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G20-Gipfel in Hamburg
Wie die linke Szene sich juristisch wappnet

Die linke Szene rechnet mit umfassenden polizeilichen Maßnahmen als Reaktion auf die geplanten Proteste gegen den G20-Gipfel in Hamburg. "Wir sind darauf vorbereitet", sagte Szene-Anwältin Alexandra Wichmann im DLF - etwa mit einem Anwalts-Notdienst. Die Aktionen seien durch Meinungs- und Versammlungsfreiheit gedeckt.

Alexandra Wichmann im Gespräch mit Ulrike Winkelmann | 06.04.2017
    Leuchtbuchstaben mit dem Slogan "NO G20" sind am 27.03.2017 in Hamburg auf dem Dach des linksautonomen Kulturzentrums Rote Flora im Hamburger Schanzenviertel zu sehen. Am 7. und 8. Juli 2017 treffen sich in Hamburg die Staats- und Regierungschefs der G20-Staaten.
    Leuchtbuchstaben mit dem Slogan "NO G20" sind am 27.03.2017 in Hamburg auf dem Dach des linksautonomen Kulturzentrums Rote Flora im Hamburger Schanzenviertel zu sehen. Am 7. und 8. Juli 2017 findet in Hamburg der G20-Gipfel statt. (dpa / Christian Charisius)
    Ulrike Winkelmann: Für einen "Anwalts-Notdienst" werden Rechtsanwältinnen und –anwälte aus der ganzen Republik anreisen; die Rechtsanwältin Alexandra Wichmann aus der Kanzlei "Schulterblatt 36" aus dem Hamburger Schanzenviertel gehört zu den Organisatoren. Mit ihr habe ich vor dieser Sendung gesprochen. Zum Beispiel darüber, in welchen Rechten sie die Gipfel-Demonstranten denn jetzt schon bedroht sieht.
    "Es wird zu einer Reihe von Auseinandersetzungen kommen"
    Alexandra Wichmann: Da sehen wir eine Reihe von juristischen Auseinandersetzungen auf uns zukommen. Da wird es im Vorfeld Maßnahmen geben, Gefährderansprachen, Einreiseverbote, aber auch die Einschränkung von Versammlungsrechten, und da wird es zu einer Reihe von Auseinandersetzungen kommen, wo die Rechtmäßigkeit dann überprüft werden müsste.
    Winkelmann: Einige CDU-Innenpolitiker haben sich ja bereits sehr besorgt geäußert. Unter anderem werden eben genau Einreiseverbote für sogenannte Gefährder gefordert. Werden Sie denn Protestwilligen aus dem Ausland helfen können?
    Wichmann: Ich finde diese Form der Stimmungsmache im Vorhinein wenig hilfreich. Ich denke, sie dient dazu, hier ein Klima der Einschüchterung zu schaffen und auch polizeiliche Eingriffsmaßnahmen, die massiv sind, vorauseilend zu rechtfertigen. Da sind Rechte betroffen wie die Freizügigkeit und natürlich die Versammlungsfreiheit, also das Recht zu protestieren. Dies sind beides sehr hohe Güter, und der anwaltliche Notdienst wird natürlich nach Kräften, also juristisch wie auch politisch, dafür eintreten, dass diese wertvollen Rechte hier für niemanden außer Kraft gesetzt werden.
    "Wir rechnen mit umfassenden polizeilichen Maßnahmen"
    Winkelmann: Gleichzeitig haben die Politiker ja eine gewisse Erfahrung mit solchen Gipfelprotesten und wissen, dass es auch zu Rechtsverstößen seitens der Demonstranten kommen wird. Mit welchen Anklagen rechnen Sie denn nach dem Gipfel?
    Wichmann: Erst mal rechnen wir, wie gesagt, mit diesen umfassenden polizeilichen Maßnahmen, gegen die wir uns dann auch juristisch wehren. Die Erfahrungen haben hier gezeigt in der Vergangenheit, dass die federführenden Einsatzleiter der Hamburger Polizei auch zu rechtswidrigen Maßnahmen neigen, also einschließende Begleitung von Versammlungen, Beschränken von Transparentlängen, Einkesseln. Und all das wird natürlich vor den Verwaltungsgerichten wie auch in der Vergangenheit geklärt werden.
    Natürlich rechnen wir auch mit Platzverweisen, Ingewahrsamnahmen oder gar gerichtlichen Schnellverfahren, also strafrechtlichen Schnellverfahren, und auch mit einer großen Anzahl von Einleitungen von Ermittlungsverfahren. Auch darauf sind wir vorbereitet. Da wird es wahrscheinlich zu den typischen Verfahren kommen im Rahmen von Versammlungen, also Verstoß gegen das Vermummungsverbot, Widerstand oder auch Vorwurf des Landfriedensbruchs. Was dann im Endeffekt aus diesen Ermittlungsverfahren wird, die dann eingeleitet werden, das steht dann auf einem anderen Blatt.
    "Protest ist geschützt durch die Meinungsfreiheit, durch die Versammlungsfreiheit"
    Winkelmann: Die CDU-Innenpolitiker, von denen ich vorhin sprach, die fordern auch, dass linke Gruppen, die, wie es heißt, die Stadt angreifen wollen, keine Tagungsmöglichkeit in öffentlich finanzierten Räumen in Hamburg bekommen sollen. Manches Problem brockt sich die linke Szene doch aus selbst ein, wenn sie zu solchem Vokabular greift, oder?
    Wichmann: Also solche semantischen Empfindsamkeiten, muss man hier ja glatt sagen, finde ich angesichts der brachialen Rhetorik zum Beispiel eines Trumps oder Erdogans unehrlich. Politische Meinungsbildung im öffentlichen Raum – also man kann ja auch sagen, Meinungskampf – besteht immer darin, dem politischen Gegner etwas entgegenzusetzen, also mit Argumenten, in Form von Protest, und dazu gehört natürlich auch eine überspitzte und provokante Rhetorik, die dafür genutzt wird. Und dies ist geschützt durch Grundrechte, also durch die Meinungsfreiheit, durch die Versammlungsfreiheit, dann im Einzelnen möglicherweise – bei sehr vielen Großereignissen wird natürlich der Gesellschaft in gewisser Hinsicht auch ein Spiegel vorgehalten, wie es denn um diese Grundrechte bestellt ist.
    Winkelmann: Das heißt, wenn Gruppen sagen, wir wollen die Stadt angreifen, meinen die das eigentlich gar nicht so, das ist dann mehr so eine blumige Übertreibung?
    Wichmann: Das steht mir jetzt nicht zu, das zu deuten, wie das denn gemeint ist. Jedenfalls ist dies ein in keiner Weise strafbarer Aufruf und ist in voller Hinsicht von der Meinungsfreiheit gedeckt, und das sollten auch die CDU-Innenpolitiker wissen.
    Hamburger Polizei: "Kein guter Umgang mit politischer Protestkultur"
    Winkelmann: Nun hat Hamburg ja eine gewisse Erfahrung mit linken Protestkulturen. Haben die Hamburger Innenbehörden jetzt im Vergleich einen relativ kühlen Kopf?
    Wichmann: Die Hamburger Polizei hat keine gute Figur im Umgang mit politischer Protestkultur. Das fing eigentlich schon beim berüchtigten Hamburger Kessel vor über 30 Jahren an und hat sich fortgesetzt in zahlreichen rechtswidrigen versammlungsbezogenen Einsatzpraktiken oder auch den rechtswidrigen Einsätzen von verdeckten Ermittlerinnen gegen linke Gruppen, und schließlich den grundrechtswidrigen Gefahrengebieten. Schon jetzt zeigt sich auch, dass auch in Hinblick auf diesen Gipfel mitnichten von einem kühlen Kopf gesprochen werden kann.
    Zu nennen sind da zum einen diese Bewachungsmaßnahmen der Hamburger Messehallen. Ich wohne da auch in der Nähe und sehe das, dass sie tagtäglich dort bei Sonnenschein mit derart vielen Einsatzkräften die Messehallen bewachen, wo ich keine Gefahr sehen kann. Auch ist mir gerade bekannt geworden, dass am Samstag eine Demonstration stattfinden sollte um 19 Uhr, auch gegen G20 Proteste angemeldet. Und nun wurde anscheinend ein Verbot verhängt, dass diese Demonstration nicht vor dem Haupteingang der Hamburger Messehallen enden darf. Also schon jetzt, Anfang April, muss man sagen, werden die Grundrechte, also die Versammlungsfreiheit durch die Versammlungsbehörde, was ja hier die Polizei ist, eingeschränkt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.