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Fußball und Glaube
Leere Kirchen, volle Stadien

Fußball als Religionsersatz? Als erste europäische Stadt zeigt Amsterdam die internationale Ausstellung "Fußball Halleluja!", die zeigt: Manche Gegenstände aus der Fußballwelt werden geradezu reliquienhaft verehrt. Und auch eine ethisch-moralische Funktion hat dieser Sport längst übernommen.

Von Remko Kragt | 10.11.2014
    Fans stehen beim "Public Viewing" am Brandenburger Tor in Berlin und sehen sich das WM-Achtelfinale zwischen Deutschland und Algerien in Brasilien an.
    Glaube und Aberglaube liegen bei Fußballern und Fans manchmal nah beieinander. (picture alliance / dpa)
    Die Fußball-Nationalmannschaft der afrikanischen Republik Togo musste sich bei der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland nicht nur auf ihre körperlichen Kräfte verlassen. Zusätzlich errichtete ein Voodoo-Priester für die Spieler einen Altar, um auch die Geister günstig zu stimmen. Der Altar ist eines der Exponate in der Ausstellung "Fußball Halleluja", die zurzeit in Amsterdam gezeigt wird. Elf kleine, tönerne Fußballspieler, stehen darauf, jeder mit einem Hängeschloss am Bein. Daneben stehen zwei Fläschchen, an denen kleine Tierschädel festgebunden sind. Kuratorin Annemarie Dewildt:
    "Die Figuren, die stellen die Gegner dar. Die Gegner haben kleine Schlösser am Fuß, damit sie behindert werden zu scoren. Und das ist ein Affenschädel, damit die Gegner sich wie Affen verhalten werden."
    Geholfen hat es nicht. Togo schied bekanntlich schon in der Vorrunde aus. Doch der Glaube, dass der Erfolg beim Fußball nicht nur menschengemacht ist, sondern auch höhere Mächte eine Rolle spielen, ist weit verbreitet. Das zeigt die Ausstellung mit zahlreichen Objekten. Etwa mit Bildern von Spielern, die vor oder nach dem Spiel beten, mit einem Rosenkranz aus kleinen Fußbällchen oder auch von Andachtsräumen in Stadien, sagt Sander Rutjens vom Amsterdam Museum.
    "In Spanien, in Barcelona hat man eine kleine Kapelle im Stadion, wo man beten kann für den Sieg."
    Für Kuratorin Annemarie Dewildt steht fest, dass die Bedeutung der Religion, anders als im europäischen Alltag, beim Fußball eher wächst.
    "Das Interessante ist, dass es immer mehr offenbar wird. Zum Beispiel in nordafrikanischen Ländern. Vor 20 Jahren sah man das nie, und jetzt sieht man das auch: Spieler, die beten und danken, ja, Allah danken."
    Spiritualität, nicht unbedingt Religion
    Eine entscheidende Rolle spielt stets die persönliche Spiritualität von Spielern oder Fans. Glaube und Aberglaube sind dabei häufig nicht weit voneinander entfernt, sagt Annemarie Dewildt und zeigt auf einen orangen BH in einer Vitrine.
    "Wir haben, als wir die Ausstellung machten, auch mit den Kollegen in Basel viel darüber diskutiert: Man hat Glaube und Aberglaube. Es gibt so viele Leute, die Aberglaube haben über Fußball. So haben wir gesagt, das mischen wir. Und dieser BH ist ein Oranje-BH, der getragen ist von einem holländischen Fan während der Weltmeisterschaft. Sie glaubte, wenn ich dies trage, werden wir gewinnen."
    Manche Fanartikel oder Gegenstände aus der Welt des Fußballs werden dabei geradezu reliquienhaft verehrt. So sind in der Ausstellung in Plexiglas eingegossene Stückchen Fußballrasen zu sehen, den Spieler von Hertha BSC einst betreten haben sollen.
    Maradona statt Madonna am Altar
    Nicht selten werden die Devotionalien auf eine Weise aufbewahrt, die stark an kirchliche Formen erinnert. Ein Beispiel ist die Replik eines Maradona-Altars. Er besteht aus einem, in den argentinischen Farben hellblau und weiß gehaltenen Tor in Form eines Tempelportals. Unter dem Torbogen hängen und liegen Bilder des Stars, auf einem angedeuteten Treppenaufgang steht ein kleines Kästchen. Das Original findet sich in einem Café in Diego Maradonas Geburtsort. Der Wirt hielt es nicht für transportfähig. Sander Rutjens:
    "Der Fußballaltar kommt aus Neapel und der Mann, der das gemacht hat, hat Maradona im Flugzeug gesehen. Maradona ist aufgestanden, ist weggegangen, und der Mann hat ein paar Haare gefunden und mit den Haaren hat er einen Altar gemacht. Wenn man richtig gut guckt, dann sieht man ein echtes Haar von Maradona."
    In einer weiteren Vitrine liegen zwei Liederhefte, wie sie von manchen Vereinen herausgegeben werden. Denn auch Stadiongesänge sorgen für spirituelle Erlebnisse. Die Liederhefte entsprechen Liederzetteln im Gottesdienst.
    Längst hat der Fußball, der Millionen von Menschen in die Stadien zieht, während die Kirchen immer leerer werden, auch eine ethisch-moralische Funktion übernommen. Regelmäßig wird vor Spielen zu Fairness und Gewaltfreiheit aufgerufen.
    "Man sieht ja jetzt, dass Fußball ein bisschen die Rolle aufgenommen hat, und sagt, man muss gegen Rassismus sein, Homosexualität muss man miteinander darüber reden und das ist eigentlich eine Rolle, die für Religion gewesen ist."
    Das Leben mancher Fans begleitet der Fußball von der Wiege bis zur Bahre und vielleicht sogar noch darüber hinaus. Auf einem Foto posiert eine junge Mutter in einer Dortmunder Geburtsklinik mit ihrem Baby vor dem Borussen-Emblem. Ein anderes Bild zeigt den Fußballer-Friedhof auf Schalke. Und dann ist da noch der Sarg für einen Fan des niederländischen Oberligavereins F.C. Twente. "You'll never walk alone" steht darauf. Du gehst nie alleine – auch nicht in den Fußballhimmel.