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G7-Beratungen in Taormina
"Das war nur ein Gipfel des schlechten Benehmens"

Nicht nur US-Präsident Donald Trump, auch Vertreter anderer G7-Staaten seien verantwortlich für die Uneinigkeit beim Gipfel in Taormina, sagte Marwin Meier von der Hilfsorganisation World Vision im DLF. So hätten etwa die Deutschen keine Zusage für eine Initiative gegen die Hungersnot in Afrika gegeben.

Marwin Meier im Gespräch mit Christiane Kaess | 27.05.2017
    Das Foto zeigt die Staats- und Regierungschefs der sieben größten Industrienationen, G7. Sie beraten sitzend an einem Tisch in großer Runde am zweiten Gipfeltag in Taormina auf Silizien.
    Die Staats- und Regierungschefs der sieben größten Industrienationen, G7, beraten in großer Runde am zweiten Gipfeltag auf Silizien. (dpa-bildfunk / AP / Domenico Stinellis)
    Christiane Kaess: Nichts geht auf dem G7-Gipfel in Italien. Bei dem Treffen der sieben wichtigsten Wirtschafts- und Industrienationen hätten sie kaum deutlicher werden können, die Unterschiede zwischen den USA unter Trump auf der einen Seite und den restlichen Staats- und Regierungschefs auf der anderen. Ob beim Freihandel, beim Klimaschutz oder bei der Entwicklungspolitik: Die Teilnehmer liegen so weit auseinander, dass zunächst sogar eine gemeinsame Erklärung fraglich war. Nicht nur inhaltlich stößt er seine Partner immer wieder vor den Kopf, sondern auch mit seinem Auftreten. Das fasst NATO-Generalsekretär Stoltenberg vorsichtig so zusammen:
    Jens Stoltenberg: President Trump has a very direct language. He expresses his views in a blunt way, plain speaking. This is something which is a bit different than what we have seen before.
    Kaess: Präsident Trump hat eine sehr direkte, schroffe Art, seine Meinung auszudrücken. Das ist doch etwas anderes, als wir es davor kannten.
    Wir schalten gleich zu unserem Korrespondenten auf dem G7-Treffen. Dort ging es heute Vormittag noch um die Entwicklungspolitik in Afrika. Dazu Fragen an Marwin Meier von der Hilfsorganisation World Vision.
    Die USA gegen eine übriggebliebene G6 – so beschreiben viele Beobachter mittlerweile den G7-Gipfel im sizilianischen Taormina. Immerhin hatte man gestern noch eine Gemeinsamkeit gefunden, die Terrorismusbekämpfung nämlich. Unter dem Eindruck des Selbstmordanschlags von Manchester fordern die USA Japan, Kanada, Frankreich, Großbritannien, Italien und Deutschland in einer gemeinsamen Erklärung Internetkonzerne auf, härter gegen extremistische Inhalte im Netz vorzugehen. Bei allen anderen Themen aber wird es schwierig. Frank Capellan auf dem Gipfel, es ist fraglich, ob es eine Abschlusserklärung gibt, hieß es zwischendurch. Wie sieht es aus im Moment?
    Frank Capellan über den G7-Gipfel (Audio)
    Dankeschön für diese Informationen aus Taormina, Frank Capellan, und mit genau einem Vertreter der Hilfsorganisation World Vision wollen wir jetzt sprechen. Am Telefon ist Marwin Meier, er ist sozusagen der G7-Experte von World Vision, das heißt, er hat auch vorangegangen Gipfeltreffen begleitet, und wir erreichen auch ihn in Taormina. Guten Tag, Herr Meier!
    Marwin Meier: Hallo nach Deutschland!
    Kaess: Also so gut wie keine Einigkeit der G7 bei Themen, die ja eigentlich die ganze Welt bewegen. Haben Sie sowas schon mal erlebt?
    "So etwas gab es noch nicht"
    Meier: Ja, ich bin seit 2007 dabei, und tatsächlich, so etwas gab es noch nicht. Ich meine, der G7, so wie das G20-Format, sind Konsensformate, und da reicht es, auch wenn nur ein Land blockiert, und angesichts der Probleme, die wir in der Welt haben, und das wurde schon erwähnt: In Jemen, Nigeria, Süd-Sudan und Somalia herrscht die schlimmste Hungersnot seit dem Zweiten Weltkrieg. 20 Millionen Menschen sind akut bedroht, darunter 1,4 Millionen Kinder. Und der Aufruf der Vereinten Nationen, ihnen direkt zu helfen, ist erst zu einem Drittel mit finanziellen Zusagen gefüllt, und die Italiener hatten angekündigt, eine Taormina-Initiative vorzulegen, aber keiner hat sich durchringen können außer den Italienern selber, hier finanzielle Zusagen zu machen. Das ist leider auch wieder sechs gegen eins, aber da scheinen sich die anderen einig gewesen zu sein, unter anderem auch Deutschland.
    Kaess: Also da sehen Sie, wenn ich Sie richtig verstehe, nicht nur die USA in der Rolle des "Buhmanns" – in Anführungsstrichen –, sondern auch die anderen?
    Meier: Ja. Also ich finde das immer eine sehr Vereinfachung. Vielleicht fallen wir auch wieder auf die Taktik rein, dass jemand sich darin gefällt, der Bad Boy zu sein. Es sind sieben gewählte Staatenlenker, und ich finde, in solchen Sachen scheint es ganz klar, in einigen Sachen scheint es mehr als einen Staatenlenker zu geben, der sagt, da musste ich auch nicht mit unterschreiben und kann ganz bequem sich hinter einem Präsident Trump verstecken. Die Deutschen haben keine Zusagen gemacht für die Taormina-Initiative, und das bedeutet heute, dass auf dem Nachbarkontinent, wirklich hier über das Mittelmeer entfernt, während die Reichsten tagen, Kinder auf jeden Fall hungrig zu Bett gehen werden und wahrscheinlich über die zwei Tage verhungert sind, aber hier war es nur ein Gipfel des schlechten Benehmens und des merkwürdigen Händeschüttelns, und das ist schon sehr enttäuschend für die Menschen, die wirklich am meisten Hilfe brauchen.
    "Ein Ermüden der Weltgemeinschaft bei der Entwicklungszusammenarbeit"
    Kaess: Ja. Herr Meier, Sie schieben jetzt allen so ein bisschen die Schuld zu, allerdings wissen wir von US-Präsident Trump, dass er die Entwicklungsgelder massiv kürzen will – um 28 Prozent heißt es. Was bedeutet das denn für die Entwicklungspolitik weltweit?
    Meier: Für die Entwicklungspolitik weltweit bedeutet es natürlich weniger Mittel, direkt einzugreifen. In Uganda mussten in den Hilfslagern schon die Tagesrationen gekürzt werden, einfach weil nicht genügend Geld da ist. Natürlich fallen da die USA –
    Kaess: Und die USA sind da ein entscheidender …
    Meier: – besonders auf, weil sie in absoluten Zahlen natürlich ein sehr wichtiger Geber sind, allerdings, wir haben ein allgemeines Ermüden der Weltgemeinschaft bei der Entwicklungszusammenarbeit oder aber des falschen Zählens. Der größte Nehmer deutscher Entwicklungshilfe ist Deutschland, weil sie einfach die Flüchtlingskosten des ersten Jahres mit draufschlagen. Also da muss man sich nicht wundern, wenn weniger Geld natürlich in den Notgebieten ankommt.
    Kaess: Herr Meier, wenn wir noch mal bei diesem Gipfelbekenntnissen oder den Bekenntnissen, die es eben jetzt nicht gegeben hat, wenn wir dabei noch mal bleiben: Es wird jetzt immer wieder verwiesen auf den G7-Gipfel in Elmau vor zwei Jahren, also in Deutschland.
    Meier: Genau.
    Kaess: Da gab es auch große Versprechen, und da gab es aber auf der anderen Seite auch wenige Folgen. Macht das letztendlich keinen Unterschied, ob sie Lippenbekenntnisse bekommen oder eben gar keine Bekenntnisse?
    Meier: Nein, das macht natürlich überhaupt gar keinen Unterschied, allerdings wenn wir in die Historie des G7- und G8-Gipfels schauen: Es passierten ja schon Dinge. Das letzte Mal, als der G8-Gipfel 2009 in L’Aquila in Italien war, kamen 22 Milliarden US-Dollar in den nächsten drei Jahren für die Hungerbekämpfung zusammen. Die 60 Milliarden in Heiligendamm 2007, die versprochen wurden für die Bekämpfung von HIV, Aids und Infektionskrankheiten, die sind mobilisiert worden.
    "Eine Konsensveranstaltung, auf der niemand zum Konsens kommt"
    Also es ist nicht so, dass wir hier immer nur Versprechen hatten, die nicht gehalten wurden. Allerdings, es ist ein sehr durchwachsenes Bild, und ich gebe Ihnen völlig recht, wenn gar nichts dabei rauskommt, wenn von den Versprechen in Elmau, 500 Millionen Menschen bis 2030 aus Hunger zu befreien, nicht einen Schritt in die richtige Richtung ist – nein, wir haben zwei Jahre später 40 Prozent mehr Menschen, nämlich 108 Millionen in Nahrungsmittelunsicherheit –, dann darf man sich die Frage stellen, wie viel Sinn macht eigentlich eine Konsensveranstaltung, auf der niemand zum Konsens kommt.
    Kaess: Entwicklung hat ja viel mit Fluchtursachen zu tun. Welche Szenarien sehen Sie da voraus?
    Meier: Auf jeden Fall. Ich meine, wenn eine Familie plötzlich keine Lebensgrundlage mehr sieht und dort wirklich keine Hoffnung mehr ist, dass die sich in letzter Konsequenz auf den Weg in eine Gegend machen, wo es vielleicht nicht Konflikt gibt, wo man nicht bombardiert wird, wo eine Schule vielleicht nicht zum Waffenlager wird, dass sich dann eine ganze Familie oder Ausgesandte auf den Weg machen in eine bessere Zukunft, das kann man ihnen, glaube ich, nicht verübeln. Vorausschauende Friedenspolitik fängt wirklich bei den Grundursachen an und keine Flüchtlingsbekämpfung, die einfach nur Menschen davon abhält, unsere Grenzen zu erreichen.
    "Der Druck auf den G20 erhöht sich"
    Kaess: Dann schauen wir zum Schluss noch kurz voraus auf den G20-Gipfel im Juli in Hamburg. Jetzt hat Italiens Ministerpräsident Gentiloni gefordert, Afrika dort ins Zentrum zu stellen. Macht Ihnen das Hoffnung?
    Meier: Nur sehr wenig. Tatsächlich, der Druck auf den G20 erhöht sich. Allerdings wird uns seit Jahren erzählt, dass der G20 kein Format der finanziellen Zusagen ist, weil dort natürlich auch Nehmerländer mit am Tisch sitzen. Deswegen hatten wir konkrete Hoffnungen auf finanzielle Hilfen für die aktuelle Hungersnot vom G7 erwartet. Das wird sehr spannend. In sechs Wochen, genau in sechs Wochen ist in Hamburg der G20-Gipfel, der kein Format ist der finanziellen Zusagen ist. Da nützt es dann auch nicht viel, Afrika in das Zentrum zu setzen, wenn dann doch wieder wenig mehr als Versprechen rauskommen oder heiße Luft. Ich bin hier auf Taormina, wo diesmal der Ätna sogar verloren hat gegen die heiße Luft in Taormina.
    Kaess: Sagte Marwin Meier von der Hilfsorganisation World Vision. Sie haben es gehört, wir haben ihn auf dem G7-Treffen in Sizilien erreicht, deshalb gab es kleine Probleme mit der Leitung zwischendurch, bitten wir zu entschuldigen. Dankeschön, Herr Meier!
    Meier: Auf Wiederhören und sehr herzlichen Dank an Sie!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.