminierter Friedhof, glauben Sie mir. Es ist nicht mehr unser altes Berlin. Es kommt auch nie wieder."