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Futbolpolitika - Fußball und Politik in Russland (11)
Stadionarchitektur mit politischer Prägung

Das WM-Finale findet im Moskauer Luschniki-Stadion statt, der wichtigsten Sportstätte Russlands. In der Sowjetzeit war es Schauplatz von Spartakiaden und Olympia 1980, später eines Champions-League-Finals und der Leichtathletik-WM. Die Architektur von Luschniki bildet auch die politischen Umbrüche des Landes ab.

Von Ronny Blaschke | 14.07.2018
    Luftaufnahme aus dem Jahr 1992 vom damaligen Lenin-Sportstadion, dem heutigen Luschniki-Stadion im gleichnamigen Moskauer Stadtteil.
    Luftaufnahme aus dem Jahr 1992 vom damaligen Lenin-Sportstadion, dem heutigen Luschniki-Stadion im gleichnamigen Moskauer Stadtteil. (picture-alliance / dpa)
    Die Sperlingsberge gehören seit Jahrhunderten zu den beliebtesten Erholungsorten der Moskauer. Wenige Jahre nach der Russischen Revolution 1917 sollte am Fuße der Berge ein Internationales Rotes Stadion entstehen. Im Stadtviertel Luschniki, in einem Bogen des Flusses Moskwa, sollte sich die riesige Arena in die aufsteigende Landschaft einbetten. Wie in der Antike in einem "natürlichen Amphitheater".
    Architektur sollte Kollektiv zum Ausdruck bringen
    Politiker, Architekten und Theaterregisseure mischten sich in die Debatte ein, erzählt die Kunsthistorikerin Alexandra Köhring, die sich mit sowjetischer Architektur beschäftigt hat: "Ganz interessant war, dass sich doch etliche ganz am Anfang dafür ausgesprochen haben, dass man überhaupt gar keine befestigte Architektur bräuchte, um diese Idee dieses Kollektivs und dieser neuen Gesellschaft zum Ausdruck zu bringen. Auch die Veranstaltungen waren eher Massenchoreografien oder mit Attraktionen und Spielen, weniger Wettkampfsport, der es ja sowieso zunächst erstmal ein bisschen schwierig hatte, sich zu etablieren."
    Etliche Revolutionäre setzten auf die sozialistische Körperkultur Fiskultura. Sie wollten nicht zwischen Athleten und Zuschauern unterscheiden, für sie waren alle in Aktion. Sie begnügten sich mit Massenparaden auf dem Roten Platz. Wichtige Fußballspiele fanden auf Wiesen oder Brachen statt. 1928 entstand das erste Stadion – für Dynamo Moskau.
    Sportstätten blieben anfangs vom Prunk unberührt
    In den 1930er-Jahren wurden dann in Moskau palastartige Gebäude mit Verzierungen und Säulen errichtet. Diese Herrschaftsarchitektur unter Stalin strahlte auf sozialistische Bruderstaaten ab, doch sie ließ große, repräsentative Sportstätten außen vor. Zu hoch die Kosten, zu gering das Interesse. Der Fußball etablierte sich langsam.
    In neuen Arbeiterquartieren fernab der Hauptstadt wurden Stadien mitunter als wichtige Zweckbauten betrachtet. Nikolaus Katzer, Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Moskau, nennt ein Beispiel: "In Magnitogorsk wird das Stadion, der Kinopalast und das Theater ins Zentrum der Stadt gebaut. Das ist symbolisch, als wären das Elemente der großen Sowjetkultur. Eine schwerindustrielle Stadt, die in dieser Zeit gegründet worden ist, die als moderne Industriegroßstadt dort aus dem Boden gestampft wird beim Ural. Und die als Stadtanlage eben modern sein sollte. Im Verständnis der damaligen Zeit."
    Lenin-Stadion in nur 450 Tagen erbaut
    Nach dem Tod Stalins 1953 distanzierte sich Nachfolger Nikita Chruschtschow von dessen Monumentalbauweise. Die neue Architektur sollte einen "menschlichen Sozialismus" ausdrücken. Schlicht, funktional, günstig. Für den Stadtteil Luschniki wurden die alten Pläne für ein großes Stadion wieder aufgegriffen. Hunderte Menschen wurden dafür vertrieben. In nur 450 Tagen entstand das Lenin-Stadion. Das Eröffnungsspiel 1956 bestritt das sowjetische Fußballnationalteam gegen China. Spartakiaden, Weltjugendspiele und Olympia 1980 folgten. Das Stadion war Zentrum eines Sportparks: mit Spielfeldern, Festivalbühnen und Eisflächen im Winter, mit Verkaufsständen und Flohmärkten.
    Die Osteuropa-Forscherin Anke Hilbrenner beschreibt die Propaganda jenseits des Leistungssports: "Zum Leben eines Sowjetmenschen hat eben Sporttreiben im Bereich des Breitensports auch dazu gehört. Und dazu gehören alle möglichen Bereiche: wie Bürogymnastik und Frühsport, der morgens im Radio zum Mitmachen anregen sollte. Und natürlich auch die Arbeitsfähigkeit der Bevölkerung herstellen sollte. Genau wie eben Bildung und wie Kenntnisse der Klassiker gehörte auch Sport zum kulturell wertvollen sowjetischen Leben."
    Umbenennung in Luschniki, mit viel Aufwand modernisiert
    Das Lenin-Stadion wurde 1992 umbenannt in Olympiastadion Luschniki. Zwischen 2014 und 2017 wurde es aufwändig modernisiert. Nur wenige der zwölf WM-Arenen haben die Stadtteilentwicklung so geprägt wie Luschniki. Die meisten Stadien befinden sich in Vororten, doch auch ihre Architektur trägt politische Elemente. Zum Beispiel Statuen von Lenin oder Sergej Kirow, einem ermordeten Anhänger Stalins.
    Wichtig sind auch Hinweise auf den Sieg im Zweiten Weltkrieg, die Kunsthistorikerin Alexandra Köhring nennt zwei Beispiele: "In St. Petersburg steht das Stadion jetzt im Park des Sieges. Das heißt, man geht auch durch diesen Park des Sieges, der in den Vierzigerjahren angelegt wurde, auf dieses Stadion zu. Da gibt es das ewige Feuer und Gedenktafeln. Also es ist eigentlich ein Gedenkpark. Und in Wolgograd ist das noch deutlicher. Da befindet sich das Stadion nämlich am Fuße des Mamajev-Hügels mit Blick auf diese Siegesfigur der ,Mutter Heimat’. Diese Standorte im stadträumlichen Zusammenhang sind eigentlich Gedenkstätten."
    Luschniki hat Epochen bewältigt
    Nach der WM dürfte die Diskussion über die Nachnutzung der Stadien lauter werden. Ingesamt haben sie rund fünf Milliarden Euro gekostet. Mitunter wirken die modernen Bauten wie gestrandete Ufos in verschlafenen Stadtsiedlungen. Das Luschniki aber bildet eine Ausnahme, sagt Alexandra Köhring.
    Der Innenraum des Olympiastadion Luschniki in Moskau. Die Stadt ist einer der Spielorte für die FIFA Fußball-Weltmeisterschaft 2018 in Russland.
    Das heutige WM-Stadion Luschniki in Moskau. (picture alliance / dpa / Marius Becker)
    Spektakulär erst auf den zweiten Blick: "Also ich glaube, dass damit der ganz große Bogen gespannt wird. Rückwärts in die Antike, vorwärts in die Zukunft. Und sich auch so sichtbar macht. Weniger mit einer technoiden Zukunftsvision. Sondern es geht um eine Kontinuität, aber auch um einen Anspruch, den man damit formuliert. Man hat hier Epochen bewältigt. Und wird sie natürlich auch weiterhin gehen."