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Cebit-Trends
Politikerschelte, Verschlüsselung in der Cloud und digitales Vorturnen

Die Cebit ist dieses Jahr kleiner geworden, einige fordern bereits wieder die Reintegration in die Hannovermesse. Interessante Themen gab es dennoch jede Menge, zum Beispiel eine neue Architektur für Supercomputer.

Mit Manfred Kloiber und Peter Welchering | 19.03.2016
    Die CeBIT 2016 in Hannover.
    Die CeBIT 2016 in Hannover. (picture alliance / dpa / Ole Spata)
    "Wenn man alle Datentransportbedarfe addiert von Upload und Download, Streaming Services, Social Media hin zu connected cars, autonomous driving, automated driving, hin zu Telemedizin, E-Health, M-Mealth, hin zu E-Learning, hin zu E-Government, hin zu Industrie 4.0, B2B, B2C, machine-to-machine, etc, dann gehen wir von einem vervielfachten Bedarf an Datentransporten in höchster Qualität, Kapazität und Geschwindigkeit aus."
    So warb EU-Digital-Kommissar Günther Oettinger in seiner Keynote am ersten Messetag auf der Cebit für die Gigabit-Initiative der Europäischen Union. Ausgesprochen prominent und sehr, sehr zahlreich war die Politik diesmal auf der IT-Branchenschau in Hannover vertreten. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel zum Beispiel stellte seine "Digitale Strategie 2025" vor, Bundesinnenminister Thomas de Mazière hat mehr Sicherheit durch Bundestrojaner versprochen. Und die Kanzlerin, die hat hervorgehoben, dass das digitale Europa die Chancen auf ein gutes Leben für viele Menschen beträchtlich erhöhe.
    - Zusammen mit meinem Kollegen Peter Welchering habe ich die CeBIT für Sie besucht. Peter, was war denn Ihr Eindruck - wie haben denn die Branchenvertreter der IT-Industrie soviel politische Prominenz auf ihrer Leitmesse empfunden?
    Politik präsentierte sich auf der Cebit
    Welchering: Ach, die waren zum großen Teil irritiert bis verärgert und die nehmen teilweise die Politik nicht mehr ernst. Er habe noch nie so viel IT-Bingo gehört wie in den letzten Monaten aus der Politik, beklagte etwa Raimund Genes, den die Sicherheitsindustrie immer ins Feld schickt, wenn sie ein Hühnchen mit der Regierung in Sachen Cybersicherheit zu rupfen hat.
    Und zur Floskelwolke von EU-Digital-Kommissar Günther Oettinger fiel da dem Sicherheitsspezialisten schlicht nichts mehr ein. Genes und seine Kollegen, die hatten erwartet, dass Oettinger oder Innenminister de Mazière sich zur notwendigen Harmonisierung von EU-Datenschutzgrundverordnung und Informationssicherheitsgesetz äußern. Denn die beiden Gesetze, die widersprechen sich ja in Teilen. Und da will die Industrie Rechtssicherheit. Statt über diese geforderte Rechtssicherheit zu sprechen, fiel Innenminister de Maizière nur ein, die Sicherheitsunternehmen um mehr Kooperation mit den Sicherheitsbehörden zu bitten. Und die Reaktion darauf, die war zu erwarten. Raimund Genes formuliert die Absage so:
    "Wenn die Bundesregierung darauf hofft, dass wir gewisse Schädlinge nicht erkennen – was schon damals in der Diskussion war, erkennt die Sicherheitsbranche den Bundestrojaner oder nicht - da garantiere ich, dass wir sofort Erkennungen und Signaturen einbauen."
    Welchering: Und auch Wirtschaftsminister Gabriel hat wenig Zustimmung für seine "Digitale Strategie 2025" bekommen. Der Bundesverband Breitbandkommunikation warf dem Wirtschaftsminister sogar ein doppeltes Spiel vor. Gabriel fordere in seiner Digitalstrategie den Ausbau von Glasfasernetzen, zementiere aber zunächst mal in seinem Regierungshandeln das Vectoring-Monopol der Deutschen Telekom AG, die ja zu einem Drittel noch immer im Staatsbesitz ist. Und auch Oettingers Lob auf den Telco Review der EU, mit dem die EU-Kommission die Modernisierung der Telekommunikationsregulierungen in ganz Europa anstrebe, wird von den Breitbandanbietern eher kritisch gesehen. Marc Kessler vom Bundesverband Breitbandkommunikation zum Telco Review:
    "Das ist die Bearbeitung des europäischen Rechtsrahmens. Da finden sich in dieser Stellungnahme sehr viele Positionen des Ex-Monopolisten Deutsche Telekom wieder, zum Beispiel die Forderung, dass ich die Telekomentgelte nicht vorher, sondern erst nachträglich genehmigen lassen muss. Und das würde dann das Investitionsklima massiv verunsichern und würde wahrscheinlich dazu führen, dass der Glasfaserausbau eben auch eher langsamer als schneller vorankäme. Insofern wäre es natürlich gut, wenn Herr Gabriel das jetzt synchronisiert mit seinem neuen Programm, damit das alles auf der richtigen Ebene läuft sozusagen und in die richtige Richtung geht."
    Cebit selbst in der Kritik
    Kloiber: Kritik gab es auch an der Veranstaltung selbst. Die Cebit würde sich immer stärker marginalisieren, war zu hören. Und tatsächlich war es ja auch eine sehr beschauliche Messe. Das Interesse der Branche an der Cebit geht zurück. So etwas haben wir in anderen Branchenleitmessen auch schon erlebt, nämlich mit der Systems in München. Die wurde dann irgendwann sang- und klanglos eingestellt.
    Welchering: Ja, das wird der Cebit so nicht passieren. Aber die Stimmen werden lauter, die Cebit wieder in die eigentliche Hannovermesse, also die Industriemesse zu reintegrieren, aus der sie ja auch ursprünglich mal hervorgegangen ist.
    Kloiber: Auf der anderen Seite steht natürlich auf der Cebit der IT-Anwender stärker im Blick. Und der kann seine Interessen auf einer fusionierten Messe wohl kaum so deutlich vortragen.
    Welchering: Ja, das stimmt wohl. Deshalb macht sich zum Beispiel auch der IT-Anwenderverband Voice für eine Cebit stark. Allerdings dürfe die nicht so anbieterdominiert sein, geht es nach dem Willen von Voice. Denn die Sichtweisen von IT-Anwendern und IT-Anbietern auf Technologien, Produkte und Dienstleistungen würden sich ja doch erheblich unterscheiden. Dr. Thomas Endres vom IT-Anwenderverband Voice macht das am Beispiel der Cloud deutlich:
    "Cloud ist eine sehr spannende Technologie, aber keine Technologie zum Selbstzweck. Das heißt, wir überlegen immer, wofür ist das gut? Brauche ich schnelle Verfügbarkeit? Brauche ich Kampagnenfähigkeit, weil ich einmal sehr viel mehr Rechenleistung brauche als zu einem anderen Zeitpunkt? Und wenn solche Themen existieren, dann nehmen wir sehr gerne Cloud, sicher idealerweise auf neue, clevere Weise. Also: Wem gehören die Daten? Wie kriege ich die wieder? Diese ganzen Fragen müssen gut geklärt sein. Und dann ist Cloud ein Mittel zum Zweck, ein sehr gutes, aber am Ende des Tages ein Mittel zum Zweck."
    Verschlüsselungslösungen für die Cloud
    Kloiber: Im Zusammenhang mit dem Thema Cloud ist in diesem Jahr auch das Thema Verschlüsselung wieder stark diskutiert worden. Und zwar deshalb, weil jetzt Lösungen vorgestellt wurden, die es auch dem ganz normalen User leicht machen können, in der Cloud wirklich sicher zu agieren. So hat beispielsweise eine Entwicklergruppe aus Bonn Cryptomator vorgestellt. Eine Software für den Endanwender, die beim sicheren Verschlüsseln seiner Dateien helfen kann. Entwickler Sebastian Stenzel hat mir Cryptomator gezeigt. Und noch eine Kryptoanwendung, auf der CeBIT neu vorgestellt, machte auf sich aufmerksam, nämlich Qabel. Eine komplettes Paket mit Serversuite und Anwendungsfrontend, das sichere Kommunikation mit Ende-Zu-Ende-Verschlüsselung sicherstellen soll.
    Welchering: Beim Thema Verschlüsselung, da hat sich ja die Perspektive in der Diskussion so ein bisschen verändert. Aus dem Spezialistenthema und Spezialthema, da wurde ein Thema, für das sich jeder interessiert hat. Daran haben natürlich die Enthüllungen von Edward Snowden entscheidenden Anteil gehabt.
    Kloiber: Diese Änderung der Perspektive, die lässt sich auch in anderen Bereichen beobachten, zum Beispiel beim Thema Big Data. Da haben wir es ja eigentlich mit zwei Trends zu tun: Zum einen erkennen immer mehr Menschen die Gefahren von Big-Data-Anwendungen für ihre eigene Entscheidungsfreiheit. Und da fordern sie dann ganz klar mehr Datensouveränität. Aber sie interessieren sich auf der anderen Seite auch immer stärker für die Möglichkeiten, wollen sogar ihre eigenen Big-Data-Anwendungen haben. Und das spiegelt sich bereits in der Produktentwicklung wieder.
    Welchering: Ja, und nicht nur da. Das spiegelt sich auch wieder in der Forderung, mehr Open-Data-Anwendungen zu fahren. Da wollen Eltern wissen, welche Kindertagesstätte noch einen Platz frei hat. Per App wollen Autofahrer den nächstgelegenen Parkplatz schnell finden. Das sind Anwendungsbeispiele von Open Data. Auf der Cebit hat sich deutlich gezeigt: Open Data wird allmählich doch zum Standortfaktor.
    Kloiber: Zum Beispiel in Ulm. Wer dort mit dem Bus fahren will, hat einen neuen und ganz entscheidenden Vorteil: Er oder sie kann sich zum Beispiel die Abfahrtszeiten live am Smartphone anzeigen lassen, Fahrtrouten inklusive. In Ulm steckt da ein Open-Data-Projekt hinter diesem Angebot. Im Ulm-API genannten Open-Knowledge-Lab haben sich Aktivisten und Interessierte zusammengefunden, die öffentlich zugängliche Daten sammeln und so aufbereiten, dass der Bürger direkten Nutzen davon hat. Und mit dem Projekt "Kleiner Spatz" zum Beispiel kann jeder Bürger sofort anschauen, wo noch ein Platz in einer Kindertagesstätte zu haben ist.
    Open-Data-Initiative auf der Cebit
    Welchering: Das sind ja inzwischen unglaublich viele Daten, die da über Open-Data-Server abrufbar sind. Die Feinstaubwerte, nicht nur in Stuttgart, die sind auf Knopfdruck abrufbar. Und sogar die Haushaltsdaten der Kommune stehen öffentlich zur Verfügung und lassen sich als Open Data leicht auswerten. Und das hat die Entwickler von Big-Data-Algorithmen auf eine Idee gebracht. Lars Milde vom Big-Data-Spezialisten Tableau beschreibt da eine spannende Anwendung:
    "Wir nennen das immer das Youtube der Daten. Da kann jeder kostenfrei Informationen zur Verfügung stellen. Und wir sehen da einen sehr großen Trend. Da sind zur Zeit 135.000 aktive Benutzer da, die von den Ergebnissen der Fußballmannschaft des Sohnes über das Wetter im Vorgarten bis hin zu den Wahlstatistiken Informationen mit anderen teilen. Das heißt, man kann da abbilden: Wie ist jetzt der Impfstatus in Berlin per Frauen, Männer, Altersgruppen und so weiter. Was sind Mietindexe und so weiter. Und mit zusätzlichen Informationen, wie zum Beispiel den ganzen Devices wie Fitbits und Apple Watches, wo persönliche Daten noch mehr entstehen, geht dieser Trend immer stärker, dass die Leute auch für sich selber sehen: Wie habe ich mich bewegt? Wie kann ich das vergleichen? Wie kann ich das vielleicht mit meiner Ernährungskurve in Korrelation setzen."
    Kloiber: Und solche persönlichen Datenlieferanten nehmen ja zu. Außer dem Fitnessarmband oder der Smart-Watch zum Beispiel die smarte Brille und das in die Kleidung integrierte Smartphone.
    Welchering: Und da entstehen eben auch riesigen Datenmengen. Und damit diese Datenmengen verarbeitet werden können, brauchen wir viel viel schnellere Computer. Deshalb suchen Supercomputerentwickler nach neuen Computerarchitekturen für superschnelle Rechner. Doch die sind noch längst nicht einsatzbereit. Deshalb haben sich die Forscher, die am Projekt "The Machine" tüfteln, auch dafür entschieden, den Computer der Zukunft mit der bewährten Von-Neumann-Architektur, die unsere Computer heute haben, zu entwickeln. Andreas Hausmann, der das Forschungsprojekt "The Machine" bei Hewlett-Packard Enterprise nach vorn bringt, der beschreibt das so:
    "Was wir ganz konkret machen in dieser von-Neumann-Architektur, dass wir RAM und Flash zusammenbringen in einen nicht-flüchtigen Speicher. Also, das ist der erste signifikante architektonische Schritt, den wir hier machen. Also RAM und Flash wird kollabiert quasi. Und darum gruppiere ich jetzt meine CPU-Power oder meine GPU-Power oder eben die speziellen Core-Processing Units oder Processing Units, die dann eben optimal für diesen einen Prozess ist. Ich habe also einen memory centric compute."
    "The Machine" als neue Computerarchitektur
    Massenspeicher und Arbeitsspeicher gibt es also aus einer Hand. Und das hat natürlich Konsequenzen für das Betriebssystem. Denn unsere traditionellen Betriebssysteme sind ja überwiegend dafür zuständig, den Transport vom Massenspeicher in den Arbeitsspeicher und umgekehrt gut abzuwickeln.
    Welchering: Und das läuft tatsächlich bei "The Machine" anders . Und deshalb kann "native OS for the Machine", so heißt das neue Betriebssystem für den Rechner "The Machine", auch mehr Aufgaben übernehmen. Dazu gehört, durch bessere Algorithmen für die Verhaltenskontrolle bis in den Kernel für mehr Sicherheit zu sorgen. Die überwachen auch den Kernel. Dazu gehört ein sehr schnelles und effizientes Prozessmanagement. Wann immer eine Fehlfunktion auftaucht, stürzt das Betriebssystem nicht ab, nein, das System startet einen neuen Prozess, der den fehlerhaften ersetzt. Und das merkt der Nutzer gar nicht. Und die Administration der Knotenrechner übernimmt das Betriebssystem, das Schnittstellen zu einem zweiten Betriebssystem für die Peripherie hat. Dieses zweite Betriebssystem nennt sich "Linux für the machine" und das ist also ein optimiertes Linux. Mit beiden Betriebssystemen zusammen lassen sich dann von einem Administrator mehrere Millionen Knotenrechner managen. Heute schafft ein sehr guter Administrator zwei- bis dreihundert Knotenrechner. Der Prototyp von "The Machine" wird bis zum Herbst fertig sein. Und das wird nicht nur in den Rechenzentren und bei mobilen Geräten für erhebliche Änderungen sorgen, sondern auch in der Künstlichen Intelligenz. Die haben nämlich auf so einen schnellen Rechner gewartet.
    Kloiber: Peter, am Ende der Sendung wagen wir vielleicht noch einen kleinen Blick durch die Datenbrillen, die ja auch auf der Cebit mittlerweile auf keinem Stand mehr fehlen dürfen. Auch, wenn es im Moment sehr hip ist, mit sogenannten Augmented-Reality-Anwendungen zu zeigen, wie man reale und künstliche Datenwelten verbinden kann – das alles steckt noch irgendwie in den Kinderschuhen. Vor allem, wenn es um ganz praktische Anwendungen geht, etwa im Wartungsbereich. Wenn auf der Messe demonstriert wird, wie Servicetechniker mit ihrer Datenbrille auf Fehlersuche gehen und von eingeblendeten Expertensystemen durch das reale System navigiert werden, da fragt man sich: Wer hat eigentlich das ganze Expertenwissen zusammengetragen und in dieses Augmented-Reality-System integriert? Bislang war das nämlich eine Aufgabe hochspezialisierter Multimediaentwickler. Mit dem ioxp-Projekt des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz in Kaiserslautern soll das aber demnächst viel einfacher werden. Das jedenfalls hat mir Alexander Lemken vom DFKI erklärt.
    Welchering: Und jetzt, Manfred, brauche ich auch so eine Datenbrille, um das Thema der Cebit 2017 betrachten zu können. In diesem Jahr lautete das Motto "Digitalisierung" und es sollte um die Dconomy, die digitale Ökonomie, gehen. Weil das aber schon Motto und Thema der Cebit 2015 war, würde ich mich mit meiner Datenbrille gern mal um ein Jahr in die Zukunft beamen, um zu erfahren, ob der Cebit-Messeleitung 2017 auch wieder kein neues Messethema eingefallen sein wird. Aber da hilft mir ja leider die Datenbrille aus dem DFKI wohl nicht sehr weiter.
    Kloiber: Da bleibt nur Abwarten, Peter. Und mit diesen Eindrücken verlassen wir die CeBIT für dieses Jahr.