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Fußball im Jemen
Symbol der Standhaftigkeit

Hunderttausend Tote, Millionen Flüchtlinge, Epidemien, Unterernährung, zerstörte Infrastruktur: Der Jemen durchleidet angesichts des Bürgerkriegs eine der größten humanitären Krisen. Es gibt wenig an dem sich die Bürger aufrichten können. Eine Ausnahme ist der Fußball.

Von Ronny Blaschke | 12.04.2020
Die Fußball-Nationalmannschaft des Jemen steht beim Golf-Cup in Katar 2019 in einem Mannschaftskreis
"Unsere Spieler können nur selten gemeinsam trainieren", sagt Trainer Sami Hasan Al Nash (imago)
Im November 2019 findet in Katar der Golf-Cup statt, ein Turnier von Nationalteams der Arabischen Halbinsel. In Doha mit dabei ist die Auswahl des Jemen, die nur von wenigen Sportjournalisten des Landes begleitet wird.
Einer von ihnen, Yahya Alhalali, hat dafür Wochen lang auf sein Visum gewartet. Auf seiner Reise nach Katar ist er zunächst mit dem Auto 22 Stunden nach Sanaa gefahren, in die jemenitische Hauptstadt mit einem der letzten funktionierenden Flughäfen. Dann ging es über Beirut und Amman nach Doha, fast zwei Tage hat das gedauert, erzählt Yahya Alhalali.
Porträt des jemenitischen Sportjournalisten Yahya Alhalali
"Der Fußball gibt den Menschen Hoffnung", sagt der Sportjournalist Yahya Alhalali (Deutschlandradio / Ronny Blaschke)
"Ich hätte noch größere Strapazen auf mich genommen. Bei uns zu Hause ist an einen ungefährlichen Alltag nicht mehr zu denken. Doch der Fußball gibt den Menschen Hoffnung. Das haben wir Anfang 2019 erlebt, als Jemen zum ersten Mal an der Asienmeisterschaft teilnahm. Für die Leute war das wie ein Wunder."
Nationalspieler verdienen Geld als Taxifahrer
Bei dem Turnier in den Vereinigten Arabischen Emiraten blieb Jemen ohne Tor und Punkt, doch allein die Qualifikation war eine Sensation. Denn die Fußballliga im Land pausiert seit mehr als fünf Jahren. Viele Stadien sind zerstört, Klubzentralen geplündert. Die meisten Nationalspieler trainieren selten und müssen dazu verdienen, als Beamte, Taxifahrer oder Kassierer im Supermarkt.
Das Khalifa International Stadium in Doha (Katar) 
Fußball gegen die Blockade
Im Juni 2017 verhängten Saudi-Arabien und seine Verbündeten eine wirtschaftliche Blockade gegen Katar. Zwei Jahre später schickte Saudi-Arabien seine Fußballnationalmannschaft zum Golf-Cup in der katarischen Hauptstadt Doha.
Nur wenige haben die Chance, im Ausland zu spielen, in Katar, Oman oder Malaysia. Auch die Pflicht-Heimspiele des jemenitischen Nationalteams müssen aufgrund des Bürgerkriegs im Ausland stattfinden, etwa in Katar und Bahrain. Das ist kompliziert, berichtet ihr Trainer Sami Hasan Al Nash.
"Ich glaube, dass keine andere Nationalmannschaft solche Schwierigkeiten hat wie wir. Unsere Spieler können nur selten gemeinsam trainieren. Manche von ihnen bestreiten viele Monate kein einziges Spiel. Die Reise ins Ausland kostet viel Kraft. Aber wir wollen unsere Landsleute nicht enttäuschen. Wir wollen sie würdig repräsentieren."
Sportler auf der Flucht ertrunken
Während der Bombardierungen konnten Nationalspieler nicht von den heimischen Flughäfen ins Ausland aufbrechen. Einige Male haben sie dann in stundenlangen Bootsfahrten den Golf von Aden überquert, ins ostafrikanische Dschibuti, um vom dortigen Flughafen zu starten. Notgedrungen haben viele Spieler ihre Laufbahn beendet, einige schlossen sich der Armee an, andere den Huthi-Rebellen, berichtet der Sportreporter Yahya Alhalali.
"Viele Fußballer sind in Gefechten getötet worden. Andere wurden bei falschen Sicherheitskontrollen entführt und erst für Lösegeld wieder freigelassen. Es gibt auch Sportler und Sportreporter, die auf der Flucht nach Europa auf dem Meer ertrunken sind."
Propaganda in Stadien
Die jüngere Geschichte Jemen ist geprägt von Konflikten. Ab den 1960er-Jahren war das Land geteilt, in einen nationalistisch regierten Norden und in einen sozialistischen Süden. Beide Staaten nutzten den Sport für ihre Propaganda, etwa durch Gesänge und Banner in Stadien. 1990 dann die Vereinigung zur Republik Jemen. Die neue Regierung bemühte sich um eine Symbolik der Harmonie. Auch im Fußball, so der Anthropologe Thomas B. Stevenson und der Soziologe Karim Abdul Alaug in einem Aufsatz für das Middle East Institute.
"Das Sportministerium gründete neue Mannschaften, damit beide Seiten in der Liga gleichermaßen vertreten waren. Die neue nationale Identität wurde auch bei der Auswahl der Nationalmannschaft deutlich: Beide ehemaligen Staaten waren mit jeweils 16 Spielern vertreten."
Fußball als Spielzeug der Regime
Schon bald folgten wieder Bürgerkrieg, Terroranschläge und Spannungen zwischen den Volksgruppen, etwa zwischen Sunniten und Schiiten. Die Regierung des Jemen wollte zumindest das Fußballnationalteam am Leben halten, als Symbol der Standhaftigkeit.
Der jemenitische Sportwissenschaftler Mahfoud Amara sitzt in seinem Büro am Schreibtisch
"Das Nationalteam sorgt im Jemen für Momente der Einheit", sagt der Sportwissenschaftler Mahfoud Amara (Deutschlandradio / Ronny Blaschke)
Als Vorbild dienten andere Konfliktregionen im Mittleren Osten: Der Irak gewann 2007 die Asienmeisterschaft, Afghanistan 2013 die Südasienmeisterschaft, und Syrien verpasste die WM 2018 nur knapp. Der Sportwissenschaftler Mahfoud Amara von der Qatar University in Doha erforscht den Fußball in der arabischen Welt.
"Das Nationalteam sorgt im Jemen für Momente der nationalen Einheit. Doch wir wissen aus der Vergangenheit, aus dem Irak oder Libyen, dass Regierungen den Fußball gern als persönliches Spielzeug betrachten. Die Spieler sind in einem Dilemma: Sie wollen den Menschen Mut machen. Aber mit ihren eigenen kritischen Ansichten müssen sie sich zurückhalten. Sonst riskieren sie ihren Job und bringen vielleicht ihre Familie in Gefahr. Das ist eine Belastung."
Auf absehbare Zeit keine Heimspiele der Nationalelf
Auf dem Global Innovation Index, einer Rangliste für Innovationsfähigkeit, liegt Jemen von 129 bewerteten Staaten auf dem letzten Platz. Der Wiederaufbau der Sport-Infrastruktur wird Jahre dauern. In einigen Städten gibt es zumindest lokale Turniere.
Aber die Nationalmannschaft wird auf absehbare Zeit keine Heimspiele bestreiten. Trotzdem könnte sie sich für die Asienmeisterschaft 2023 in China qualifizieren. Das würde viele Jemeniten begeistern, die sich sonst feindlich gegenüberstehen.