Kongress "Groove the City – Urban Music Policies"

Musik als Imagefaktor für Städte

Ein Mann sitzt auf einer Trommel, vor ihm steht ein offener Gitarrenkoffer.
Das Verhältnis zwischen Städten und Straßenmusikern ist ambivalent. © picture alliance / dpa / Foto: Emily Wabitsch
Von Alexander Budde · 26.11.2018
Weltweit setzen immer mehr Städte auf Musik als Mittel für ihr Standortmarketing. Auf einem Kongress in Lüneburg sprachen Kultursoziologen und Stadtforscher über die "Urban Music Policies". Doch: Der Raum für zwangloses Musizieren wird immer knapper.
Am Ende einer langen Tagung wallen Gefühle auf. Auf ihrer Jam-Session greifen einige der versammelten Kultursoziologen und Stadtforscher zu bereit liegenden Gitarren, Trommeln, Mikrofonen.
Auch Will Straw lauscht ergriffen dem Clapton-Cover. Der Professor für Urban Media Studies an der Universität Montreal fürchtet allerdings, dass der Spielraum für zwangloses Musizieren immer knapper wird. Der sozioökonomische Strukturwandel, also der Austausch ganzer Bevölkerungsgruppen durch den Zuzug zahlungskräftiger Eigentümer und Mieter, verändert auch die Klanglandschaft einer Stadt.
Will Straw: "Wir sehen das in vielen Städten: Wo Mieten in astronomische Höhen steigen, da können diese kleinen, alternativen Veranstaltungsorte, die einmal als Inkubatoren für Innovation und Rebellion dienten, nicht überleben."

Festivals für ein positives Stadt-Image

Doch immer mehr Städte setzen auf Musik, um sich nach vorn zu bringen. Mit öffentlichen Geldern werden Festivals etabliert, die in ihrer Bedeutung inzwischen an die Stelle der Clubs getreten sind. Viele profitieren davon: In einer Zeit, in der Musiker mit ihren Aufnahmen kaum noch was verdienen, tragen Live-Auftritte einen wachsenden Teil zum spärlichen Einkommen bei.
"Sie verbiegen sich zwar schon hinsichtlich beispielsweise einer Antragstellung, dass sie dann eine bestimmte Antragsprosa verfolgen – aber, dadurch dass es solche Fördermittel in solchen Programmen gibt, da springt man dann ganz gerne natürlich auf den Zug auf."
Lisa Gaupp von der Leuphana Universität Lüneburg beobachtet, "dass viele dieser urbanen Festivals sich einer gewissen Art von Diversitätsförderung verschreiben, um so ein positives Image dadurch versuchen zu unterstreichen. Da stehen einerseits ökonomische Aspekte dahinter, dass man einfach mehr Publikum anziehen möchte, aber es gibt auch auf bildungspolitischer Ebene Bestrebungen, auch mehr Partizipation und Teilhabe zu ermöglichen."

Hip-Hop-Musiker im kulturellen Gefüge

Die Boston Public Library ist die größte öffentliche Stadtbibliothek in den Vereinigten Staaten. Welche Mühen den örtlichen Kulturvermittlern der Aufbau eines generationsübergreifenden Hip-Hop-Archivs in diesem Tempel der Hochkultur bereitet, davon berichtet der Philosoph Pacey Foster: "Kaum hatten sie sich in das Projekt gestürzt, stellten sie fest, wie groß die Kluft war, die es zu überwinden galt. Wer sich auf eine Kultur einlässt, zu der er nie gehörte, läuft natürlich Gefahr, einige Stimmen stärker zu betonen als andere. Hinzu kommt das Problem, dass die wenigsten Musiker ihr Material aufbewahrt haben."
Nicht wenige Kritiker reiben sich an einer musealen Vereinnahmung des Musikstils, der in den späten 70er-Jahren in berüchtigten Schwarzen-Gettos wie der New Yorker Bronx aus Elementen der Funk-Musik und des Sprechgesangs entstand. Die Digitalisierung längst vergessener Demo-Tapes ist aber zugleich auch Anerkennung, betont der Musiksoziologe Murray Forman: "Die Initiative bringt Hip-Hop-Musiker auf neue Weise in das kulturelle Gefüge der Stadt. Sie weckt das Engagement der lokalen Pioniere und Veteranen – und die wollen selbst darüber entscheiden, wie ihre Kultur, ihre Geschichten einer breiteren Öffentlichkeit präsentiert werden."

Lebensqualität durch soziale Interaktion

Während sich die bisherige Forschung vor allem auf die wirtschaftliche Bedeutung von Musik als Standortfaktor konzentrierte, gingen die Kongress-Teilnehmer der viel grundsätzlicheren Frage nach, auf welche Arten Musik in die Gesellschaft hineinstrahlt.
Eileen Hogan etwa versucht in ihrer Studie den Wert der lokalen Musikszene in Cork für das Wohlbefinden der Bewohner von Irlands zweitgrößter Stadt zu fassen. Glück ist nichts, was der Einzelne mit sich ausmachen muss, so lautet ihre These – Lebensqualität entsteht durch soziale Interaktion von Gleichgesinnten: "Die Musiker behaupten, dass der Markt sie ignoriert und sie deshalb eine größere künstlerische Freiheit genießen und kräftige, authentische Musik ohne Rücksicht auf die Vermarktung machen, weil sie annehmen, dass sich das ohnehin nicht verkauft."

Enormes Konfliktpotenzial

Auch Constantin, Student und Saxophonist bei Brass Riot, einer im Frühjahr 2016 gegründeten Brass-House-Band aus Berlin, muss erstmal nachdenken, was ihn dazu bringt, mehrmals im Jahr als Straßenmusiker einmal quer durch Europa auf große Städtetour zu gehen: "Wir sehen die Leute als Teil unserer Performance. Es geht darum, einfach gemeinsam, 'ne gute Zeit zu haben."
Bombastische Saxophon-Klänge, untermalt von Digitaleffekten: Das birgt enormes Konfliktpotential, weil sich Ladeninhaber und Kunden mitunter vom Lärm belästigt fühlen. Sanktionen der Stadtbehörden sind Straßenmusikern wie Constatin nicht fremd. Das Verhältnis ist ambivalent, schließlich trägt seine Kunst wesentlich zu einer Atmosphäre bei, die als "urban" betrachtet wird. Constantin: "Wir haben schon ganz häufig Misstrauen erlebt, bevor wir überhaupt angefangen haben. Und als wir dann endlich spielen durften, war dann auf einmal alles weg und man hat sich gefreut!"
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