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Fußballprofis
Raus aus der Blase

Ein Leben im Scheinwerferlicht und dennoch so abgeschottet wie möglich. Das ist das Leben eines Fußballprofis. Aber bewegen sich die Stars in einer Blase? Müsste es nicht auch Aufgabe von Trainern und Vereinen sein, die Spieler für das Leben nach der Karriere vorzubereiten? BVB-Trainer Thomas Tuchel gibt Einblicke hinter die Kulissen einer Bundesligamannschaft.

Von Matthias Friebe | 19.02.2017
    Borussia Dortmunds Trainer Thomas Tuchel hört auf einer Pressekonferenz konzentriert einer Übersetzung über einen Kopfhörer zu.
    BVB-Trainer Tuchel bei der Pressekonferenz vor dem Champions-League-Spiel bei Benfica Lissabon (dpa/picture alliance/Thissen)
    "Das sieht man ja in allen Sportarten, nicht nur im Fußball. Aber manchmal, wenn sie aus dem Tunnel rauskommen, dann sind sie 35 oder 40 und sind reich, aber menschlich am Ende", sagt der Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht über Fußball-Profis. "Nehmen sie so einen Fall wie Messi, einer der ganz ganz großen Fußballer der Geschichte, kein Zweifel. Aber ich frage mich manchmal, wenn Messi mal nicht mehr für Barca spielt. Was bleibt?"
    Was bleibt? Das fragte Gumbrecht vor wenigen Tagen bei einer Diskussion im Dortmunder Fußballmuseum. Er stellt diese Frage auch an BVB-Trainer Thomas Tuchel, der selbst oft mit sich und seiner Aufgabe als Trainer hadert. Was muss ein Trainer seinen Spielern liefern abseits des Platzes? Tuchels Antwort: "Ihnen ein Angebot zu machen, dass es mehr gibt als Rap, der absolut seine Berechtigung hat und den ich selber gern höre, finde ich eigentlich eine Pflicht in unserem Pflichtenheft, der wir nicht nachkommen."
    Den Zimmerservice nicht vergessen
    Was Thomas Tuchel hier in flapsige Worte packt, treibt den Trainer von Borussia Dortmund wirklich um. Sich nur auf taktische Grundmuster und Freistoßvarianten zu beschränken, reicht ihm nicht. Es bereitet ihm Sorge, dass sich der Sport sonst vom Menschen und der Persönlichkeit trennen könnte. Deshalb seien auch kleine Gesten wichtig: "Im Hotel Spieler auch daran zu erinnern, dass es jetzt nur Recht ist, wenn wir Geld auf dem Zimmer lassen für den Zimmerservice, der eine Woche lang unsere Zimmer aufräumt und die Betten macht. Dann gehört das auch zu den Kleinigkeiten, die auch jemand liefern muss, wenn er für Borussia Dortmund oder für ein Team unterwegs ist. Auch wenn seine Hauptmotivation Geld, Ruhm oder Status ist."
    Es muss noch mehr geben als die Fußballer-Blase zwischen Spiel und Training. Mehr als Kopfhörer auf und abtauchen, als zuhause oder im Hotel vor der Playstation zu sitzen. Da ist sich Thomas Tuchel einig mit Hans Ulrich Gumbrecht. Der fragte bei der Diskussion auch nach einem Kulturprogramm abseits des Platzes zum Beispiel der Begegnung mit Fado-Musikern bei einem Spiel in Lissabon?
    Hans Ulrich Gumbrecht steht an einem Pult und hält eine Rede.
    Hans Ulrich Gumbrecht bei einer Gedenkfeier für den Journalisten Frank Schirrmacher 2014 (dpa/picture alliance/Rumpenhorst)
    Gumbrecht: "Könnten Sie sich vorstellen solche Komponenten einzubauen in das Leben eines Sportlers? Also, nicht nur, dass das schön wär, dass sie dann Fado gehört haben?"
    Tuchel: "Ich würde es lieben."
    Gumbrecht: "Und haben Sie den Eindruck, dass würde möglicherweise auch die Sportler besser machen? Denn manchmal hat man so den Eindruck, das sind fantastische Sportler, aber was machen die zwischen den Trainingseinheiten?"
    Tuchel: "Ich habe ein schlechtes Gewissen und schäme mich auch ein bisschen, wenn wir in Lissabon spielen und ich nichts über Lissabon weiß. Wieso ist die Stadt so wie sie ist? Ist das melancholisch? Ist das begeisterungsfähig? Wieso spielen sie so Fußball, wie sie spielen? Aus Respekt, gar nicht aus: ‚Genau da schlagen wir sie morgen‘, sondern aus Respekt!"
    Tuchel meint Respekt gegenüber dem Gegner, gegenüber Land und Leuten, aber auch Respekt gegenüber dem eigenen Intellekt. Deshalb trieb ihn vor dem Champions-League-Spiel folgende Idee um: "Ich überlege jetzt, ob ich nach dem Spiel, um 0 Uhr, 0.30 Uhr, dann mir einfach eine Nachtführung organisiere. Ich kann sowieso nicht schlafen, deshalb würde ich lieber mir zwischen 1 und 3 Uhr nachts die Stadt anschauen und verstehen, wo wir da gerade waren."
    Spieler besser begleiten
    Ob es das Team dann gemacht hat ist nicht überliefert. Solche Aktionen könnten, davon ist der Dortmund-Trainer überzeugt, aber ein Mehrwert sein für die Spieler, die heutzutage im geschützten Raum eines Nachwuchsleistungszentrums groß werden. Tuchel sagt: "Sobald sie in den Erwachsenenbereich kommen, sind sie einfach nur noch Sportler und sich einfach oft, zu oft, nur sich selber überlassen, sowohl im Alltag als auch in ihrer persönlichen Entwicklung."
    Die Frage nach der eigenen Identität. Weil aber genau diese Krise jeden Menschen und sicher auch jeden Profifußballer treffe, müsse der Verein die Spieler besser begleiten, ist Thomas Tuchel überzeugt. Das heißt, es ist die Aufgabe der Vereine, den Spielern Impulse zu geben, über den Tellerrand hinauszuschauen, um darauf besser vorbereitet zu sein.
    Olympiasieger, die Brötchen schmieren
    "Da ist dieser Fokus, dieses viele Geld, diese vielen Kameras, diese vielen Interviews für so viele unwichtige Fußball-Spiele, der ist da nicht hilfreich", sagt Tuchel. Ihm selbst habe, gibt er freimütig zu, ein Besuch bei den Handballern vom THW Kiel die Augen geöffnet: "Da haben die Olympiasieger, die Weltmeister zur Auswärtsfahrt drei Stunden im Bus Brötchendienst, die haben vorne im Bus die Brötchen geschmiert."
    Und mehr noch: die Analyse des Spiels hätten die Handballer ganz einfach in der Turnhalle absolviert. "Da brauchst Du kein Zentrum mit Klimaanlage für. Da brauchst Du eine Turnhalle mit Stehtisch. Das ist die Wahrheit. Das haben wir komplett verlernt, weil jeder Fußballer denkt, dass man sehr wohl einen Flatscreen und ein Riesenzentrum und ein megateures Auto braucht, um erst mal zu dieser Videoanalyse zu kommen."
    Was aber lernen aus dieser Zustandsbeschreibung des Profifußballs? Lässt sich das Rad überhaupt noch wieder zurückdrehen? Tuchel meint: "Dass im Moment abzurüsten, das ist illusorisch. Aber, da im Moment an den Speck ran, da sind doch noch genug Jugendspieler hier bei uns und bei uns im Kader. An die: Ran!"
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