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Prager Frühling
"Wir Polen haben uns geschämt"

Neben der Sowjetunion beteiligte sich auch Polen mit einem großen Truppenkontingent an der Niederschlagung des Prager Frühlings. Dies hat bei vielen Zeitgenossen Spuren hinterlassen - und Widerstand gegen die kommunistische Unterdrückung provoziert.

Von Jan Pallokat | 21.08.2018
    Ein Panzer der Sowjetunion vor dem Rundfunkgebäude in Prag am 21.08.1968
    Ein Panzer der Sowjetunion vor dem Rundfunkgebäude in Prag am 21.08.1968 (picture alliance/dpa/)
    Ein polnischer Soldatensender, Originalaufnahmen von 1968: Gerade zur rechten Zeit sei die polnische Armee in die Tschechoslowakei gekommen, heißt es; und dann berichtet der Sprecher von Hooligans, die ein sowjetisches Militärfahrzeug angegriffen hätten. Die Provokateure seien aber ohne einen einzigen Schuss dank polnischer Hilfe in die Flucht geschlagen worden.
    Propaganda und Realität
    Ganz so unblutig verlief der Einsatz der polnischen Armee im Nachbarland indes nicht. Zwar war sie nicht beim Einmarsch von Prag beteiligt, sondern übernahm die Kontrolle in der Region Hradec Králové in Nordostböhmen. Der Warschauer Historiker Łukasz Kamiński:
    "Die Teilnahme der polnischen Armee an dieser Intervention unter Verteidigungsminister Wojciech Jaruzelski war bedeutend. Es war neben der sowjetischen die einzige nennenswerte Truppe, 25.000 Soldaten, die ein ganzes Besatzungsterritorium kontrollierten. Und leider hat am 7. September 1968 ein betrunkener polnischer Soldat zwei Menschen getötet und andere schwer verletzt."
    Der parteitreue polnische Staatsrundfunk dagegen erklärte:
    "Die imperialistischen Kreise versuchen, eine Kampagne gegen die Sowjetunion und die sozialistischen Länder anzuzetteln. Sie bilden eine eherne Allianz zur Verteidigung der Konterrevolution."
    Der Militäreinsatz gegen die Reformbewegung in der Tschechoslowakei, in Wahrheit ein Akt der Selbstverteidigung? Natürlich gab es auch Polen, die diese Weltsicht teilten. Für viele andere aber zeigte das Beispiel besonders eindrücklich, wie sehr Propaganda und Realität im sozialistischen Block auseinanderklafften, erinnert sich Jarosław Chołodecki, er war damals 16 und später einer der Mitbegründer der Solidarność-Bewegung in Niederschlesien:
    "Ich denke, dass wir als Volk uns dafür geschämt haben. Wir haben die Tschechen bewundert. Es gab diesen Spruch, ganz Polen wartet auf seinen Dubček. Er war der erste mutige Chef einer kommunistischen Partei, der Reformen anging."
    Grundlage für Solidarność
    Jarosław Chołodecki lebte damals in der schlesischen Kleinstadt Milicz; er bekam von den Studentenunruhen in polnischen Großstädten nicht viel mit. Von der Intervention im Prager Frühling aber schon. Er erinnert sich:
    "Ich hatte einen Bekannten im Grenzort Lubawka. Er erzählte, wie die ganze Nacht Panzer hinüberfuhren. Für ihn war es, als ob der nächste Weltkrieg beginnen würde."
    Ein Jahr später reist Jarosław Chołodecki nach Prag; ein Bekannter dort zeigt ihm die Spuren der Invasion, das von der Roten Armee zerschossene Nationalmuseum etwa. Es sind für den jungen Polen prägende Erfahrungen; sie tragen dazu bei, dass er sich gut zehn Jahre später der Solidarność-Bewegung anschließt. Der seinerzeit verantwortliche General Wojciech Jaruzelski aber, wurde inzwischen Parteichef. Bis zu seinem Tode wird er das 1981 in Polen ausgerufene Kriegsrecht damit begründen, dass andernfalls sowjetische Truppen in Polen eingerückt wären.