Freitag, 19. April 2024

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Nationalismus im serbischen Fußball
Kriegsspiele auf dem Balkan

Hassgesänge, Schlägereien, Verletzte: Der 13. Mai 1990 geht in die Geschichte ein - weit über den Fußball hinaus. In Zagreb treffen Dinamo Zagreb und Roter Stern Belgrad aufeinander. Bei jenem Spiel wird deutlich wie selten zuvor: der Vielvölkerstaat Jugoslawien ist am Ende.

Von Ronny Blaschke | 10.05.2020
Bei einem Spiel zwischen Partizan und Roter Stern Belgrad im März 2019 ist ein Transparent mit dem Konterfei des ehemaligen bosnisch-serbischen Kriegskommandanten Ratko Mladic und ein Totenkopf zu sehen.
Für viele Hooligans von Roter Stern Belgrad ist er eines ihrer Idole: der bosnisch-serbische General Ratko Mladić, 1995 verantwortlich für das Massaker von Srebrenica, (imago images / Aleksandar Djorovic)
Fans durchbrechen Zäune, werfen Steine, zerstören Sitzschalten. Spieler flüchten in die Kabine, die Partie endet vorzeitig. Am 13. Mai 1990 offenbart sich im Stadion Maksimir der Zerfall Jugoslawiens. Der Politiker Slobodan Milošević wähnt sich seinem Ziel ein Stück näher: der Vereinigung aller Serben in einem ethnisch homogenen Staat.

Seit den 80er Jahren bringt der jugoslawische Geheimdienst in Belgrad Fußballfans auf Linie. Die zentrale Figur: Željko Ražnatović, genannt Arkan. Der Fan-Anführer von Roter Stern gründet im Oktober 1990 die "Serbische Freiwilligengarde". Eine paramilitärische Truppe, berichtet Krsto Lazarević, der über den Balkan einen Blog betreibt.
"Wir haben 1991 eine Situation, in der Roter Stern Belgrad Europapokalsieger wird, die beste Mannschaft Europas. Und der Fan-Anführer von denen ist jemand, der wenige Monate danach zu einem Kriegsverbrecher wird. Also Arkan ist eine Person aus der Belgrader Unterwelt, der halt Geld damit gemacht hat, dass er die ganzen Merchandise-Artikel und die Rechte an den Fanartikeln hatte. Der hat dann eben Hunderte Leute aus dem Umkreis der Hooligans von Roter Stern Belgrad rekrutiert und die dann in den Krieg geführt."
Hooligans als Söldner für Russland
Morde, Vergewaltigungen, Vertreibungen: Viele Hooligans von Roter Stern Belgrad begehen während der Jugoslawienkriege etliche Verbrechen. Eines ihrer Idole ist der bosnisch-serbische General Ratko Mladić, 1995 verantwortlich für das Massaker von Srebrenica, für den Tod von 8000 muslimischen Bosniern. Ratko Mladić wird 2017 zu lebenslanger Haft verurteilt.
Doch viele Ultras in Serbien rufen laut seinen Namen. Spieler aus der nordserbischen Stadt Novi Sad tragen sogar T-Shirts mit dem Konterfei von Mladić. Ähnliche Motive gehören auch zum Fußball in den serbisch geprägten Gebieten Bosniens, erzählt der Investigativjournalist Semir Mujkic aus Sarajewo.
"Wir haben über paramilitärische Trainings für junge Männer berichtet. Es gibt prorussische Organisationen, die in serbischen Gebieten auf der Suche nach Söldnern sind. Oft finden sie diese im Hooligan-Milieu. Das sind stramme Neonazis, zu allem bereit. Und diese Söldner kämpfen dann für russische Interessen, zum Beispiel im Osten der Ukraine oder in Syrien."
Der Student Filip Vulovic gehört zu den Organisatoren von "Belgrade Pride". 
Der Student Filip Vulovic von "Belgrade Pride" (Deutschlandradio / Ronny Blaschke)
Parteien beauftragen Fans als Sicherheitskräfte
Filip Vulović hat für diese Art von Fußball nichts übrig, trotzdem muss er sich damit beschäftigen. Der Student gehört zu den Organisatoren von "Belgrade Pride", einer Veranstaltungsreihe für sexuelle Minderheiten. Vulović deutet in ihrem Infozentrum auf das Foto eines blutüberströmten Mannes. Es stammt von "Belgrade Pride" aus dem Jahr 2010.
"Die Stadt sah aus wie ein Kriegsgebiet. Auf der einen Seite Tausende Polizisten, Wasserwerfer und Hubschrauber. Auf der anderen Seite rund 6000 Hooligans, die aus dem ganzen Land nach Belgrad gekommen waren. Die Hooligans wollten unsere Aktionen zum Abbruch bringen. Sie verletzten Polizisten, zerstörten Läden und setzten sogar einen Bus in Brand. Der Schaden ging in die Millionenhöhe. Es war wie Bürgerkrieg."
Hooligans als Drogendealer, Zuhälter oder Türsteher
Die serbische Regierung hat damals den Schutz der Homosexuellen vernachlässigt. Schnell machen Vermutungen die Runde, dass die Opposition die Hooligans unterstützt habe. Wie sonst hätten Tausende von ihnen aus entlegenen Landesteilen nach Belgrad gelangen können?


Einer der damaligen Kritiker ist seit 2017 Staatspräsident: Immer wieder erinnert Aleksandar Vučić an seine Vergangenheit in der Fanszene von Roter Stern Belgrad, erzählt der Journalist Slobodan Georgiev von dem investigativen Netzwerk Birn.
Der Journalist Slobodan Georgiev vom Investigativnetzwerk Birn.
Der Journalist Slobodan Georgiev vom Investigativnetzwerk Birn. (Ronny Blaschke / Deutschlandradio )
"Das ist wie eine Armee, es gibt Anführer und Soldaten. Unter der Woche arbeiten viele Hooligans als Drogendealer, Zuhälter oder Türsteher. Das sind meist rechtsradikale Leute, die schnell Tausende Männer für die Straße mobilisieren können. Einige Parteien beauftragen Hooligans als Sicherheitskräfte. In der Amtszeit von PräsidentVučić sind einige sogar zu erfolgreichen Unternehmern aufgestiegen."
"Wächter der nationalen Interessen"
Es ist ein offenes Geheimnis in Belgrad, dass der serbische Geheimdienst Kontaktleute in den großen Fanszenen hat, auch um Proteste gegen die Regierung zu verhindern. Der Reporter Georgiev listet auf, wer bei Roter Stern Belgrad ein und uns ausgehe: Polizisten, Anwälte, Beamte.
"Es ist gefährlich, sich als Journalist mit den Hooligans zu beschäftigen. Selbst wenn wir Strafraten von ihnen aufdecken, hat das selten juristische Konsequenzen. Die Behörden schauen weg. Und in großen Teilen der Bevölkerung gelten Hooligans als Wächter der nationalen Interessen. Sie verteidigen Serbien gegen Bosnien und gegen Kroatien, so ist das Narrativ auch in Gesängen in Stadien. Als der Kosovo sich 2008 von Serbien unabhängig erklärte, zogen die Hooligans wütend auf die Straße. Bis heute wollen sie die Unabhängigkeit nicht akzeptieren. Ich jedenfalls gehe nicht mehr ins Stadion. Ich fühle mich dort nicht sicher."
Am 13. Mai 1990 wurde der Nationalismus im Stadion Maksimir so deutlich wie selten zuvor. Es hat sich vieles geändert seitdem, in Serbien nicht alles zum Besseren.