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Fußball Brasilien
Topstars buhlen ums Sportministerium

Brasiliens Präsidentschaftswahl wird per Stichwahl zwischen Amtsinhaberin Rousseff und Herausforderer Neves entschieden. Letzterer wird von Fußballstars des Landes unterstützt. Einen von ihnen will Neves wohl zum Sportminister machen.

Von Carsten Upadek | 25.10.2014
    Brasiliens Neymar mit Jubelgeste im Nationaltrikot
    Neymar und Co. mischen in der Präsidentschaftswahl mit (dpa / picture alliance / Tolga Bozoglu)
    Wenn Brasiliens Top-Star Neymar öffentlich etwas zu sagen hat, dann tut er das normalerweise über seine sozialen Netzwerke. Per Twitter ließ er am Donnerstag ein kurzes Video verbreiten, in dem er seine Unterstützung für Aécio Neves verkündet:
    "Ich werde den Kandidaten Aécio Neves unterstützen, weil ich mich mit den Vorschlägen identifiziere, die er für Brasilien hat."
    Auch Ex-Weltfußballer Romário veröffentlichte diese Woche einen Wahlspott.
    "Vor Brasilien liegen zwei Wege: so weiter machen mit dieser Regierung oder etwas verändern mit Aécio. Ich habe mich für Veränderung entschieden. So wie es ist, kann es nicht weitergehen. "
    Die Unterstützung kann Präsidentschaftskandidat Aécio Neves gebrauchen. Er liegt laut Umfragen knapp hinter Amtsinhaberin Dilma Rousseff. Hinter Romário stehen über 4,6 Millionen Wähler, die ihn Anfang Oktober in der ersten Wahlrunde zum Bundessenator des Staates Rio de Janeiro gemacht haben. Deshalb hält ihn Pedro Trengrouse von der renommierten Getulio Vargas Stiftung sogar für wertvoller als Top-Star Neymar:
    "Man kann jemanden mögen, aber Vertrauen zeigt sich an der Wahlurne. Romario hat sich bewiesen und hat ein unglaublich gutes Wahlergebnis erzielt."
    Damit bestärkt schloss Romário kurz nach seinem Triumph Anfang Oktober den Posten als Sportminister zumindest nicht aus:
    "Die Politik hat viele Richtungen. Wenn es die Möglichkeit gäbe und meine Mitstreiter diese Option während des Mandates interessant finden, kann das sein. Aber heute sind meine Gedanken auf den Senat gerichtet."
    Diese Woche nun, kurz vor der Stichwahl, hat Romário seine Unterstützung für Aécio Neves bekundet. Das kommt nicht nur spät, sondern auch überraschend. Denn ausgerechnet dieser Aécio Neves gilt als bester Freund der Machthaber im brasilianischen Fußballverband CBF, die Romário seit Jahren als Abgeordneter bekämpft und sogar einen Untersuchungsausschuss anstrengt. Bei seiner Wahlparty sagte er dazu dem Deutschlandfunk:
    "Ich hoffe, wenn wir zur täglichen Arbeit zurückkehren, dass der Präsident des Abgeordnetenhauses den Ausschuss einsetzt. Es gibt nichts besseres, damit die Leute verstehen, was wirklich passiert im Verband und im brasilianischen Fußball. Ich behaupte, dass ein Ausschuss viele Dinge enthüllen wird und zeige, wie sich einige unrechtmäßig bereichern."
    Dem Verband CBF werden schlechtes Management und Vetternwirtschaft vorgeworfen. Der frühere Präsident Ricardo Teixeira musste 2012 nach Korruptionsskandalen zurücktreten und lebt seitdem im Exil in den USA. Seinem Nachfolger José Maria Marin werden Verstrickungen zu Zeiten der Militärdiktatur bis 1985 vorgeworfen. Ihn hat Aécio Neves beim Testspiel der Seleção gegen Argentinien Mitte Oktober trotz Wahlkampfstress gleich zweimal angerufen – erst um Glück zu wünschen, dann, um zum 2:0 zu gratulieren. Die Bande zwischen Marin, Teixeira und Neves sind eng.
    "Ich halte das für einen unglaublichen Wankelmut von Romário, einen guten Freund von Ricardo Teixeira zu empfehlen. Das ist mindestens eine große Naivität vom ihm."
    Sagt Juca Kfouri. Er ist der bedeutendste Sportkolumnist Brasiliens. Denn noch ein weiterer ehemaliger Fußballstar könnte bald eine wichtige Rolle spielen: Ronaldo Fenômeno, zweifacher Weltmeister und Weltfußballer. Einst waren er und Romário Freunde und Partner im Angriff für die brasilianische Seleção. Dann zerstritten sie sich über die Vorbereitung auf die Fußball-WM 2014 in Brasilien. Ronaldo war Mitglied des Organisationskomitees – Romario als Kongressabgeordneter einer der erbittertsten Kritiker. Gegenseitige Beleidigungen inklusive. Versöhnung ausgeschlossen.
    "Wenn es eine Sache gibt, die Aécio charakterisiert, ist es seine Art, dem einen etwas zu versprechen und dem anderen etwas Gegensätzliches. Falls Aécio gewinnt, geht das Sportministerium an Ronaldo. Das sagt er nicht öffentlich, aber das ist es, was er will."
    Juca Kfouri prophezeit, dass sich im brasilianischen Fußball unter Aécio Neves nichts ändern werde. Dabei sei das dringend notwendig. Der Fußball müsse demokratischer, professioneller und ökonomischer werden. Aus diesem Grund hat auch Anfang der Woche die Bewegung "Bom Senso F.C." einen offenen Brief an die die Präsidentschafts-Kandidaten geschrieben. Sie vertritt mehr als eintausend brasilianische Fußballer. Direktor Ricardo Borges Mendes verweist darin auf die beschämende 1:7-Niederlage gegen Deutschland bei der WM. Sie sei das Resultat von ungelösten Widersprüchen und Dilettantismus im Brasilianischen Fußball, sagt er:
    "80 Prozent derjenigen, die vom Fußball leben, sind außerhalb der Spielzeiten sozial nicht abgesichert. Die Turniere liegen im Kalender alle beieinander. Das bedeutet eine Ausbeutung der Spieler. Zum Beispiel absolvieren die brasilianischen Clubs 40 Prozent mehr Spiele als die in Europa. Es fehlt die Zeit für Training, Perfektionierung von Technik und Taktik, deshalb sind die Spiele hier viel schwächer als zum Beispiel in Europa."
    Der brasilianische Fußball sei eine Geisel veralteter Strukturen ohne jede Verpflichtung zu Transparenz, Effizienz oder demokratischer Teilhabe. Er und die gesamte Sportsstruktur müssten im 21. Jahrhundert ankommen, fordert Pedro Trengrouse – Vertretungsprofessor an der Universität Harvard:
    "Die gesamte Struktur des brasilianischen Sports wurde in der Diktatur gegründet. Wie soll man erklären, dass Athleten keine Mitbestimmung haben beim Management ihres Sports? Dabei sind sie deren Seele!"
    Aber auch unter Präsidentin Dilma Rousseff sieht er wenig Perspektive.
    "Das ist ein fürchterliches Zeichen. Wir befinden uns zwischen den wichtigsten Wettbewerben des Weltsports – zwischen WM und Olympischen Spielen. Ich denke, da hätte der Sport mehr Aufmerksamkeit verdient."