Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Fußball-WM 2014
Sicherheitsnetz für Brasilien

150.000 Sicherheitsbeamte sollen die Fußball-WM in Brasilien schützen, eine militärische Spezialeinheit wurde gegründet, um drohende Unruhen einzudämmen. Unsummen wurden in neueste Sicherheitstechnologie gesteckt. Rund eine Milliarde soll Brasilien investiert haben. Ohnehin ist die Sicherheitsindustrie einer der großen Profiteure der modernen Mega-Events.

Von Jonas Reese | 02.03.2014
    Ein Plakat mit der Aufschrift "Rio 2014" hängt im Maracana-Fußballstadion in Rio de Janeiro.
    FIFA vergibt Weltmeisterschaft 2014 an Brasilien (dpa/epa/efe/Marcelo Sayao)
    Vergnügt sitzt Sergio Cabral vor einem Computerbildschirm. Umringt von Fotografen lässt sich der ouverneur von Rio de Janeiro die neue Kommandozentrale der Stadt zeigen. Der riesige Saal erinnert an ein Kontrollzentrum der NASA. Nur sollen hier in dem soeben eingeweihten modernen Gebäude keine Weltraum-Missionen gesteuert werden, sondern die Sicherheitseinsätze der Stadt.
    Auf Cabrals Monitor blinken Streifenwagen, Feuerwehr und Krankenwagen in Miniaturansicht, Einsatzorte leuchten rot auf, Verkehrsstaus, Unfälle – eine Stadt wie im Computerspiel. Dieses Nationale Kontrollzentrum ist das Herzstück des Sicherheitskonzepts von Brasilien für die kommenden Großereignisse, WM und Sommerspiele.
    Der Werbefilm von Rios neuer Einsatzzentrale schwärmt: Auf mehr als 9.000 Quadratmetern arbeiten mehr als Tausend Menschen rund um die Uhr in drei Schichten.In Echtzeit erhalten sie Informationen aus dem gesamten Stadtgebiet, werten sie aus und koordinieren die verschiedenen Einsatzkräfte.
    200 Millionen Euro kostet diese Kommandozentrale. Weitere stehen in den elf anderen Spielorten. Alle zusammen bilden das neue Sicherheitsnetz für das riesige Land. Auch der WM Gastgeber 2010 Südafrika hatte auf ein derartiges Konzept gesetzt. In Brasilien sollten die Zentren eigentlich schon vor drei Jahren ihren Betrieb aufnehmen. Aber das Land hat eben nicht nur Probleme mit dem Stadionbau.
    Offiziell gibt Brasilien für die Sicherheitsmaßnahmen während der WM knapp 600 Millionen Euro aus. Inoffiziell kursieren aber bereits Summen von mehr als einer Milliarde Euro.Unsummen für die Sicherheit, die nicht nur in Brasilien festzustellen sind, sondern bei fast allen Ausrichtern von Sportgroßereignissen in jüngerer Zeit. Sicherheit ist ein großer Markt für den Sport, sagt Dennis Pauschinger, Soziologe an der Universität im britischen Kent:
    "Ich würde sagen, dass es mittlerweile weit darüber hinausgeht, als eine tatsächliche Gefahr abzuwehren. Heute muss man Sicherheit als Ware wahrnehmen. Es steckt eine große Industrie dahinter."
    In der Tat haben sich die Ausgaben für Sicherheitsvorkehrungen bei Sportgroßereignissen drastisch erhöht. Die Sommerspiele in Barcelona 1992 haben zum Beispiel offiziell 48 Millionen Euro für Sicherheit ausgegeben. London 20 Jahre später rund eine Milliarde. Unter der Marke von eine Milliarde Euro sind seit Athen 2004 überhaupt keine Spiele mehr geblieben. Verantwortlich für diese Entwicklung: die Terroranschläge von 2001, sagt Dennis Pauschinger.
    Nach dem 11. September gibt es sicherlich zwei große Prozesse die man beobachten kann: Die Militarisierung der inneren Sicherheit und dass auch die Überwachung des öffentlichen Raums zugenommen hat. Und das in Partnerschaft zwischen Staat und Privatwirtschaft. Gut abzulesen ist diese Partnerschaft auch bei der Fußball-WM in Brasilien. Für die deutsche Sicherheitsindustrie hat das Bundeswirtschaftsministerium extra eine Marktanalyse erstellen lassen. Zitat:
    "Marktbeobachter halten die Sicherheitstechnik für eines der vielversprechendsten Betätigungsfelder für deutsche Unternehmen in Brasilien, da sich hier Qualität mit einem höheren Preis durchsetzt. Die ohnehin guten Perspektiven der Branche im kriminalitätsgeplagten Brasilien bekommen zusätzlichen Schwung durch die sich konkretisierenden Vorbereitungen der FIFA-Weltmeisterschaft und der Olympischen Spiele. Bedenken zum Datenschutz, wie sie in Europa häufig formuliert werden, sind in der brasilianischen Gesellschaft nicht vorhanden.“
    Besonders lukrativ für Unternehmen der Branche sind ganz generell die Schwellenländer. Ihnen bescheinigen verschiedene Studien ein überdurchschnittliches Wachstumspotenzial in Sachen Sicherheit. Auffällig ist es da, dass vier von fünf Fußball-Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen der jüngsten Zeit genau dort stattfanden oder noch stattfinden werden. Brasilien, Russland, China, Südafrika. Sie alle sind oder waren Gastgeber von sportlichen Großereignissen zwischen 2008 und 2018. Groß-Events schaffen oft günstige Bedingungen, um Sicherheits- und Überwachungstechnologien zu installieren, die ansonsten vielleicht schwerer durchzusetzen wären. Allein in der Metropole Sao Paulo etwa wird sich die Zahl der Überwachungskameras in der Innenstadt im Vorfeld der WM von 50 auf 1500 verdreißigfachen.
    Investitionen, die zwar von der WM begünstigt werden, die aber ohnehin schon lange in der Schublade lagen und dringend notwendig sind im Land, meint Anatol Adam Sicherheitsexperte an der Universität Köln und Sprecher des Forums für Internationale Beziehungen und Sicherheitspolitik.
    Brasilien braucht sicherlich einerseits mehr Investition in Sachen Sicherheit. Da gibt’s massive Defizite. Man sieht ja nur Einzelprojekte. Das ist alles so relatives Stückwerk. Schade eigentlich. Weil so Großveranstaltungen ein Win of Opportunity wären. Aber das muss man sechs, sieben Jahre zuvor in Angriff nehmen, aber da war viel Stückwerk dabei.