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G7-Gipfel
"Putin will keinen Dialog"

Eine Chance auf einen Dialog mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gebe es derzeit nicht, sagte der ehemalige US-Botschafter in Berlin, John Kornblum, im Deutschlandfunk. Man könne zwar mit ihm reden, um seine Meinung zu hören, seine Strategie werde er deshalb aber nicht ändern.

John Kornblum im Gespräch mit Friedbert Meurer | 05.06.2014
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    John C. Kornblum, ehemaliger Botschafter der USA in Deutschland (dpa / Horst Galuschka)
    Er sei sich nicht sicher, ob ein Treffen zwischen US-Präsident Barack Obama und Putin am Rande der Feierlichkeiten zur Landung der Alliierten in der Normandie sinnvoll sei, sagte der ehemalige US-Botschafter in Berlin, John Kornblum, im Deutschlandfunk. Auf jeden Fall sollte man nicht zuviel davon erwarten. Putin sei nicht auf Dialog aus, "er will keinen Dialog". Er sei in dieser Hinsicht genau so wie der frühere jugoslawische Präsident Slobodan Milošević zur Zeit der Kriege im ehemaligen Jugoslawien. Putin habe auch die gleichen Ziele wie Milošević.
    Durch die Krise in der Ukraine sei deutlich geworden, dass der Westen seine militärische Strategie in Europa in den vergangenen zehn Jahren vernachlässigt habe, sagte Kornblum. Man hielt alles für geregelt. Damit müsse man sich nun beschäftigen. Die von den USA angekündigte Hilfe für die Staaten in Osteuropa sei dabei aber eher symbolisch.

    Das Interview in voller Länge:
    Friedbert Meurer: Heute Abend werden sie nur wenige Kilometer voneinander entfernt in Paris sein, morgen sogar auf Tuchfühlung gehen mit den anderen Staats- und Regierungschefs. Aber es steht noch nicht fest, ob es aus Anlass des 70. Jahrestages der Landung der Alliierten in der Normandie zu einem direkten Treffen zwischen Barack Obama und Wladimir Putin kommen wird. Das grenzt schon an Schwerstarbeit für das Protokoll, dafür zu sorgen, dass die beiden Präsidenten sich zunächst nicht zu nahe kommen. Vielleicht trifft Frankreichs Präsident Hollande deswegen erst Obama heute um 19 Uhr in einem Restaurant in Paris, fährt danach dann sofort in den Élysée-Palast und empfängt dort dann zwei Stunden später Wladimir Putin. In Brüssel begann derweil gestern Abend ein G7-Gipfel ohne Russland.
    John Kornblum war US-Botschafter in Deutschland. Jetzt bin ich mit ihm in Berlin verbunden. Guten Morgen, Herr Kornblum!
    John Kornblum: Guten Morgen!
    Meurer: Alle treffen Putin in Paris unter vier Augen: Angela Merkel, Hollande, der französische Präsident, David Cameron, der Premierminister Großbritanniens. Warum nicht auch Barack Obama?
    Kornblum: Na ja, erstens wissen wir nicht, ob er ihn trifft oder nicht. Aber wenn er das nicht tut, ich würde meinen, dass er das Gefühl hätte, dass erstens die anderen schon oft genug mit ihm gesprochen hätten, und zweitens, dass die Vereinigten Staaten doch hier eine symbolische Rolle spielen als sozusagen in der Ablehnung der Politik von Putin, und dass es besser wäre, wenn der amerikanische Präsident nicht mit ihm sprechen würde.
    Meurer: Würden Sie ihm raten, dass Obama nicht Putin trifft?
    Kornblum: Das weiß ich nicht. Das wäre eine sehr schwierige Entscheidung. Ich persönlich meine im Moment, dass es gut ist, mit Putin zu reden, aber man soll nicht sehr viel davon erwarten. Er ist nicht auf Dialog gerichtet und Dialog funktioniert nur, wenn zwei Seiten bereit sind zu reden. Das bedeutet nicht, dass man seine Meinung nicht hören sollte.
    Was ich dem amerikanischen Präsidenten sagen würde? Ich würde ihm wahrscheinlich sagen, nein, er sollte nicht mit ihm reden, weil das sozusagen die Vereinigten Staaten in ein etwas entfernteres Verhältnis zu der ganzen Sache darstellen würde und würde die Optionen für Obama etwas klarer stellen.
    Nur eine Änderung in der Rhetorik
    Meurer: Aber verpassen die USA dann nicht eine Chance?
    Kornblum: Nein. Eben habe ich gesagt, es gibt keine Chance zum Dialog mit ihm im Moment. Das ist ganz klar. Man redet mit ihm, um seine Meinung zu hören und ihm hoffentlich auch eine Botschaft beizubringen, aber Dialog mit ihm wird es nicht geben.
    Meurer: Aber offenbar hat Putin seine Taktik und sein Vorgehen in der Ostukraine ja schon etwas geändert: keine Annexion, jedenfalls noch nicht. Könnte man da nicht in einem Vier-Augen-Gespräch das Ganze sozusagen noch mal verbal bekräftigen?
    Kornblum: Ich sehe keine Änderung in seiner Taktik. Ich sehe eine Änderung in seiner Rhetorik. Aber wenn Sie sehen, was in der Ukraine losgeht, gerade heute Morgen wieder Berichte, da ist ein ziemlich klarer Angriff aus Russland auf die Ukraine. Es wird durch Söldner gemacht, es wird indirekt gemacht, aber es ist immer noch ziemlich klar, der ukrainische Präsident sagt das auch, wir sind im Kriege. Also eine Änderung der Strategie hat es nicht gegeben.
    Meurer: Wie sehen Sie die Darstellungen, die es hier in Deutschland vielfach gibt, dass die USA sozusagen auf Konfrontationskurs gehen und nicht den maßvollen Weg des Dialogs sehen?
    Kornblum: Na ja, das ist ein langes Thema. Das haben wir erlebt mehrmals über die letzten Jahre. Irgendwie hat die öffentliche Meinung in Deutschland da festgelegt, dass Deutschland eine Friedensmacht ist und dass Deutschlands beste Lösung für alle Fragen ein Dialog ist. Aber wie ich eben gesagt habe - und da habe ich sehr direkte persönliche Beziehungen zum Beispiel mit Milosevic in Bosnien -, man kommt zu einem Punkt, wo man feststellt, dass die andere Seite nicht zuhört, dass die andere Seite eigentlich keinen Dialog haben möchte.
    Putin ist wie Milosevic
    Meurer: Die Frage ist, ob man Milosevic und Putin vergleichen darf.
    Kornblum: Oh ja, natürlich! Sehr genau sogar.
    Meurer: Warum?
    Kornblum: Putin ist es ganz klar, dass er im Moment keinen Dialog hat. Es ist ganz klar, dass er das Gefühl hat, dass er den Westen durcheinandergebracht hat, dass der Westen nicht weiß, wie sie zu reagieren haben, und dass er sozusagen Herr der Stunde ist.
    Meurer: Aber Milosevic gilt als der Kriegstreiber auf dem Balkan mit Tausenden von Toten und ethnischen Vertreibungen. Kann man das mit Putin über eine Leiste ziehen?
    Kornblum: Wissen Sie, in solchen Sachen einen Vergleich zu machen, wie viele Soldaten und wie viele Tote es gegeben hat, ist eigentlich nicht nützlich. Die Frage ist die Strategie, und Milosevic und Putin versuchen dasselbe. Sie versuchen, durch Unterminierung von anderen benachbarten Regierungen entweder territorialen Gewinn, oder vielleicht politischen Gewinn zu erzielen, und sie unterminieren die Souveränität von benachbarten Staaten. Russland hat die Souveränität von der Ukraine mehrmals bestätigt, in Dokumenten, in Äußerungen, in Konferenzen, und das wurde alles über den Haufen geworfen aus Gründen, die uns vielleicht noch nicht so ganz klar sind. Aber das Ziel ist dasselbe, wie Milosevic damals verfolgte.
    Meurer: Jetzt war Präsident Barack Obama gestern in Polen, hat eine Rede gehalten, und er hat angekündigt, dass er eine Milliarde Dollar ausgeben will, um die militärischen Fähigkeiten der NATO in Polen zu verstärken. Welches Kalkül, glauben Sie, steckt dahinter?
    Kornblum: Na ja, die Verbündeten - und das sind alle unsere NATO-Verbündeten und auch natürlich Mitglieder der EU - fühlen sich sehr bedroht. Die NATO, darunter auch die Vereinigten Staaten, haben, wollen wir sagen, die militärische Strategie in Europa etwas vernachlässigt über die letzten zehn Jahre, in der Erwartung, dass alles sowieso gelöst war. Jetzt sehen wir, dass es nicht gelöst worden ist, und ich finde es sehr nützlich, wenn der Präsident so einen Schritt macht. Es ist an sich ein symbolischer Akt, aber es ist ein sehr wichtiger symbolischer Akt, um unseren Verbündeten da zu zeigen, dass sie nicht allein gelassen werden. Es wäre nur schön, wenn auch die europäischen Verbündeten, die westeuropäischen Verbündeten dasselbe machen würden.
    Wir sind leider wieder bei der Stunde null
    Meurer: Das was Obama angekündigt hat, verletzt das die Grundakte, wonach der Westen eben nicht in den neuen NATO-Staaten Truppen stationieren will?
    Kornblum: Na ja. Erstens, es verletzt einige Punkte in dem KSE-Vertrag. Das ist, wo das feststeht. Das könnte man sagen. Aber erstens, der KSE-Vertrag ist nicht in Kraft wegen Russland, und zweitens, Russland hat alle Verträge so schon verletzt, dass man leider, leider - ich war dabei und habe an vielen dieser Verträge gearbeitet, aber leider sind wir wieder bei der Stunde null.
    Meurer: Herr Kornblum, zwischen Washington und Berlin gibt es, ich sage mal, einen unterschiedlichen Ansatz, wie man mit Russland umgehen soll, und jetzt haben wir gestern erfahren, dass der Generalbundesanwalt Range ermitteln will gegen US-Behörden, Geheimdienste, weil das Handy der Kanzlerin abgehört wird. Hätten Sie sich das vorstellen können, dass mal die Generalbundesanwaltschaft gegen die USA ermittelt?
    Ermittlungen fast eine Beleidigung der USA
    Kornblum: Erstens, die Vereinigten Staaten und Deutschland haben keinen anderen Ansatz über Russland. Die Bundeskanzlerin ist sehr klar und sehr fest in ihrer Meinung. Zweitens zum Bundesanwalt: Ich verstehe das nicht. Wenn das passiert ist – und es ist überhaupt nicht klar, ob abgehört wurde, oder ob nur dieses Handy in so einem weiteren Netz eingezogen wurde -, aber wenn das gewesen wäre, das ist eine politische Frage unter Alliierten und das ist keine Rechtsfrage. Ich weiß nicht, was der Bundesanwalt will: Will er jetzt den amerikanischen Präsidenten da zum Verhör einladen, zusammen mit Herrn Snowden vielleicht? Sie sehen, die ganze Sache passt nicht in die Szenerie und ist natürlich auch, wenn Sie wollen, eine berechtigte Kritik bis hin zur Beleidigung an die Vereinigten Staaten.
    Meurer: Wer wird da beleidigt?
    Kornblum: Bitte?
    Meurer: Wer wird da beleidigt?
    Kornblum: Na ja, ich nehme an, dass jetzt eine ziemlich negative Reaktion aus Washington kommen wird. Wir werden sehen. Ich habe nichts gesehen, aber ich nehme an, dass man das nicht gerade für freundlich finden wird.
    Meurer: Wie könnte die Reaktion schlimmstenfalls aussehen?
    Kornblum: Ich weiß nicht. Wahrscheinlich wird man eine Meinung äußern, mehr nicht. Man soll die Sache nicht zu hoch treiben. Wie gesagt, es ist ein etwas merkwürdiger Schritt. Aber ich glaube nicht, dass irgendwie die Beziehungen zwischen den beiden Ländern irgendwie gestört werden würden dadurch.
    Meurer: Der Generalbundesanwalt hat das gestern Abend alles verteidigt. Er hält sich sozusagen an den Buchstaben des Gesetzes und tut seinen Job. Was ist daran falsch?
    Kornblum: Ich weiß nicht. Ich kenne das Gesetz nicht. Aber jeder Staatsanwalt hat eine Riesen-Ermessensgrenze, das wissen wir. Nicht jeder Sache wird nachgegangen und nicht jede Sache wird buchstäblich auf der Basis des Gesetzes gemacht. Und wenn er meint, dass er das tun sollte, das ist natürlich sein gutes Recht. Aber ich und andere Amerikaner haben das Recht, das etwas merkwürdig zu finden.
    Meurer: Das transatlantische Verhältnis in Zeiten der Ukraine-Krise und der Ermittlungen, die der Generalbundesanwalt wegen der Abhörmaßnahmen gegen das Kanzlerinnen-Handy getroffen hat oder treffen will, war Thema meines Gesprächs mit dem früheren US-Botschafter in Deutschland, John Kornblum. Herr Kornblum, besten Dank nach Berlin und auf Wiederhören!
    Kornblum: Ich bedanke mich!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.