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Fußgängerzone in Brüssel
Ein Freiluft-Wohnzimmer auf Probe

Es ist die größte Fußgängerzone Europas: Auf dem Boulevard Anspach in Brüssel kann man jetzt flanieren und spielen, wo sich im Juni noch die Autos stauten. Das gefällt vielen, aber nicht allen und ist auch nicht endgültig: Die Umwandlung hat eine Probezeit von acht Monaten.

Von Annette Riedel | 28.08.2015
    Mehrere Menschen sitzen an Tischen oder gehen über den Boulevard Anspach in Brüssel, der Anfang Juli in eine Fußgängerzone umgewandelt worden ist.
    Der Boulevard Anspach in Brüssel ist Anfang Juli in eine Fußgängerzone umgewandelt worden. (imago / epd / Isabel Guzman)
    Ein warmer Sommerabend in der Brüsseler Innenstadt am Boulevard Anspach – eine der Hauptverkehrs-Nord-Süd-Achsen, vierspurig. Verkehr - das war einmal. Seit Ende Juni gehört knapp ein Kilometer vom Boulevard Anspach Fußgängern und Fahrradfahrern. Blumenkübel markieren den Bereich; alle paar Meter stehen Mülleimer, Tisch-Tennis-Platten sind aufgestellt. In zwei frisch aufgeschütteten Schotter-Bahnen wird Boule gespielt, daneben Federball.
    Die Stadtbücherei hat auf der Straße aus Holzpaletten eine Art Liege-und Sitz-Landschaft improvisiert. Dazwischen zwei Stapel Bücher, beschildert mit der Aufforderung, sich welche zu nehmen und im Gegenzug eigene zu deponieren. Kinder begreifen das Arrangement als Klettergerüst.
    An Picknick-Tischen oder auf Baumstämmen sitzen die Menschen, plaudern, haben ein Glas oder Pappbecher in der Hand, schmausen. An einer Straßenecke, gegenüber der alten Börse, ziehen zwei Tänzer die Aufmerksamkeit auf sich. Bruno De Lille beobachtet sie. Der ehemalige Journalist aus dem flämischen Teil Belgiens ist für die Grünen im Brüsseler Stadt-Parlament. "Die Erweiterung der Fußgängerzone ist eine gute Idee. Brüssel gehörte zu den Städten, in denen Autos viel zu viel Raum hatten. Man sieht das ja auch an anderen europäischen Städten, dass die Zentren wieder mehr für die Menschen da sind und nicht für die Autos. Höchste Zeit, dass man das Brüssel auch macht."
    Nicht so werden wie Amsterdam
    Seit mehr als zwei Jahrzehnten schon sind der Große Rathausplatz, einige angrenzende Gassen autofrei. Und einige Straßen jenseits von jenem Boulevard Anspach - neuerdings alles eine große Fußgängerzone. Erst einmal auf Probe. Wenn nach acht Monaten die endgültige Entscheidung zugunsten der vergrößerten Flaniermeile fällt, soll noch einiges am Boulevard Anspach verändert werden. Aus Sicht von Brüssels Bürgermeister Yvan Mayeur ist die Entscheidung praktisch schon gefallen. "Der Boulevard Anspach ist jetzt Fußgängerzone. Hier werden keine Autos mehr entlang fahren. Wir werden überall den Asphalt durch edlen belgischen blauen Stein ersetzen. Wir wollen den ganzen Bereich renovieren. Die Arbeiten werden zwei Jahre dauern."
    Auch der grüne Lokalpolitiker Bruno De Lille glaubt nicht, dass die Fußgängerzone nach der Probezeit wieder zur Straße wird. Ihm gefällt, dass gerade dieser neue Fußgängerbereich auf dem Boulevard Anspach nicht nur in erster Linie für Touristen attraktiv ist, sondern auch und gerade für die Brüsseler selbst. "Ich möchte nicht, dass es eine Art Amsterdam wird. Dort sind in der verkehrsberuhigten Innenstadt überall Touristen. Und die Amsterdamer fühlen sich da nicht mehr zuhause."
    An diesem Sommerabend ist der Boulevard Anspach jedenfalls für die Brüsseler so etwas wie ein großes Freiluft-Wohnzimmer für Groß und Klein. Auch der junge Mann an der Tischtennisplatte, der um die Ecke wohnt, wie er erzählt, hat sichtlich Spaß. "Alle kommen gern her, um sich zu amüsieren, zu entspannen, Leute zu treffen - einfach cool."
    Der Härtetest kommt nach Ferienende
    "Die Leute hier sind natürlich happy mit der Fußgängerzone", sagt Bruno de Lille. "Aber für die in den angrenzenden Straßen wohnen, gibt es ein echtes Problem mit deutlich mehr Verkehr. Autos werden nicht wirklich aus dem gesamten Zentrum verbannt, sondern in die benachbarten Straßen in eine Art Mini-Umgehungsring." Er hofft, dass die Stadt daran vielleicht noch etwas ändert. Vonseiten der Taxi-Fahrer gibt es eine gemischte Zwischenbilanz. "Negativ. Leider hat man an die Fußgänger gedacht, aber nicht an uns Taxifahrer." – "Wenn sich nach ein paar Monaten erst mal alles eingespielt hat, wird es gut sein für uns Taxifahrer. Viel mehr Leute werden nicht mehr mit ihrem eigenen Wagen ins Zentrum fahren."
    Der echte Härte-Test für Taxifahrer und all diejenigen, die auf ihr Auto in der Innenstadt nicht verzichten wollen oder können wird das Ferienende am 1. September sein. Und erst im normalen Alltag wird sich zeigen, ob die Geschäftsleute am Fußgänger-Boulevard Anspach nach dem Wegfall des Autoverkehrs mehr oder weniger Geschäfte zu verzeichnen haben werden. Nachgefragt in einer Apotheke: "Früher haben Autofahrer kurz angehalten, wenn sie etwas aus der Apotheke brauchten. Bei schönem Wetter kommen nicht weniger Kunden, aber wenn es schlecht ist, ist es jetzt leer."
    Bruno de Lille ist sich sicher, dass sich die Geschäfte mittelfristig unterm Strich beleben werden. "Gut möglich, dass viele der Geschäfte hier verschwinden, weil sie nicht zum veränderten Umfeld passen. Wir wissen aber aus anderen Städten wir Gent, dass sich für all die leeren Geschäftsräume irgendwann neue Unternehmer fanden. Und heute laufen die Geschäfte dort sonst besser als je zuvor."