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Fußball-WM in Russland
Familienevent oder Festival der Schläger?

Die Hooligans in Russland gelten als besonders hart. Werden sie die anstehende Heim-WM als Bühne nutzen oder wird die Regierung durch starke Kontrollen das Problem eindämmen können? Im Dlf-Sportgespräch analysieren Experten das Spannungsfeld zwischen Panikmache und der schwindenden Chance auf ein langfristiges Präventionskonzept.

Mit Ronny Blaschke, Martino Simcik, Timm Beichelt und Thomas Dudek | 08.04.2018
    Fans prügeln sich im Stadion am Ende des Spiels England gegen Russland während der EM 2016.
    Fans prügeln sich am Ende des Spiels England gegen Russland während der EM 2016. (AFP/Valery HACHE)
    Das Sportgespräch dokumentiert eine Diskussion vom 15. Internationalen Fußballfilmfestival "11mm" in Berlin. Ende März 2018 lief dort im Kino Babylon auch die Reihe "Fußball und Macht", entwickelt von der Kooperative Berlin, gefördert von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Großen Zuspruch fand der Film von Martino Simcik. Der in England lebende Journalist und Filmemacher drehte das vielfach diskutierte Werk im vergangenen Jahr für das Onlinemedium "Copa90". Der Titel: "Should You Be Afraid Of The Russian World Cup?"
    Die Doku greift eine Frage auf, die vor der WM in Russland international oft gestellt wird. "In Russland leben fast 150 Millionen Menschen, die können nicht alle gewalttätig und böse sein. Es gibt eine Diversität an Sprachen, Kulturen, Meinungen und auch an Zugängen zum Fußball. Der Unterschied zu anderen Ländern ist, dass wir mehr Kraft und Geduld benötigen, um diese Vielfalt sichtbar zu machen. Wenn es um Russland geht, wollen viele das Offensichtliche nicht als offensichtlich betrachten", sagte der italo-amerikanische Filmemacher Martino Simcik im Deutschlandfunk. An eine WM ganz ohne Vorfälle glaubt er allerdings nicht. "Aber dieses Thema sollte nicht eine ganze Weltmeisterschaft überstrahlen."
    "Was fehlt, sind nachhaltige Konzepte bei den Klubs"
    Die Minderheit der reformwilligen Köpfe steht einem repressiven Staat gegenüber, der auf Gruppenverbote, Vorratsdatenspeicherung und die Einschränkung der Presse- und Versammlungsfreiheit setzt. Über Verbindungen der russischen Fans ins Neonazimilieu sprach der Journalist und Hooligan-Experte Thomas Dudek, der unter anderem für Spiegel Online und die Neue Zürcher Zeitung arbeitet: "Die Szene ist durchaus stramm rechts. Die Hooligans und Ultras haben seit den 1990er-Jahren ein Feld bereitet, das auch rechtsradikale Parteien für sich nutzen." Erst in den letzten Jahren sei der Kreml dagegen vorgegangen. Ob die WM Anstöße zur Prävention bietet? "Der Beauftragte beim Russischen Verband ist ein Alibi", sagte Dudek. "Was fehlt, sind nachhaltige Konzepte bei den Klubs." Und es dauere lange, bis Eigeninitiativen von Fans belohnt würden.
    "Ein aufgeblähter Sicherheitsapparat wird mögliche Störenfriede beseitigen"
    In seinem neuen Buch "Ersatzspielfelder" analysiert Timm Beichelt, Professor für Europa-Studien an der Viadrina in Frankfurt (Oder), das Verhältnis von Fußball und Macht, unter anderem den massiven Einfluss staatlicher russischer Konzerne im nationalen und internationalen Fußball: "Einzelne Fanbeauftragte sagen zu den Fans: Kommt doch nach Russland, bei uns herrscht Sicherheit. Ob die wissen, was sie damit eigentlich sagen?", fragt Beichelt. "Dass Hunderte, Tausende, vielleicht Zehntausende relativ unschuldige Personen im Vorfeld quasi ,kassiert’ werden. Ich glaube, dass es keine Auseinandersetzungen geben wird. Aber das liegt daran, was vorher passiert: Dass ein riesiger aufgeblähter Sicherheitsapparat diese möglichen Störenfriede von den Straßen beseitigen wird."
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.