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G7-Treffen
"Macht keinen Sinn, Russland einzuladen"

Der SPD-Außenpolitiker Niels Annen hat die Entscheidung verteidigt, Russland bis auf weiteres aus der Runde der G7-Staaten auszuschließen. "Durch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim hat sich Russland selbst ausgeladen", sagte Annen im Deutschlandfunk-Interview. Er warf der Regierung vor, das Abkommen von Minsk nicht umzusetzen.

Niels Annen im Gespräch mit Gerd Breker | 05.06.2015
    Niels Annen am Rednerpult des Bundestags.
    Der SPD-Außenpolitiker Niels Annen findet, dass Russland seinen Ausschluss aus der G7 selbst zu verantworten hat. (imago / Metodi Popow)
    Annen beklagte die zahlreichen Toten, die es in der Ostukraine in den vergangenen Tagen wieder gegeben habe. "Es gibt keine Fortschritte. Das Abkommen von Minsk ist von Russland nicht umgesetzt worden." Solange sich das nicht ändere, sei ein Dialog mit Moskau im Rahmen eines G7-Treffens nicht sinnvoll. Erklärungen genügten nicht, es gehe um "nachvollziehbare Fortschritte vor Ort".
    Der Bundestagsabgeordnete wandte sich gegen Vorwürfe, mit Moskau werde nicht mehr gesprochen. "Das ist falsch. In Wahrheit wird fast jeden Tag mit Russland gesprochen." Keine Regierung in Europa führe diesen Dialog so intensiv wie die deutsche.
    Auch die Kritik, das bevorstehende G7-Treffen sei teuer, werde aber keine handfesten Ergebnisse bringen, wies Annen zurück. Er erhofft sich von dem Gipfel eine Einigung auf die Finanzierung des internationalen Hilfsprogramms für die Flüchtlinge aus Syrien. Auch beim Thema Nachhaltigkeit könne es Fortschritte geben.
    Das G7-Treffen, das am Sonntag auf dem bayerischem Schloss Elmau beginnt, finde unter den Augen einer kritischen Öffentlichkeit statt, sagte der SPD-Politiker. Die friedlichen Proteste nannte er eine "Ermutigung". Die Zusagen, die Angela Merkel in Elmau machen werde, würden vom Bundestag "beobachtet, unterstützt und im Zweifelsfall auch eingefordert".

    Das Interview in voller Länge:
    Gerd Breker: Vor einem Jahr wurde aus dem etablierten Gipfelgespräch der G8 wieder die G7. Nach der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland sagten die Staats- und Regierungschefs der sieben großen Industriestaaten aus dem Westen den für Anfang Juni 2014 geplanten G8-Gipfel im russischen Sotschi ab. Stattdessen tagten die G7 in Brüssel ohne Russland. Zuvor war die G8 jahrelang eine feste Größe der internationalen Diplomatie. Auf ihren jährlichen Gipfeln tauschten sich die Staats- und Regierungschefs aus den USA, Kanada, Japan, Großbritannien, Frankreich, Italien, Deutschland und Russland über die Probleme dieser Welt aus. Am Sonntag nun der Gedankenaustausch der verbliebenen sieben für 300 Millionen Euro.
    Am Telefon sind wir nun verbunden mit Niels Annen. Er ist Obmann der SPD im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Guten Tag, Herr Annen.
    Niels Annen: Schönen guten Tag, Herr Breker.
    Breker: Ein Meinungsaustausch ohne Russland - macht das überhaupt Sinn?
    Annen: Dieser Meinungsaustausch macht Sinn. Aber natürlich hat Frank-Walter Steinmeier recht: Es wäre immer besser, wenn Russland dabei sein könnte. Nun muss man ja darauf hinweisen: Russland hat sich mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim von diesem Gipfel ja quasi selber ausgeladen, und ich bin immer dafür, dass wir dann auch konsequent bleiben. Es gibt keine Fortschritte. Das vereinbarte Abkommen von Minsk ist von Russland nicht umgesetzt worden. Wir haben gerade in den letzten Tagen wieder Dutzende von Todesopfern zu beklagen. Ich bin der Meinung, wenn es Fortschritte gibt und nicht nur Erklärungen, sondern wirklich nachvollziehbare Fortschritte vor Ort, dann sollten wir die ersten sein, die Russland wieder einladen. Gegenwärtig macht das keinen Sinn.
    "Keine Regierung in Europa führt den Dialog mit Russland so engagiert, wie wir das tun"
    Breker: Nur, Herr Annen, wie will man denn überhaupt die Ukraine-Krise, den Bürgerkrieg in Syrien, den Kampf gegen IS ohne Russland bewältigen? Das ist doch fragwürdig ohne Russland.
    Annen: Mich irritiert diese Diskussion um den G7-Gipfel ein wenig, weil der Eindruck erweckt wird, wir würden nicht mit Russland reden, und das ist ja nun nachweislich falsch. Wenn G7 oder damals G8 die einzige Plattform wäre, wo wir uns mit Russland austauschen könnten, dann wäre es ein schwerer Fehler, den russischen Präsidenten nicht einzuladen. Aber die Wahrheit ist doch, Herr Breker, wir reden fast jeden Tag mit Russland. Der Außenminister spricht mit Herrn Lawrow, die Bundeskanzlerin spricht mit Herrn Putin, wir haben neue Dialogformate entwickelt. Es hat jetzt gerade in den letzten Stunden wieder Kontakte gegeben wegen der Verletzung der Waffenruhe. Nein, wir führen den Dialog. Ich würde sogar sagen, keine Regierung in Europa führt den Dialog mit Russland so engagiert, wie wir das tun. Aber G7 ist ein informeller Gipfel von Staaten, die auch gemeinsame Werte teilen, und von diesen hat sich Russland bedauerlicherweise entfernt und deswegen ist das nicht der Ort. Aber das heißt nicht, dass wir keinen Dialog mit der russischen Regierung führen müssen. Wir führen ihn fast jeden Tag.
    Breker: Nun gibt es in Elmau den Meinungsaustausch informeller Art, Sie haben es gesagt, in Luxusumgebung für 300 Millionen. Kann sich das überhaupt lohnen?
    Annen: Ja, natürlich lohnt sich ein Treffen dieser Länder. Und ob es immer so teuer sein muss, das weiß ich auch nicht. Es wird jetzt immer die Inszenierung beklagt. Die Wahrheit ist aber auch, dass die Kritiker dieser Inszenierung selber Teil der Debatte sind. Wir müssen, glaube ich, uns auf die Inhalte konzentrieren und dann freue ich mich über jeden Vorschlag, der auch Geld einsparen kann.
    Aber worum geht es denn? Dieses Gipfeltreffen ist ja nicht nur ein Treffen, sondern ist das Arbeitstreffen von vielen vorbereitenden Konferenzen und Tagungen, die übrigens ja auch in Deutschland stattgefunden haben. Die Außenminister haben sich in Lübeck getroffen, die Finanzminister haben sich in Hamburg getroffen, wir haben wissenschaftliche Zusammenkünfte gehabt, wir haben Arbeitsgruppen über ganz wichtige Themen: die Fragen des Klimawandels, die Pariser Konferenz steht vor der Tür, es wird ein Treffen ja auch geben mit afrikanischen Staatschefs über die Frage, wie geht es mit der Ebola-Bekämpfung weiter. Wenn man das in einen Zusammenhang bringt, dann relativiert sich einiges von der Aufregung.
    "Aber dieses Treffen ist kein offizielles Gremium der EU oder der Vereinten Nationen"
    Breker: Die Grünen-Politikerin Claudia Roth hat eben gefordert, da muss was rauskommen. Was soll denn da rauskommen?
    Annen: Ja, ich bin ganz ihrer Meinung. Aber dieses Treffen ist kein offizielles Gremium der EU oder der Vereinten Nationen. Aber beispielsweise kommt ja der VN-Generalsekretär und ich würde mich freuen, wenn die sieben wichtigsten Industrieländer der westlichen Welt Ban Ki-moon dabei unterstützen würden, die Nachhaltigkeitsziele jetzt zu definieren, die Entwicklungsfinanzierung, die wir dringend brauchen, auf einen richtigen Weg zu bringen. Und ich will ein konkretes Beispiel nennen: Wir diskutieren ja auch im Kreise dieser Staatspräsidenten und Regierungschefs über die Frage, wie geht es weiter mit dem Drama im Mittelmeer. Eine feste Zusage an die Vereinten Nationen, dass das Flüchtlings-Hilfsprogramm für die Flüchtlinge des syrischen Dramas im Libanon, in Jordanien, in der Türkei endlich wieder ausfinanziert wird und nicht die Lebensmittelrationen gekürzt werden müssen, weil nur 30 Prozent des Geldes zusammengekommen ist, das wäre ein konkreter Beitrag. Das ist nämlich wirklich ein Skandal und eine Schande für die Weltgemeinschaft und dort haben die sieben, die sich dort versammeln, auch eine Verantwortung.
    Breker: Herr Annen, Sie haben die zahlreichen Vorbereitungskonferenzen und Beratungen und Treffen erwähnt. Wird das persönliche Gespräch der Staatschefs nicht eigentlich überbewertet? Sind es nicht die Vorbereitungskonferenzen, die die eigentliche Arbeit machen?
    Annen: Sehen Sie, ich hielte es für einen Fehler, das eine gegen das andere zu stellen. Wenn man ein wenig sich umschaut, auch übrigens in der deutschen Geschichte - wir haben im letzten Jahr sehr viel diskutiert über 100 Jahre Ausbruch Erster Weltkrieg und das Versagen der Diplomatie, das mit dazu beigetragen hat, dass dieser Krieg überhaupt erst möglich wurde -, dann dürfen wir etwas, was wir heute für selbstverständlich halten, dass sich die Chefs von Regierungen auf höchster Ebene zu einem informellen Austausch treffen, nicht unterbewerten. Es ist heute ein wichtiges Instrument der Politik, dass dort auch Vertrauen aufgebaut wird. Dafür übrigens eine einigermaßen angenehme Atmosphäre herzustellen, das schadet auch nicht. Das will ich an dieser Stelle auch einmal sagen. Dass man heute zum Telefon greifen kann, bevor man zu den Waffen greift, das, glaube ich, ist ein Vorteil, und wir sind ja mit den G7 ein Kreis von Ländern, die vieles miteinander teilen, die Demokratien sind und die eine Verantwortung für das haben, was auf der Welt geschieht. Vieles von dem, was wir beklagen, wird ohne unser Engagement und auch die Bereitschaft, dafür politisches Kapital einzusetzen, nicht möglich sein, und deswegen brauchen wir beides, die Vorbereitungstreffen, aber auch die Verpflichtung und die öffentliche Verpflichtung, bestimmte Ziele einzuhalten durch die Regierungschefs.
    "Ermutigung, dass gestern so viele Menschen friedlich für diese internationalen Ziele demonstriert haben"
    Breker: Die Gespräche schaden nicht, aber sie kosten eine Menge Geld, und am Ende heißt es, weil ja alles informell ist, schön, dass wir miteinander geredet haben. Das ist nicht viel!
    Annen: Das, Herr Breker, wäre nicht viel, wenn es denn so sein sollte. Aber ich glaube, deswegen werden zum Beispiel ja auch die afrikanischen Staatschefs, die eingeladen worden sind - das Ganze nennt sich heute ja Outreach, also der G7-Gipfel öffnet sich -, beispielsweise der tunesische Staatspräsident, dessen Land in einer ganz schwierigen Umbruchsphase sich befindet, dem Hilfe versprochen worden ist, aber auch die Staaten Afrikas, die von Ebola gezeichnet sind, die werden schon darauf achten, dass es nicht nur bei losen Sprüchen bleibt. Und ich persönlich empfinde es auch als Ermutigung, dass gestern so viele Menschen friedlich für diese internationalen Ziele demonstriert haben. Das Ganze findet auch in einer Öffentlichkeit statt, und die Öffentlichkeit ist zum Glück doch kritischer geworden. Das heißt, es lässt sich ja auch überprüfen, was ist eingehalten worden, und Sie können sicher sein, die Zusagen, die die deutsche Bundeskanzlerin dort machen wird, die werden auch vom deutschen Parlament beobachtet, unterstützt und im Zweifelsfall auch eingefordert werden.
    Breker: Das wäre schön! - Im Deutschlandfunk war das Niels Annen, er ist Obmann der SPD im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Herr Annen, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
    Annen: Danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.