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Fußball als Waffe?
Die Türkei im sportpolitischen Clinch mit Europa

Deutschland und die Türkei ringen um die Austragung der Fußball-EM 2024. Doch wie steht es überhaupt um die sportpolitischen Beziehungen im Fußball zwischen den beiden Ländern sowie der UEFA? Ein türkischer Wissenschaftler forscht auf diesem Gebiet und hat festgestellt, dass sich die Türkei zunehmend abkapselt, nicht erst unter Präsident Erdogan.

Von Martin Gerner | 01.07.2017
    Präsident Erdogan mit Nationaltrainer Fatih Terim
    Präsident Recep Tayyip Erdogan mit Nationaltrainer Fatih Terim (dpa /Seskim)
    Can Evren ist nicht vor der Erdogan-Regierung in die USA geflüchtet, als Folge des Juli-Putsches in der Türkei und der Zehntausenden, die seit-dem inhaftiert sind. Er verliess das Land davor, für sein Doktorat in den USA.
    "Zur Zeit herrscht in der Türkei ein Klima politischer Willkür, das jederzeit zu Verurteilungen und Festnahmen führen kann. Aber ich glaube nicht, dass ein Interview wie dieses hier ausreicht, um mich hinter Gitter zu bringen."
    Fokus auf anti-europäische Haltung unter Fußball-Fans
    Türkische Nationalisten sind ein Thema das Evren untersucht. In seiner Arbeit geht es um die Wurzeln für die betont anti-europäische Haltung unter türkischen Fußball-Fans und -Verbandsfunktionären, wie er zeigt. Los ging es just in der Zeit, als die Türkei offen war für einen EU-Beitritt: "Die Türkei wollte in die EU, zur gleichen Zeit spielte das Team von Galatasaray Istanbul erfolgreich in den UEFA-Wettbewerben. Der EU ging es um Einhaltung von Menschenrechten. Viele Türken aus dem Establishment hatten den Eindruck, man wolle ihr Land erpressen. So nahmen die Spannungen zu."
    Mannschaften wie Galatasaray, Fenerbace und Besiktas – die drei großen Teams aus Istanbul, fungierten damals, mehr als heute noch, als ein Ersatz für die Nationalmannschaft bei Fans und Funktionären, so Evren: "1999 spielte Galatasaray in der Champions League gegen Juventus Turin. Zum gleichen Zeitpunkt hielt sich PKK-Führer Öcalan frei in Italien auf. Die Türkei forderte seine Auslieferung. Das Spiel wurde zu einer Demonstration angestauter Emotionen gegen den Westen: Fans verbrannten italienische Fahnen und sangen anti-westliche Slogans. Türkische Zeitungen zeigten den Papst und Juventus-Symbole Seite an Seite mit Öcalan. Die Partie zeigte die politischen Probleme wie unter der Lupe. Das gab es immer wieder in den 90ern Jahren."
    Über Fußball den osmanischen Traum wiederbeleben
    Ein weiteres Beispiel aus dem Jahr 2002: "Es gab diese Stimmung, es Europa unbedingt zu zeigen; über den Erfolg im Fußall eine Art osmanischen Traum wiederzubeleben und Europa über den Fußball zu erobern. Der grösste Erfolg kam nach 10 Jahren Aufwärtstrend, als Galatasaray Istanbul 2002 den UEFA-Cup gewann. Die Medien erhoben den Trainer zum Kaiser, die Spieler zu 'Eroberern Europas'. Fußball wurde als Kampf gegen Europa inszeniert. Die Beitrittsperspektive verblasste. Das Finale 2002 fand in Kopenhagen statt. Eine türkische Schlagzeile lautete: 'Hier habt ihr eure EU-Kriterien.' Es dominierte ein Gefühl von: jetzt müssen wir zurückschlagen."
    Dabei - auch das ist Teil Evrens Recherchen - diente Fußball und vor allem der DFB der Türkei noch unmittelbar davor als Modell, das es eifrig zu kopieren galt. Festgemacht am Namen Jupp Derwall, dem ehemaligen Bundestrainer, der 1984 vier Jahre das Traineramt bei Galatasaray Istanbul übernahm, und später Ehrendoktor der Universität Ankara wurde.
    Große Verdienste von Jupp Derwall
    Can Evren: "Derwall ist zwar nicht der Erfolgreichste im deutschen Fußball gewesen. Aber man wusste in der Türkei: er kennt die Strukturen im deutschen Fußball und ist bereit sie zu vermitteln. Der türkische Verband hat das Organisationschema des DFB übernommen und versucht, es umzusetzen für die Türkei. Derwall stand Pate dabei. Mehr noch: Derwall war verantwortlich dafür, dass eine Reihe von Spielern und Trainern aus Deutschland in die Türkei gingen. Der erste war Erdal Keser, der zuvor erfolgreich in Dortmund spielte. İlyas Tüfekçi vom VfB Stuttgart ist ein weiteres Beispiel aus diesen 80er Jahren."
    Seitdem reißen sich der DFB und der türkische Verband um die besten Talente mit doppelter Staatsbürgerschaft. "Die türkischen Vereine sahen, dass es Spieler mit türkischem Pass gab und begannen sich für sie zu interessieren. 5.05 Das war wichtig, denn damals waren nur zwei Ausländer pro Mannschaft erlaubt in den europäischen Wettbewerben. Nach Derwall kamen dann Christoph Daum, Holger Osieck und andere bekannte Namen in die Türkei. Galatasaray wurde, wenige Jahre nachdem Derwall dort Trainer war, sehr erfolgreich in der Champions League."
    Unter Präsident Erdogan hat die regierende AKP-Partei Verband und Vereinen ihren Stempel aufgedrückt, so Evren. Erdogan selbst zeige, wenn erforderlich, seine Nähe zum Fußball.
    Erdogans Nähe zum Fußball
    "Erdogan verkörpert eine Tradition der konservativen Mitte im Fußball. Eine, die ihn als populären Führer erscheinen lässt. Erdogan hat als Amateur selbst Fußball gespielt, in der 4. oder 5. Liga in Istanbul. Er ist ein Fan von Fenerbace Istanbul."
    Spannungsgeladen versprechen auch die nächsten Monate im Sport zu werden zwischen Deutschland und der Türkei. Beide bewerben sich um die Ausrichtung Fußball-EM 2024. Nächstes Jahr wird entschieden:
    "Es ist schwer zu sagen, wer gewinnen wird. Deutschland ist das reichere Land, hat die bessere Infrastruktur und 2006 bereits eine WM ausgetragen. Aber die UEFA achtet darauf, dass nicht alle Turniere in den westlichen Mitgliedsländern gespielt werden. Was Erdogans Wirtschaftspolitik angeht, hat sie vor allem den Bausektor favorisiert. So sind in den letzten Jahren über 30 neue Stadien im Land entstanden. Einige davon von internationalem Standard. Das ist das größte Argument des türkischen Verbandes (bei der Bewerbung)."
    Missachtung der Menschenrechte als Negativ-Argument
    Negativ könnte zu Buche schlagen, dass die Türkei Menschenrechte missachtet und zunehmend als instabil gilt, ähnlich wie auch Qatar, wo die WM 2022 ausgetragen wird.
    "Im April waren Wahlen für die neuen UEFA-Gremien. Dabei ist Servet Yardımcı, ein türkischer Unternehmer, in das Exekutivkomitee der UEFA gewählt worden. Die türkischen Medien haben das als einen Erfolg türkischen Lobbyings hervorgehoben. Sein Bruder war Abgeordneter von Erdogans AKP-Partei, soweit ich weiß. Er wird als Verbindungsglied zwischen türkischer Politik und europäischer Sportpolitik gesehen, als eine Instanz, mit der die Türkei womöglich Einfluss ausüben kann mit Blick auf die EM-Vergabe."