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Fußball in Russland
Schwieriger Kampf gegen Fangewalt

Gewalt und Rassismus sind Probleme im russischen Fußball, die schon lange vor den Ausschreitungen russischer Hooligans bei der Fußball-EM 2016 existierten. Ob die WM 2018 in Russland daran etwas ändern wird? Zumindest gibt es Fans, die sich gegen Diskriminierung stark machen.

Von Ronny Blaschke | 11.06.2017
    Das Bild zeigt mehrere Hooligans und viele flüchtende Fans; in der Bildmitte schlägt einer der Hooligans einem Zuschauer mit der Faust in den Nacken.
    Russische Hooligans stürmen am 11.6.2016 beim Europameisterschafts-Spiel zwischen Russsland und England im Stade Velodrome in Marseille nach Spielende die Nachbartribüne und prügeln auf andere Fans ein. (DPA / EPA / DANIEL DAL ZENNARO)
    In den vergangenen Jahren hat Robert Ustian fast alle Spiele seines Lieblingsvereins ZSKA Moskau besucht. So auch 2014 in der Champions League beim AS Rom: "Nach diesem Abend gab es kein Zurück mehr. Fans unseres Vereins begannen Schlägereien und zündeten Böller. Wir sind die Urgroßenkel einer Generation, die 28 Millionen Menschen im Krieg gegen den Faschismus verloren hat. 28 Millionen. Und diese Leute zeigen im Stadion Symbole der Waffen-SS und machen den Hitlergruß. Unfassbar! Wir sind ihre Geiseln. Warum können wir nicht versuchen, das zu ändern?"
    Robert Ustian schrieb einen Artikel für ein Internetportal. Was ihn überraschte, waren die vielen positiven Antworten. Seitdem veröffentlichen Ustian und seine Freunde Fotos und Botschaften in sozialen Medien - für eine tolerante Fanszene. Auch ihr Verein verbreitet die Inhalte. Noch ist Ustians Gruppe eine kleine Minderheit, aber sie wächst.
    "Ich kann zum Beispiel keine Jahreskarte kaufen. Dann wüssten die Neonazis, wo ich genau sitze. Aber wir müssen sichtbar bleiben. Früher dachten Fans, sie könnten nur als rechtsextrem und gewalttätig in der Kurve mitmachen. Aber wir wollen der jungen Generation eine neue Identifikation bieten. Man kann Fußball lieben und sich zugleich für Bildung, Sprachen und Integration interessieren. So können wir die Wahrnehmung des Klubs ändern."
    Hausarrest für Hooligans
    Robert Ustian glaubt nicht daran, dass es nun beim Confederations Cup und später bei der WM zu Ausschreitungen kommen wird. Zu sehr sei die russische Regierung um skandalfreie Turniere bemüht. Die Behörden verordneten Hausarreste von Hooligans, Verbote von Nazisymbolen in Stadien oder die Verbannung von Schlägergruppen. Aber was wird passieren, wenn das Rampenlicht nach der WM 2018 wieder erlischt?
    Pavel Klymenko dokumentiert seit Jahren Neonazi-Banner und Affengeräusche gegen schwarze Spieler. Er arbeitet für das Netzwerk Fare, Football Against Racism in Europe. Auch Klymenko möchte die WM für Bewusstseinsbildung nutzen, mit Ausstellungen und Workshops. Doch die Entwicklung in Russland seit der Annexion der Krim 2014 hat die Arbeit der Zivilgesellschaft enorm erschwert, sagt Klymenko.
    "Nach den Sanktionen gegen Russland zogen sich viele internationale Förderer aus Russland zurück. Zudem müssen sich politisch tätige Nichtregierungsorganisationen als 'ausländische Agenten' bezeichnen, so fern sie Geld aus dem Ausland erhalten. Viele Gruppen haben Russland verlassen oder ihre Arbeit ganz eingestellt. Der Staat sieht in der Zivilgesellschaft keine Bereicherung für das Gemeinwesen, sondern eine Gefahr. Die Strukturen sind zerstört, das Gesamtbild ist ziemlich trostlos."
    Oberflächliche Berichterstattung, kaum Prävention
    Viele Medien konzentrieren sich auf die gut organisierten Straßenkämpfer in der Fanszene - und vernachlässigen das gesellschaftliche Fundament: Das Riesenreich Russland mit seinen 100 ethnischen Gruppen sucht eine Identität. Viele Menschen kompensieren soziale Sorgen mit Ablehnung gegen Minderheiten aus dem Kaukasus und Zentralasien. Prävention gibt es kaum, erzählt Fanforscher Pavel Klymenko.
    "Einfach nur ein Spiel zwischen Flüchtlingen zu organisieren, das löst bei den Teilnehmern Angst vor der Abschiebung aus. Jede Zusammenkunft von mehr als zehn Leuten zieht Aufmerksamkeit der Polizei auf sich. Bei unseren Aktionswochen hatten wir mal muslimische Fußballerinnen dabei. Sie spielten mit Kopftüchern in einem Moskauer Park und wurden von Sicherheitskräften sofort als Risiko wahrgenommen. Ich glaube nicht, dass die Weltmeisterschaft die Zivilgesellschaft reaktivieren kann."
    Von den Verbänden Fifa und Uefa sind stets allgemeine Botschaften zu hören. Beim DFB erörtert man schon länger mögliche Projekte für die WM. Doch Unterstützung aus dem Ausland könnte den Aktivisten auch schaden. DFB-Präsident Reinhard Grindel möchte die Themen beim Confederations Cup umsichtig ansprechen, mit dabei: der ehemalige Nationalspieler und neue Botschafter für Vielfalt Thomas Hitzlsperger. Der Moskauer Aktivist Robert Ustian wünscht sich einen Dialog auf Augenhöhe. Er berichtet von einer Konferenz, an der auch Vertreter von Borussia Dortmund teilnahmen.
    "Diese Leute haben nicht mit dem Finger auf uns gezeigt. Sie sprachen über sich, über eigene Probleme mit rechten Fans - und über Lösungen. Aber es gibt Organisationen, die uns ständig belehren wollen. Leider haben wir bis heute keine Kultur, in der wichtige Veränderungen an der Basis angestoßen werden. Alles geht von oben nach unten."